Der Abschlussbericht des Umweltministeriums zu Vorfällen im Reaktor Philippsburg vom Januar war nicht abschließend. Gutachter forderten nachträglich weitere Unterlagen ein – und stießen noch auf einige Details.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Als Umweltminister Franz Untersteller Ende Januar den Bericht seiner Atomaufsicht über die anonym gemeldeten Vorfälle im Kernkraftwerk Philippsburg vorlegte, schien das der Schlussstrich unter eine lange Aufarbeitung zu sein. Fast fünfzehn Monate hatten die von ihm beauftragten Experten des Physikerbüros Bremen benötigt, um Fehler und Versäumnisse beim Betreiber EnBW, aber auch bei den Aufsehern in Stuttgart zu untersuchen.

 

Nun endlich, ließ Untersteller per Pressemitteilung verkünden, lägen die Gutachten „vollzählig und vollständig“ vor. Aus dem Vorgefallenen würden auf allen Seiten Lehren gezogen, sodass künftig keine anonymen Briefe mehr nötig seien.

Fehlende Unterlagen nachgefordert

Schon damals war ministeriumsintern indes absehbar, dass der „Abschlussbericht“ noch eines Nachtrags bedürfte. Beim Gegenlesen der Endfassung hatten die Bremer Physiker nämlich wenige Tage vorher bemerkt, dass darin von Unterlagen die Rede war, die sie gar nicht erhalten hatten. Der Leiter der Atomaufsicht, Gerrit Niehaus, veranlasste daraufhin umgehend, dass die Dokumente nachgeliefert wurden. Zugleich bat er die Experten um Auskunft, ob ihre Gutachten durch die neuen Erkenntnisse in Frage gestellt würden. Dies sei nicht der Fall, lautete die Antwort, einer Veröffentlichung stehe mithin nichts im Wege. Entsprechende Informationen der Stuttgarter Zeitung bestätigte ein Sprecher des Ministeriums.

Von Schlamperei oder gar Sabotage will man im Hause Unterstellers nichts wissen. Zum Kernkraftwerk Philippsburg gebe es „ganze Aktenräume voll von Unterlagen“, aus denen ausgewählt werden müsse, erläuterte der Sprecher. Die nachgereichten Dokumente hätten „nicht zwingend“ von vornherein vorgelegt werden müssen, zumal sie für die Begutachtung nur teilweise relevant gewesen seien. Generell gehe man davon aus, „dass der Gutachter die notwendigen Unterlagen aufgrund seines gesetzlichen Anspruchs selbst vom Betreiber anfordert“. Die Behörde unterstütze ihn durch ergänzendes Material.

Externer Mitarbeiter unbefugt beteiligt?

Trotz der „Entwarnung“, dass das Gutachten nicht geändert werden müsse, erbat die Atomaufsicht eine Bewertung der zusätzlichen Unterlagen. In mehreren Punkten, die noch nicht veröffentlicht sind, ergänzten die Bremer Physiker daraufhin ihre Einschätzung: So sehen sie das sogenannte Zetteltauschverfahren, das bei einem der Vorfälle eine Rolle spielte, deutlich kritischer als bisher; es sei „besonders fehlergeneigt“.

Aus einem Protokoll folgerten sie, dass bei einer der Pannen ein externer Mitarbeiter beteiligt war, obwohl dies nicht zulässig gewesen sei. Ein nicht gemeldetes Ereignis, so eine weitere Erkenntnis, sei von den zuständigen EnBW-Experten zunächst als meldepflichtig eingestuft worden; der Leiter der Anlage habe dies anders gesehen – zu Unrecht, wie man heute weiß.

Staatsanwalt will nicht wieder ermitteln

Der Nachtrag der Gutachter wird derzeit noch ausgewertet und dann an die Bundesaufsicht übermittelt. Im Anschluss daran soll er – wie die übrigen Expertisen – auf der Internetseite des Ministeriums veröffentlicht werden. Insgesamt gebe es „keine zusätzlich Brisanz“ und keine Erkenntnisse, die nicht bereits von den veranlassten Konsequenzen bei Betreiber, Behörde und Sachverständigen umfasst seien, bilanzierte der Sprecher. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat derweil entschieden, im Lichte des Abschlussberichts keine neuen Ermittlungen aufzunehmen. Dies sagte ein Sprecher der Behörde der StZ.

Die Vorfälle berührten nicht die Genehmigung des Kernkraftwerks, sodass ein es keinen Anfangsverdacht auf ein unerlaubtes Betreiben gebe. Frühere Ermittlungen, unter anderem aufgrund einer Anzeige der Grünen-Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, waren im Spätjahr 2011 eingestellt worden.