Noch müssen sich Audi, BMW und Mercedes-Benz in Brasilien mit einer kleinen Marktnische begnügen. Dennoch investieren die deutschen Autobauer kräftig und wollen dort auch produzieren.

Stuttgart - Audi, BMW, Daimler und Land Rover wollen in Brasilien Autos produzieren. Die angepeilten Stückzahlen sind gering, aber der Optimismus ist groß. BMW macht den Vorreiter: Die Bayern haben im Dezember bereits den Grundstein für eine Fabrik im südbrasilianischen Araquari gelegt. Von Oktober 2015 an sollen dort fünf Modelle vom Band laufen: Die 1er- und die 3er-Reihe, der X1, der X3 und der Mini Countryman. Die anderen Autobauer sind noch in der Planungsphase. Audi will von September 2015 an die neue A3-Limousine und ab Mitte 2016 den Geländewagen Q3 in Brasilien produzieren, Mercedes-Benz von 2016 an die neue C-Klasse und den Geländewagen GLA. Aber ist überhaupt ein hinreichend großer Markt vorhanden – jetzt, wo die Autohersteller nach Jahren stetiger Expansion in Brasilien erstmals schlechtere Aussichten haben, weil Kredite teurer sind und die Einkommen nicht mehr so wachsen? Übersteigt das Angebot nicht die Nachfrage?

 

Brasiliens Autoproduktion ist mittlerweile die viertgrößte der Welt. 2012 wurden 3,6 Millionen Autos verkauft, für 2017 rechnet der Verband der Automobilindustrie Anfavea mit 4,5 Millionen verkauften Autos. Die Unternehmen, die nun mit hochwertigen Wagen brasilianischer Produktion starten wollen, sprechen alle von 20 000 bis 30 000 Wagen pro Jahr. Also grob gerechnet 100 000 Autos – gut zwei Prozent wäre die Nische in dem Riesenmarkt also groß, die sie sich teilen müssen.

Für Marcelo Cioffi, den Auto-Spezialisten der Beratungsfirma PwC in São Paulo, sind der soziale Aufstieg, das höhere Einkommensniveau und die allgemeine Stabilität die Basis einer Nachfrage nach mehr Luxus in der Garage – den Brasilianern geht es besser, also wollen sie größere Autos fahren. Ein Trend, dem auch der Massenmarkt folgt: 2001 hatten 70 Prozent aller Neuwagen eine Ein-Liter-Maschine, heute sind es nur noch 40 Prozent. Auf der Angebotsseite seien „die Produkte neu positioniert“ worden, sagt Cioffi: Ein Preis von 100 000 Reais – rund 33 000 Euro – gelte bei vielen Konsumenten als Schmerzgrenze, und deshalb böten ausländische Autobauer importierte – und später dann vor Ort gefertigte – Fahrzeuge an, die zwar weniger üppig ausgestattet sind, aber das Limit nicht oder nur mäßig überschritten.

Wer lokal produziert, bekommt Steuervorteile

Cioffi spricht von „luxo acessível“, erschwinglichem Luxus. Wobei „Luxus“ relativ ist: Da Zölle und Steuern einen importierten Wagen in Brasilien um etwa 50 Prozent verteuern, beginnt der Luxus in Brasilien schon bei Modellen, die in Deutschland 22 000 Euro kosten.

Daimler ist mit seiner früheren A-Klasse in Brasilien gescheitert, Audi hat die Produktion des A3 in Brasilien vor sieben Jahren eingestellt, auch Land Rover hatte keinen Erfolg – warum soll jetzt klappen, was damals schiefging? „Die Unternehmen planen Produkte für ein ganz anderes Käuferprofil“, sagt Cioffi – halbwegs betuchte 40- bis 50jährige, deren Autos Platz haben sollen für die ganze Familie. Also Bedürfnisse, die damals weder die frühere A-Klasse von Mercedes noch Audis ehemaliger A3 befriedigen konnte. Ganz abgesehen davon, dass diese Autos damals zu teuer waren für den Markt. Vier Weltfirmen, die binnen kurzer Zeit eine eigene Produktion in einem neuen, bisher durch Importe versorgten Marktsegment ankündigen: Der Mechanismus, den sich die brasilianische Regierung für den Markt der Premiumautos ausgedacht hat, funktioniert also wie gewünscht. Wer lokal produziert, bekommt Steuervorteile, je höher der lokale Fertigungsanteil ist und je mehr in neue Technologie und Energieeffizienz gesteckt wird, desto größer fallen die Steuervergünstigungen aus. Und dennoch – warum Rieseninvestitionen in der Größenordnung von 200 Millionen Euro pro Fabrik in einem schwierigen Umfeld für so kleine Stückzahlen? „Erstens denken natürlich alle, dass die Tendenz zum Wachstum anhält“, sagt Cioffi, „und wer in Brasilien wachsen will, muss in Brasilien produzieren“.

Dass Brasilien selber gerade nicht so flott wächst wie vor ein paar Jahren, treffe die Kfz-Branche nicht so sehr, denn sie sei im vergangenen Jahrzehnt fast doppelt so kräftig gewachsen wie die Volkswirtschaft, „und der Premium-Bereich sogar noch stärker“. Die neun Prozent, die Daimlers Brasilien-Chef Phillip Schiemer dem Premium-Segment prophezeit, hält Cioffi für gegenwärtig „ein bisschen zu optimistisch“, aber womöglich auf lange Sicht zu erreichen. Und die Probleme? „Die größte Herausforderung liegt in der Nationalisierung der Komponenten“, sagt Cioffi, denn feinere Autos brauchen technisch hochwertige Teile, die noch nicht in Brasilien hergestellt, aber nur in kleineren Stückzahlen gebraucht werden. Audi und Mercedes seien dabei insofern besser positioniert, weil sie bereits in Brasilien präsent sind; Audi gehört zum Volkswagenkonzern, Mercedes-Benz baut bereits Lastwagen. Wie brasilianisch etwa ein BMW made in Brazil zu Anfang sei, also wie groß der lokale Fertigungsanteil sein werde, darüber lägen   keine Schätzungen vor.

Verkaufspreis lokal produzierter Autos sinkt wohl nicht

  Für den Konsumenten hat die lokale Produktion allerdings kaum Vorteile. Zwar dürften die Wartungskosten sinken und die Wiederverkaufswerte steigen, wenn ein Auto vor Ort gefertigt wird – aber der Verkaufspreis in Brasilien dürfte nicht sinken, sondern dem der Importautos gleichen. Natürlich macht die Branche dafür die um 30 Prozent höheren Stahlpreise, die Lohnnebenkosten, die Logistikprobleme und die bizarre Bürokratie Brasiliens verantwortlich. Einer PwC-Studie zufolge kostet die Produktion eines Autos in Brasilien 60 Prozent mehr als in China, „aber das hat uns viel weniger erstaunt als ein anderes Ergebnis“, sagt Cioffi: Dass Brasilien um 30 Prozent teurer ist als das eigentlich vergleichbare Mexiko.

Aber am Ende, sagt Cioffi, „definiert der Markt den Preis“. Soll heißen: Solange es Kunden gibt, die bereit sind, den geforderten Preis zu zahlen, wird er erstmal nicht sinken, und wie lange es dauert, bis sich in diesem kleinen Marktsegment die Konkurrenz auf die Preise auswirkt, sei schwer abzuschätzen. Dass die aufstrebende Oberschicht Brasiliens auch die absurdesten Preise schluckt, solange sie nur Zugang zu den globalisierten Markenprodukten hat, wissen die Importeure so gut wie aller Konsumgüter des gehobenen Bedarfs. Selbst eine unspektakuläre Jeans von GAP kostet in Brasilien 72 Prozent mehr als in den USA und verkauft sich dennoch gut. Und warum soll das bei Autos anders sein? Entscheidend auch für den Premiumbereich seien die Finanzierungsmöglichkeiten, sagt Cioffi, also der Zugang zu Krediten. Wie? Soll man denn auch ein 100 000-Reais-Auto in 72 Monatsraten abstottern, so wie das in den Schichten mit geringer Kaufkraft und bei kleinen Autos üblich ist? „Na ja, 72 Raten vielleicht nicht“, sagt Cioffi lachend, „aber 24 würden schon helfen“.