Ein Stadtspaziergang auf den Spuren Carl von Etzels zeigt den Eisenbahnpionier mit vielen, teils ins Vergessen geratenen Facetten. Im Dunkel der Geschichte versunken ist die „Schwimm- und Badeanstalt“ am Neckarufer, die Etzel am einstigen Damm hinter der Rosensteinbrücke realisiert hatte.

Bad Cannstatt - Ein Spaziergang zu Carl von Etzel muss seinen Ausgangspunkt natürlich am Bahnhof nehmen, denn dort beginnt 1845 mit der ersten Fahrt einer Dampflok die Württembergische Eisenbahngeschichte. Der historische Schienenstrang nach Untertürkheim, das waren die ersten 3700 Meter im entstehenden Netz, dessen Planung Etzel oblag. Zudem hatte er den Standort des Bahnhofes entscheidend mitbestimmt. Zum Symbol des Spaziergangs nimmt die Literaturwissenschaftlerin und Historikerin Alexandra Birkert freilich den „Schienenhaufen“, die Skulptur von Karl-Heinz Franke: „In ihrer Synthese aus Technik und Kunst spiegelt sie die beiden wichtigen Facetten des Eisenbahnpioniers, der selbst Künstler und Literaten inspiriert hat“, stellt Birkert eingangs fest – und skizziert dann dessen Biografie, die romanhafte Züge aufweist.

 

Umweg über die Theologie

Das Bauen schien Etzel, 1812 in Stuttgart geboren, in die Wiege gelegt. Er entstammte einer renommierten Baumeister-Familie, sein Vater etwa hatte einen Vorgängerbau der heutigen Wilhelmsbrücke entworfen. Humanistische Bildung und die schönen Künste charakterisierten „die Etzels“. Carl aber wandte sich der Theologie und erst nach Studienabschluss der Baukunst zu, wofür er mit seinem Vater vier Jahre lang privatissimi Grundlagen paukte. „Unreif an Verstand und mich selbst nicht kennend“ nannte er seinen Umweg in einem „Motivationsschreiben“ an den König, in dem er „unterthänigst um gnädige Zulassung zu der Prüfung für das Baufach“ bittet – und zugleich über die „Baukunst“ reflektiert:

Eine von zahlreichen, seminartauglichen Quellen, mit denen Birkert – nebst historischen Lithografien und Stadtplänen – in den wie im Fluge vergehenden zweieinhalb Stunden die Zuhörer in Etzels Zeit versetzt. Auch nach Paris, wo Etzel, der Schöngeist, auch den Dandy gibt, und nach Wien, wo er vier Jahre blieb und schnell reüssierte. Etwa als Architekt des Dianabades und als Fachmann für Eisenbahnbau, weshalb er 1843 von König Wilhelm in seine Heimat „zurückberufen“ wurde und als Oberbaurat mit dem Bau der württembergischen Linien betraut wurde. Als er den Cannstatter Bahnhof ins Werk setzte - der heutige, größere Bau stammt von 1915 – lag dieser noch „weit außerhalb, in der Pampa“, so Birkert. Als Zielpunkt von Kurgästen aus halb Europa stimulierte der Bahnbetrieb den Bau großer Hotels in Bahnhofsnähe. Etwa die „Restauration Mertz“, wo Eduard Mörike gerne „zu einem zweiten Glase Bier“ einkehrte. Der Plan war nun, „eine Verbindung zwischen dem Bahnhofe und dem Nekarhafen“ herzustellen. Eine schnurgerade Eisenbahnlinie auf der heutigen Bahnhofstraße, die sich beim Blick über den unförmigen Wilhelmsplatz bis an das sich krümmende Ende der Straße am Parkhaus Mühlgrund imaginieren lässt. Der Plan wurde 1856 aufgegeben, und zwar aus demselben Grund, der den Ausbau des Mühlkanals zum Hafenbecken an der heutigen Anlegestelle des Theaterschiffs Makulatur werden ließ: Der Erfolg der Eisenbahn, mit der Linie nach Heilbronn, grub der Neckarschifffahrt das Wasser ab.

Eine schnurgerade Eisenbahnlinie

Schräg gegenüber aber hat Etzel – beim Ausscheiden aus seinem Amt mit dem Adelstitel versehen – 1846 sein noch heute stehendes Wohnhaus gebaut, das Eckgebäude Pragstraße/Neckartalstraße. Dort, direkt vor der Haustüre, sollte am Neckarwehr auch nicht nur eine Bade- sondern auch eine Schwimmanstalt im Neckar entstehen. Vom Cannstatter Magistrat 1847 mit Begeisterung aufgenommen, hatte Etzel dieses dann auch realisiert. Das wurde bisher bestritten. Birkert aber glaubt, dies nun mit einem im Staatsarchiv Ludwigsburg gefundenen Aktenvermerk indirekt belegen zu können, „wo die Etzelsche Badeanstalt war“. Die aber ging schon bald nach der Eröffnung verloren: im Zuge zweier schwerer Sommerhochwasser des Jahres 1851.

Nun aber noch schnell zum historischen Rosensteintunnel, 1846 nach den Plänen von Etzel gebaut. Ein Zufall will, das just da Hermann Gökeler eine Führung macht und so ein Einblick möglich wird, was die Bedeutung dieses ersten Eisenbahn-Brückenschlages über den Neckar noch deutlicher macht. Da der Holzsteg jetzt gekappt ist, führt ein Umweg hinüber in die Eisenbahnstraße: Hier ging einst die zum Bahnhof führende Linie durch. „Tunnel“ war übrigens der Spitzname den Carl von Etzel in der Künstlergesellschaft „Bergwerk“ hatte. So bildet der „Schienenhaufen“ den sinnfälligen Zielpunkt dieses Rundganges.