Bei den Karlsruher Atomtagen werden Szenarien für die Endlagersuche diskutiert. Viel Zeit bleibt nicht mehr, wenn der Grundsatz „Vorsicht vor Tempo“ eingehalten werden soll.

Karlsruhe - Bei der Suche nach einem atomaren Endlager soll Vorsicht vor Tempo gehen, doch zu lange darf sich die Gesellschaft nicht lassen: Das war Konsens bei Industrievertretern, Anti-Atom-Aktivisten und Wissenschaftlern, die sich auf Einladung der Grünen-Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl zu den Karlsruher Atomtagen trafen. Die Vorfälle in Nizza und der Türkei spielten in die Debatte hinein, als ein Beleg für überraschende Wendungen – nicht alle Angriffsszenarien von Terroristen sind durchgespielt, und die Stabilität politischer Systemen ist nicht vorhersehbar. Wer also bewacht die 16 Zwischenlager in Deutschland eines Tages, in denen nach dem Abschalten des letzten Atommeilers 2022 bis zu 17 000 Tonnen strahlender Müll herumstehen und wie organisieren unsere Nachkommen den Endlagerbau?

 

Gerd Jäger vom Energiekonzern RWE musste sich gegen Kritik des BUND wehren, wonach die Konzernvertreter in der Endlagerkommission die Festschreibung des Atomausstiegs im Grundgesetz verhindert hätten. „Dagegen sprechen rechtssystematische Gründe“, sagte Jäger: „Aber viel wichtiger ist es, dass wir jetzt den politischen Willen haben, das Endlager zu finden. Der Staat sollte sich verpflichten, es in einer bestimmten Zeit zu schaffen.“

Endlager erst in 150 Jahren betriebsbereit?

Denn der Zeitrahmen ist vage definiert, Klagemöglichkeiten und Widerstand können Verzögerungen bringen. Der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck (Grüne) umriss die ambitionierten Eckdaten: ein Endlagersuchgesetz noch 2017, dann das Finden einer Region mit passendem Gestein für die geologische Tiefenlagerung (drei Jahre), das Aufspüren eines Standorts (vier Jahre) sowie seine Erkundung (sechs Jahre). „Geht alles gut“, so könne der Ort des Endlagers 2032 gefunden sein, der Betrieb könnte 2050 beginnen – und dann müsse noch sorgsam eingelagert werden, was Jahrzehnte dauert. Doch im Verfahren seien „Extraschlaufen“ eingebaut, sagt Habeck, das Ganze könne bis zu 150 Jahren dauern. „Wir dürfen nicht auf Zeit spielen, keine Entscheidungen zu treffen, kann nicht der Weg sein.“ Der kritische Punkt sind die Zwischenlager. Deren Genehmigung endet 2045; die Bevölkerung dort muss mit der atomaren Last leben. „Kein Staub, kein Rost, gespenstische Leere“, so beschrieb Stefan Martus, der Bürgermeister von Philippsburg, das Zwischenlager in seiner Stadt. Die Eröffnung eines Endlagers werde er wohl nicht mehr erleben, sagte Martus. Auch er forderte einen Plan B für den Fall, dass sich die Endlagersuche zu lange verzögere.

Konzentration auf die Endlagersuche verlangt

Die Zwischenlager werden da sein, selbst wenn die Atommeiler längst rückgebaut und das Fachpersonal der AKWs abgezogen ist. Sie sollen in staatliche Obhut kommen. Minister Habeck regte an, für drei Szenarien der Verzögerung Pläne zu entwickeln, was mit den provisorischen Lagern geschieht. Sollen die Zwischenlager an ihren Standorten bleiben, meist flussnah an den alten Atommeilern? Soll ein zentrales Lager entstehen, möglichst dort, wo eines Tages das Endlager hinkommt – oder muss jedes Bundesland ein Zwischenlager erhalten? Helmfried Meinel, Ministerialdirektor im Stuttgarter Umweltministerium, war von solchen Gedankenspielen nicht begeistert: „Wir sollten 90 Prozent unserer Kraft auf den Plan A konzentrieren – die Endlagersuche.“ Ein zentrales Lager würde sofort heftige Diskussionen auslösen, ein Lager für jedes Bundesland würde mehr Transporte von Castoren nach sich ziehen. Richtig sei es, mal nachzuschauen, wie es in einem Castor nach 40 Jahren so ausschaue. Die Ingenieurin und Projektleiterin Iris Graffunder vom auf Akw-Rückbau spezialisierten Unternehmen Energiewerke Nord warnte davor, jetzt „Ängste vor den Zwischenlagern zu schüren“. Die Fässer und Stahlstrukturen der Castoren seien sehr stabil, aber auf die Dichtungen müsse man achten. „Zerbröseln die Brennstäbe eines Tages, wenn man die an einen Kran aufhängt?“ fragte Jochen Stay von der Gruppe „Ausgestrahlt“. Der kritisch auftretende Stay beruhigte immerhin angesichts einer ängstlichen Nachfrage aus dem Publikum, ob ein Castor mit Brennelementen nicht von Terroristen entwendet werden könne: „Das ist ein wenig wahrscheinliches Szenario. Einen 120 Tonnen schweren Behälter bewegt man aus einem Lager nicht so leicht raus.“ Da waren sich Vertreter der Energiekonzerne und der Anti-Atom-Bewegung auch einig.