Die Bürgermeister der Standortkommunen des Kernkraftwerks trauen der Politik nicht mehr. Sie befürchten, dass der Atommüll in ihrem Zwischenlager noch jahrzehntelang bleiben könnte – entgegen allen Versprechungen.

Neckarwestheim/Gemmrigheim Die Bürgermeister von Gemmrigheim und Neckarwestheim, Monika Chef und Mario Dürr, sind wachsam: Zu oft hat die Politik sie in puncto Atomkraftwerk enttäuscht. Deshalb planen sie nun vorsorglich den Widerstand gegen neuen Atommüll aus Obrigheim.
Erst vor einigen Tagen wurde der Neustart der Suche nach einem Endlager für Atommüll gerettet. Haben Sie Sorge, dass die Wahl auf Neckarwestheim fallen könnte?
Mario Dürr Nein. Ich bin seit 17 Jahren Bürgermeister von Neckarwestheim, mit der Zeit wird man gelassener. Mich macht eher die Frage nervös, was mit dem schwach- und mittelradioaktiven Müll passieren soll, der in unserem Zwischenlager deponiert ist. Schacht Konrad ist ja inzwischen genehmigt, aber es ist völlig unklar, wann wir dort einlagern können.

Monika Chef Ich habe nicht die Sorge, dass wir zum offiziellen Endlager werden, sondern dass unser Zwischenlager ein heimliches Endlager wird. Denn ich glaube nicht, dass die Politik in der Lage sein wird, ein Endlager zu finden. Bislang ist sie immer vor den Protesten eingeknickt.

Vermutlich noch lange vor der Endlagersuche wird Sie ein anderes Problem beschäftigen: Die EnBW will die 342 Brennstäbe aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Obrigheim im Zwischenlager Neckarwestheim unterbringen. Sie haben bereits Widerstand dagegen angekündigt. Was haben Sie vor?
Chef Es gibt sicherlich plausible Gründe dafür, die Brennstäbe bei uns zu lagern. Wir haben noch Platz frei, in Obrigheim dagegen müsste für nur 15 Castoren ein neues Lager gebaut werden. Wir nehmen nicht nur die Vorteile und überlassen anderen die Nachteile, sondern sehen uns durchaus in der Verpflichtung, eine gute Lösung zu finden – allerdings nicht um jeden Preis. Bei den letzten Castortransporten herrschten hier kriegsähnliche Zustände. Ich verstehe nicht, warum die Castortransporte, die bei einer Lagerung des Obrigheimer Mülls bei uns notwendig würden, jetzt offenbar in Ordnung wären – in den 90ern hat man sie noch verteufelt.

Dürr Es gibt noch keinen Antrag der EnBW, daher wissen wir noch nicht, was auf uns zukommt. Allerdings überlegen wir schon zu klagen – wir müssen schließlich vorbereitet sein, wenn es so weit ist. Aber nur Widerstand leisten bringt auch nichts. Wir müssen das Problem lösen. Allerdings brauchen wir dafür verlässliche Zusagen der Politik – damit haben wir schlechte Erfahrungen. Als das Atomkraftwerk kam, hat man uns versichert, dass am Standort nur produziert, aber kein Atommüll gelagert wird. Als doch das Zwischenlager kam, hieß es, dass nur Müll von hier gelagert wird. Selbst wenn man uns jetzt versprechen würde, dass nach den 15 Obrigheimer Castoren Schluss ist: Wie sollen wir das noch glauben und wie den Leuten vermitteln?

Wo bleibt denn der Aufschrei der Bürger?
Chef Die Leute sind frustriert von der Politik, sie erwarten schon nichts mehr. Bei den Protesten gegen das Zwischenlager hat die Bevölkerung total zusammengehalten, den Bürgern ist es nämlich nicht egal, was hier passiert. Sie machen sich auch jetzt Sorgen. Aber sie haben erfahren, dass Widerstand nichts bringt und dass noch nicht einmal die Zusagen eingehalten werden.

Welche Lösung könnten Sie sich vorstellen?
Dürr Wir müssen erst einmal wissen, wie die Einlagerung der Brennstäbe konkret aussehen würde. Da gibt es viel zu beachten. Was passiert zum Beispiel, wenn das Kernkraftwerk abgebaut ist und ein Castorbehälter beschädigt wird? Ohne eine sogenannte heiße Zelle hat man dann keine Chance, den Schaden zu beheben. Würde das also bedeuten, dass wir eine heiße Zelle für das Zwischenlager brauchen? Und woher bekommen wir die Fachkräfte zur Betreuung? Es ist jetzt schon schwierig, qualifiziertes Personal zu finden, denn wer studiert in Deutschland heute noch Kernphysik?

Ihre Kommunen haben jahrelang vom Atomkraftwerk profitiert. Mit der Abschaltung verlieren Sie Gewerbesteuern und Arbeitsplätze. Wie groß ist der Verlust für Sie?
Dürr Das kommt darauf an. Die Gewerbesteuer von Neckarwestheim besteht zu etwa 80 Prozent aus den Abgaben der EnBW. Allerdings hätten wir auch ohne das Kraftwerk noch rund eine Million Euro Gewerbesteuer, das ist für eine Kommune unserer Größe nicht schlecht. Zudem sind wir immer davon ausgegangen, dass die 30 Hektar Fläche des Kraftwerks relativ schnell als Industriegebiet genutzt werden können und dadurch weiterhin Gewerbesteuern fließen. Das Areal liegt optimal außerhalb des Ortes und nah an Autobahn und Neckar, Interessenten dürften schnell gefunden sein. Aber wenn das Zwischenlager bleibt, unterliegt das Gelände dem Atomrecht: Dann ist keine Nachnutzung möglich.

Chef In Gemmrigheim sind wir bei den Gewerbesteuern breiter gestreut und profitieren nicht überwiegend von der EnBW. Es ist nicht so tragisch, wenn das wegfällt, wir haben vorgesorgt. Zudem haben wir als weiteres Standbein die Beteiligung am Zweckverband Ottmarsheimer Höhe. Von den 800 Kraftwerksmitarbeitern kommen ohnehin nur 100 aus Gemmrigheim und 200 bis 300 aus Neckarwestheim.

Wie lange wird es dauern, bis Neckarwestheim und Gemmrigheim atomkraftfrei sind?
Chef Ich glaube nicht, dass das vor 2050 der Fall sein wird. 2022 wird der zweite Meiler abgeschaltet, der Rückbau dauert mindestens 15 Jahre – und dann gibt es noch die Frage nach dem Endlager.

Das Endlager soll doch schon bis 2031 auserkoren werden.
Dürr Das Gesetz zur Endlagersuche trägt das Scheitern schon in sich. Eigentlich wissen alle, dass die Zeitspanne bis 2031 viel zu kurz ist. Das ärgert mich. Wie soll man da noch Vertrauen in die Politik haben? Hinzu kommt, dass wir als Standortkommunen nicht einmal in die Suche eingebunden sind, Kirchen und Bürgerinitiativen dagegen schon. Das ist nicht nachvollziehbar.