Die sozialistische Regierung will den alten Atommeiler in Fessenheim schnell abschalten. Oder doch nicht? In Fessenheim regt sich Widerstand gegen die Schließung. In Südbaden wächst dennoch Hoffnung. Grund ist eine Ansage des Betreibers EdF.

Hartheim - Wer von Deutschland aus die einspurige Rheinbrücke bei Hartheim überquert, kurz vor der Schleuse auf den Damm fährt und dann einige Meter weiterspaziert, sieht ungeschützt auf die beiden Betonzylinder des Kernkraftwerks im elsässischen Fessenheim. Als könnte man mit dem Boot hinüber fahren und mal schnell guten Tag sagen. Aktivisten von Greenpeace haben das im Frühjahr vorigen Jahres tatsächlich gemacht. Sie haben Sicherheitszäune überwunden, sind an aufgeregtem Personal vorbeigerannt, danach auf einen der Reaktoren geklettert und haben bewiesen, wie schlecht die radioaktive Zeitbombe vor Eindringlingen geschützt ist.

 

Genauso fühlen sich die Menschen in der deutschen Nachbarschaft: dem Risiko schutzlos ausgeliefert. „Mit jeder Fehlermeldung aus Fessenheim“, sagt Kathrin Schönberger, Bürgermeisterin im badischen Hartheim, „wächst die Unruhe“. In Schönbergers Büro im Rathaus hängt ein Luftbild ihrer Gemeinde. Eigentlich geht es um Hartheim, Wohnhäuser, Agrarflächen und 5000 Einwohner. Das Werk im Elsass liegt nur drei Kilometer Luftlinie entfernt. Oben rechts drängt es ins Bild.

Von der französischen Seite erscheint das Atomkraftwerk fast versteckt. In Fessenheim sieht man das ganz anders. Es ist ein verregneter Nachmittag. Das Dorf wirkt wie ausgestorben. In der Luft zwischen Kirchturm und Rathaus flattert ein Banner. „Vereint bewahren wir unser Atomkraftwerk“. Die Identifikation der knapp 2400 Einwohner mit der Anlage ist groß. Wenn es bei den badischen Nachbarn als Bedrohung schlechthin gilt, dann ist es für die Bewohner hier Synonym für Wohlstand und Sicherheit. „Ich bin dafür“, sagt Anne-Marie Pfeiffer, eine Rentnerin, die auf einen Bankautomaten zusteuert. „Ich lebe seit Jahrzehnten hier“, sagt sie. „Es wurde doch immer wieder technisch nachgebessert. So viele Millionen hat man investiert. Das kann doch nicht umsonst gewesen sein.“ Sie reagiert freundlich, nicht wie die Gewerkschafter aus dem AKW, die wütend gegen alle protestieren, die ihnen die Arbeitsplatz streitig machen.

Gastauftritt im Gemeinderat

Wie diese Woche, als in Colmar wieder einmal die lokale Überwachungskommission zusammentraf, in der der Kraftwerksbetreiber EdF und die französische Atomaufsicht ASN Politiker und Vertreter der Behörden und Umweltverbände aus dem Elsass und dem nahen Südbaden über aktuelle Planungen informieren.

Kathrin Schönberger, die Atomkraftgegnerin im Hartheimer Rathaus, hat das Unverständnis der elsässischen Nachbarn zu spüren bekommen. Im Frühsommer hatte die Bürgermeisterin an den französischen Staatspräsidenten geschrieben. Er möge doch bitte sein Wahlversprechen einlösen und für die Stilllegung des Pannenreaktors sorgen. Claude Brender, Bürgermeister von Fessenheim, bekam wohl über die französischen Kanäle vom Inhalt des Schreibens Wind und fühlte sich – vorsichtig gesprochen – brüskiert. Dabei hatte Schönberger ihm den Brief angekündigt. „Er ist in einer Gemeinderatssitzung erschienen und hat einen Text verlesen“, erzählt sie. Er stellte sich hin und verkündete, wie stolz sie alle auf ihr Atomkraftwerk seien. Ihr Eindruck war, er drohe damit, die Freundschaft aufzukündigen.

„Dabei ist es doch meine Aufgabe, die Sorgen der Bevölkerung hier ernst zu nehmen.“ Hinterher habe sie sogar von einer Dame aus Straßburg einen Brief erhalten, die sich für ihr Engagement bedankt habe. Nicht alle Elsässer seien also für das Kraftwerk. Doch die Verstimmung in der Städtepartnerschaft ist geschehen. Viele Konservative im Elsass halten am Atomkraftwerk in Fessenheim am Grand Canal d’Alsace fest. Sie glauben an seine Sicherheit und prangern den Verlust von mindestens 1000 Arbeitsplätzen an. Mindestens das Doppelte an Jobs, wird geschätzt, könnte seine Schließung die Region kosten, rechnet man die Kaufkraft der Beschäftigten, die in und um Fessenheim leben und Infrastrukturen nutzen, mit ein.

Verstimmung ist greifbar

Paris hat bekanntermaßen andere Pläne. Seit die Sozialisten mit Unterstützung der Grünen 2012 die Regierung übernommen haben, versprechen sie, sie wollen Fessenheim abschalten. In den ersten Wochen nach der Sommerpause sendeten Staatspräsident François Hollande und seine Regierung zur Causa Fessenheim allerdings höchst widersprüchliche Signale. Bei einem Straßburg-Besuch Anfang September verschob Umweltministerin Ségolène Royal die Stilllegung auf 2018, also bis weit nach der Präsidentschaftswahl 2017. Der Grund waren Verzögerungen beim Bau des neuen EPR-Reaktors in Nordfrankreich.

Jetzt wurde bekannt, dass EdF in einem Brief an die Umweltministerin beantragt hat, den EPR möglicherweise erst 2020, also deutlich später und nach einem möglichen Regierungswechsel in Betrieb zu nehmen. Im selben Schreiben verpflichtet sich EdF-Chef Jean-Bernard Lévy jedoch, im Gegenzug die beiden Reaktoren in Fessenheim abzuschalten. Erforderlich wird die Stilllegung von Reaktoren durch ein Energiegesetz, das die zulässige Menge Atomstrom auf 50 Prozent des Bedarfs begrenzt. Bislang liefern Frankreichs Atomkraftwerke 75 Prozent des Stroms. EdF muss deshalb im Gegenzug für den EPR eine Anlage gleicher Leistung vom Netz nehmen.

EdF scheint sich zu fügen

EdF scheint sich den Plänen der regierenden Sozialisten inzwischen zu fügen. Umweltministerin Royal hat den Stromversorger aufgefordert, im kommenden Jahr entscheidende Schritte auf dem Weg zu Stilllegung und Rückbau des Atomkraftwerks in die Wege zu leiten. In der Sitzung der Fessenheim-Überwachungskommission am Dienstag sprach der Direktor der elsässischen Anlage zum ersten Mal, seit Staatspräsident Hollande 2012 ans Ruder kam, über die geplante Stilllegung als Tatsache – wenn auch nur knapp. Seine Vorgänger hatten den Regierungswillen stets ignoriert.

Kathrin Schönberger wartet im Rathaus von Hartheim noch auf Antwort aus Paris und vertraut lieber auf Logik: „Wenn die Franzosen weniger Atomstrom wollen, müssen sie doch sowieso irgendwann anfangen, Atomkraftwerke zu schließen“, sagt sie. Warum also nicht mit dem ältesten anfangen?