Ein Mann hat in Gerlingen eine wild gewordene Bulldogge erdrosselt, um seine Tochter zu retten. Jetzt erhebt er schwere Vorwürfe gegen die Polizei.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Gerlingen - Es ist ein Kampf auf Leben und Tod gewesen, und das Tier hat ihn verloren. Ein 54-jähriger Mann hat am Samstagabend in Gerlingen (Kreis Ludwigsburg) einen Kampfhund erdrosselt, um seine Tochter zu retten. Weil die wild gewordene Bulldogge nicht mehr zu bändigen war, zog der Mann das Halsband zu. "Wir gehen davon aus, dass der Vater nicht anders hätte handeln können", sagt die Polizei.

 

Der American Bulldog hatte zuvor die 18-jährige Tochter des Mannes angefallen, zu Boden gerissen und gebissen. Sie kam mit schweren Verletzungen am Arm in ein Krankenhaus und wird heute operiert. Beim Sturz verlor sie zudem zwei Schneidezähne und erlitt eine Gehirnerschütterung. Der Vater wurde ebenfalls mehrfach in den Arm gebissen. Er erhebt nun schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Die alarmierten Beamten hätten ihm nicht geholfen, klagt er. "Erst als er tot war, haben sie den Hund gefesselt."

Samstagabend, Gerlingen, vor dem Waldfriedhof. Jürgen Pietz geht mit seiner Tochter spazieren, an der Leine: der American Bulldog, weiß, fast 45 Kilo schwer. Der Hund gehört einer Bekannten. Pietz hat ihr angeboten, ihn hin und wieder auszuführen. Der gelernte Kraftfahrer hält zwei ähnliche Hunde, er kennt sich aus. "Der war absolut friedlich", berichtet Pietz. Dann passiert es. Eben noch fröhlich mit dem Schwanz wedelnd, sei die Bulldogge auf seine Tochter losgegangen. Ohne Vorwarnung, kein Knurren, kein Bellen. "Der hat sich sofort in ihrem Arm verbissen und versucht, Fleisch herauszureißen."

"Ich wollte ihn außer Gefecht setzen."

Jürgen Pietz reagiert schnell, wirft sich mit seinem 102 Kilo schweren Körper auf das Tier und zieht es weg. Die Tochter entkommt, doch nun verbeißt sich die Bulldogge in den Vater. "Ich habe das Tier hochgezogen und mit der Leine durch die Luft geschleudert, bis mir die Kraft ausging", sagt Pietz. Schließlich sei es ihm gelungen, den Hund am Boden zu fixieren. Dann habe er das Halsband zugezogen. "Ich wollte ihn außer Gefecht setzen." Rund 20 Minuten dauert das Ganze, längst sind die ersten Polizeistreifen eingetroffen.

Doch die Polizisten halten Abstand. So jedenfalls schildert Jürgen Pietz die Szene. "Die sind bei ihren Autos geblieben, obwohl ich gerufen habe, dass ich den Hund nicht mehr lange halten kann." Fakt ist: erst als sich der American Bulldog schon nicht mehr rührte, näherten sich die Beamten. "Der Hund verendete noch vor Ort", heißt es im Polizeibericht. "Die Polizisten haben mir danach auf die Schulter geklopft und mich für meinen Mut gelobt. Das war eigentlich die größte Frechheit", sagt Pietz.

Die Polizei weist die Vorwürfe zurück. "Als die erste Streife eintraf, hatte der 54-Jährige das Tier schon sicher fixiert", sagt Peter Widenhorn, der Sprecher der Ludwigsburger Polizei. Ein Eingreifen wäre daher nicht sinnvoll, sondern gefährlich gewesen - weil der Hund sich dabei eventuell hätte befreien können. Auch hätten die Beamten aus gutem Grund beschlossen, die Bulldogge nicht zu erschießen.

Bis auf die Knochen

"Die Gefahr eines Querschlägers wäre an dieser Stelle zu groß gewesen, denn der Hund lag auf Asphalt." Allerdings räumt auch Widenhorn ein, dass "normale Streifenbeamte mit so einer Situation natürlich nicht vertraut" seien. Einer der Polizisten hat sich am Montag bei Jürgen Pietz entschuldigt. "Der Mann hat angerufen und zugegeben, dass die Kollegen völlig überfordert gewesen seien", berichtet Pietz, der nun überlegt, die Polizei wegen unterlassener Hilfeleistung anzuzeigen.

Der 54-Jährige wurde im Verlauf des Kampfes von der Bulldogge fünf Mal in den Arm gebissen. "Bis auf die Knochen", sagt er. Seine Tochter wurde so schwer verletzt, dass sie am Arm operiert werden muss. Mehrere Zeugen schildern, wie brenzlig die Lage vor dem Friedhof war. "Wenn der Vater nicht so beherzt agiert hätte, wäre das ein Fiasko geworden", erzählt ein Mann aus Gerlingen. Ein anderer Zeuge berichtet von einer Blutlache, die den Asphalt vor dem Friedhofseingang rot gefärbt habe. "Das war dramatisch." Die tote Bulldogge wurde zur Tierkörpersammelstelle gebracht.

Die Polizei hat Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung eingeleitet - nicht gegen Jürgen Pietz, denn der habe sich korrekt verhalten. "Wir werden prüfen, ob der Hundehalterin bewusst gewesen ist, dass ihr Tier so aggressiv reagieren kann", sagt Widenhorn. Die Frau aus Gerlingen weiß noch nichts von den Ereignissen: Sie ist im Urlaub. "Sie wird geschockt sein, denn sie liebt diesen Hund", sagt Jürgen Pietz. "Ich hoffe, dass sie nicht zu böse auf mich ist, aber was hätte ich machen sollen? Bei meinen Hunden hätte ich das Gleiche getan."

Der American Bulldog

Kampfhund Der American Bulldog gehört zu einer Kampfhunderasse. Dennoch werden die Tiere in Baden-Württemberg nicht von jener Polizeiverordnung erfasst, die Besitzern von Kampfhunden besondere Regeln auferlegt. Warum? "Als die Verordnung erstellt wurde, war der American Bulldog in Deutschland noch sehr selten", erklärt die Ludwigsburger Polizei.

Auflagen Während Halter von Staffordshire-Terriern, Bull-Terriern oder Pitbull-Terriern nachweisen müssen, dass ihre Hunde nicht gefährlich sind, entfällt dieser Wesenstest beim American Bulldog. Einen Maulkorbzwang für die Tiere gibt es nicht. Das Ludwigsburger Kreis-Veterinäramt betont aber: "Ein American Bulldog braucht eine konsequente Erziehung." tim