Laisser-faire auf der Terrasse und Flaneure am Strand, während ein laues Lüftchen den Vorhang in der Balkontür flattern lässt: Die Ausstellung „Aufbruch Flora“ in der Staatsgalerie kitzelt die Sinne.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Auch wenn der Himmel in diesen Tagen grau und unwirtlich über den Städten hängen mag, so gibt es Trost. Die Staatsgalerie Stuttgart entführt in den sonnigen Süden. Warm fällt das Licht durchs saftig grüne Laub, leise klappern die Teetassen im Garten. Hier schlummert die Dame des Hauses im Liegestuhl, dort stehen frisch geschnittene Blumen in der Vase. Laisser-faire auf der Terrasse und Flaneure am Strand, während ein laues Lüftchen den Vorhang in der Balkontür flattern lässt. Wahrlich, hier lässt es sich wohl ergehen – das Museum als friedliche Sommerfrische.

 

Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler haben zu Beginn des 20. Jahrhunderts diese köstlich kulinarischen Bilder angekauft, sinnliche Landschaften, appetitliche Akte und farbenfrohe Stillleben, die vor allem eines vermitteln: Savoir-vivre, die Lust am schönen, sorgenfreien Leben. Hedy war die Tochter eines Textilherstellers, Arthur Augenarzt, beide also finanziell gut genug ausgestattet, um ihr Lebensmotto zu verwirklichen: „Il faut vivre son temps“ – man muss in seiner Zeit leben. In der Staatsgalerie Stuttgart kann man in der neuen Sonderausstellung aber feststellen, dass das für die beiden passionierten Kunstsammler mehr bedeutete als nur ein gutbürgerliches Leben mit gebildetem Müßiggang, teurer Kleidung und gutem Essen. In der Zeit zu leben meinte für die Schweizer Sammler auch, auf zeitgenössische Kunst zu setzen, auf die Künstler ihrer Generation, selbst wenn diese noch nicht in den Kanon aufgerückt waren. Finanziell mag das ein Risiko gewesen sein, ein sinnliches Vergnügen aber war es auch ohne die Adelung durch den Markt.

Lust am Augenschmaus

In der Staatsgalerie Stuttgart macht die Sammlung von Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler nun Station unter dem Titel „Aufbruch Flora“. Flora nannte sich die 1846 erbaute Villa der Familie in Winterthur, in der man inmitten der Kunst lebte – mit Édouard Manet überm Schreibtisch, Ferdinand Hodler neben dem Bücherschrank und Pierre Bonnard im Schlafzimmer. Die „Badende“ (1907) von Félix Vallotton, eine elegische Seenixe, die wie eine Erscheinung im Wasser steht, musste allerdings vom Salon ins obere Stockwerk verbannt werden, damit Besuchskinder keinen Schaden nahmen.

1995 wurde die Villa Flora als Museum eröffnet, 2014 musste man den Museumsbetrieb aus finanziellen Gründen schließen. Seither tourt die Sammlung. Nach der Etappe in Stuttgart wird sie im Kunstmuseum Bern eigene Räume erhalten. In der Neuen Staatsgalerie wurden die rund hundert Leihgaben durch Werke aus der eigenen Sammlung ergänzt, denn das Kuratorenteam will die Unterschiede zwischen privater und öffentlicher Ankaufspolitik aufzeigen. Die Bestände der Eheleute verraten deren Lust am Augenschmaus. Lasziv wirkt die „Stehende Odaliske“ (um 1918/19) von Henri Matisse, sie hat die Bluse, ein durchsichtiges Fetzchen, aufreizend geöffnet. Bei dem Gemälde der Staatsgalerie dagegen, das zwei Frauen „Bei der Toilette“ (1907) zeigt, so der Titel, stehen eher malerische Fragen im Vordergrund, die Körper sind reduziert, fast abstrahiert. Die Privatsammler haben häufiger auch zu kleineren Formaten gegriffen, greifen müssen, da sie erschwinglicher waren.

Stattdessen kann man in den Gemälden der Stirlinghalle schwelgen und die Sinne kitzeln lassen. Die verschiedenen Kabinette wurden den wichtigen Malern der Kollektion gewidmet: Pierre Bonnard, Félix Vallotton oder Ferdinand Hodler. Besonders schön auch die Zusammenstellung der Werke von Édouard Vuillard. Er mixte in seinen Interieurs Tapetenmuster, Kleiderdekore und Teppichornamente kühn zum optischen Vielklang. Bei seinem „Interieur mit Näherin“ (um 1910) erinnert er en passant auch an das alltägliche, nicht privilegierte Leben. Ungewohnt ist die Perspektive in Vuillards „Damespiel in Amfréville“ von 1906, bei dem der Maler vom Obergeschoss aus hinab auf die Menschen auf einer Terrasse schaut, und sich aus dem fleckigen Grund die Motive mitunter nur vage herausschälen.

Von Paul Cézanne entführt

Größer könnte der Kontrast zwischen Vuillard und Vallotton kaum sein, der selbst bei einem beiläufigen Blumenstillleben jedes Detail genau kalkuliert, der virtuos die Spiegelungen der Bäume auf der Wasseroberfläche einfängt und mit starken Farben, gestochen scharfen Flächen und trotz aller Direktheit und Präsenz der Motive eine fast magische Wirkung erzielt.

Vallotton hat übrigens auch die Sammlerfamilie porträtiert. 1908 besuchten Hedy und Arthur den Schweizer zum ersten Mal in seinem Pariser Atelier, 1937 veröffentlichte Hedy denn auch eine zweibändige Biografie über ihn. Vallottons Porträts der beiden sind fast sachlich und schmucklos, sie zeigen die Sammler ernst und besonnen. Auch die beiden Kinder wirken auf dem Doppelporträt von 1912 viel zu früh gereift, nüchtern und ausstaffiert in ihren gediegenen Kleidern. Ganz anders dagegen das Werk von Henri Manguin, der der Familie eng verbunden war. Es sah sich trotz eines flüchtigeren Strichs stärker der atmosphärischen Wirklichkeit verpflichtet, ob er nun den schönen Garten der Familie malte oder „Die Teestunde in der Villa Flora“ (1912), bei der die Damen entspannt im Schatten in sicherlich guten Büchern lesen.

Treibende Kraft des Sammlerpaars war Hedy. Sie hatte eine Ausbildung als Malerin, verlegte sich aber auf Kunsthandwerk und entwarf Textilien. Die Kunst nahm im Leben der Eheleute eine immer größere Rolle ein, man lud regelmäßig Kulturinteressierte in seinen Salon und stand in engem Kontakt zu den Malern. In einem Film kann man in der Staatsgalerie noch einige Eindrücke vom Leben in der Villa Flora erhaschen und entdeckt dort auch ein Wandornament, das in der Ausstellung auf vereinzelte Papierbahnen gedruckt wurde. So kunstvoll die Hausherrin ihre Tapeten ausgewählt haben mag – im Lauf der Jahre hatten Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler immer weniger davon. Die Wände waren zuletzt übersät mit Gemälden. Die Villa Flora wurde endgültig zum Museum, so dass sich die Familie mitten am Tag mal eben von Paul Cézanne in die Provence entführen lassen konnte oder mit Vincent van Gogh nach Paris fuhr zum Fest des 14. Juli.

Bis 18. Juni,
geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18, Donnerstag 10 bis 20 Uhr