Die anzüglichen Bemerkungen Rainer Brüderles haben eine Diskussion entfacht. Doch was tun Unternehmen und Kommunen, wenn ihre Mitarbeiter zu weit gehen? Erik Raidt hat bei der Stadt Stuttgart, bei Bosch, Daimler und der Uni Stuttgart nachgefragt.

Stuttgart - „Ich finde es besser, wir halten das hier professionell.“ Mit diesem Satz will die „Stern“-Reporterin Laura Himmelreich den FDP-Politiker Rainer Brüderle in einer Stuttgarter Hotelbar auf Distanz gehalten haben. Sexismus am Arbeitsplatz ist ein heikles Thema – auch für viele Unternehmen, die oft auf allgemeine Verhaltensrichtlinien verweisen, aber von konkretem Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter nichts wissen wollen. Die meisten größeren Unternehmen haben in den vergangenen Jahren Regeln für den Umgang von Mitarbeitern untereinander festgelegt. Wer sich über anzügliches Verhalten beschweren will, kann sich an Fairness- oder Gleichstellungsbeauftragte wenden. Auch Kommunen haben Beschwerdestellen eingerichtet.

 

Die Stuttgarter Gleichstellungsbeauftragte Ursula Matschke kann sich noch gut an den Fall erinnern, der ihr Referat vor rund einem Jahr beschäftigt hat: Ein Mitarbeiter der Stadt belästigte eine Frau über einen längeren Zeitraum hinweg mit Mails „sexistischen und pornografischen Inhalts“. Die Betroffene habe diese Anzüglichkeiten gemeldet, im Zuge der Recherche sei es gelungen, die Mail zurückzuverfolgen und ihr einen Adressaten zuzuordnen. Die Belästigung hatte für den Täter Konsequenzen: Die Polizei wurde eingeschaltet.

Viele Täter kommen ungeschoren davon

Diesen Einzelfall wertet Ursula Matschke als „Stalking, das für das jeweilige Opfer mit einer großen psychischen Belastung verbunden ist“. Doch so offensichtlich die Grenzüberschreitung in diesem Fall erscheint, so schwierig ist die Bewertung in vielen anderen Fällen: Was kann noch als flapsiger Spruch durchgehen und was ist so eindeutig sexistisch und untragbar, dass ein Dienstvergehen vorliegt, das möglicherweise arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht? In dieser Grauzone kommen viele Täter ungeschoren davon, glaubt Ursula Matschke, „weil sich manche Frauen scheuen, solche Vorfälle gegenüber ihren Vorgesetzten anzudeuten. Sie haben Angst davor, dass etwas auf sie zurückfallen könnte.“ Zwei Aspekte spielen eine Rolle, wenn sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter über Sexismus beschweren will – einer der beiden erleichtert es den Opfern, sich zu wehren, der andere erschwert es ihnen: Wenn sich ein Mitarbeiter belästigt fühlt, kann er seinen unmittelbaren Vorgesetzen einschalten. Es ist dessen Aufgabe, das Problem zu lösen. Das potenzielle Opfer kann sich aber auch an andere Anlaufstellen wenden – beispielsweise an die Stabsstelle für Chancengleichheit. Die Regeln sind klar.

„Es geht auch um das subjektive Befinden“

Auf der anderen Seite steht vor einer solchen Beschwerde oft eine unsichtbare Hürde: die eigene Scham des Opfers. „Viele Frauen erdulden Sprüche und Anzüglichkeiten von Männern, auch weil klassische Abhängigkeitsverhältnisse bestehen“, erzählt die Stuttgarter Gleichstellungsbeauftragte. Ursula Matschke nimmt daher an, dass es beim Thema Sexismus eine Dunkelziffer von Fällen gibt, die nie geahndet werden.

Genau hier liegt eines der Probleme in der nach dem „Fall Brüderle“ geführten Sexismus-Debatte, die Talkshows, Zeitungen und soziale Netzwerke beschäftigt: Objektive Zahlen sind genauso schwer zu erheben, wie eindeutige moralische Urteile gefällt werden können. „Beim Thema Sexismus geht es auch um das subjektive Befinden“, sagt Hans-Herwig Geyer, der Sprecher der Universität Stuttgart – gleichzeitig betont er jedoch, dass es für den Fall der Fälle eindeutige juristische Grundlagen gibt: beispielsweise das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (siehe Infokasten).

Arbeitsrechtliche Sanktionen

Wenn sich an der Universität Mitarbeiter oder Studierende belästigt fühlen, können sie sich an die Beschwerdestelle wenden, die organisatorisch bei der Leitung des Personaldezernats angesiedelt ist. Dabei werde die „Sensibilität des vorzutragenden Falls“ berücksichtigt, so Geyer. Das Signal soll lauten: solche Fälle sind Chefsache. Im Alltag hat sich die Stuttgarter Uni bisher relativ selten mit Fällen von Sexismus oder sexueller Belästigung auseinandersetzen müssen – laut Geyer würden jährlich ein bis zwei Fälle vorgetragen. Gegebenenfalls drohen Sanktionen arbeitsrechtlicher Art: „Abmahnung, Versetzung oder Kündigung.“ Je nach Schwere des einzelnen Vergehens.

Solche Fälle kommen in den bestgeführten Unternehmen vor – auch dann, wenn entsprechende Verhaltensrichtlinien Grenzen abstecken. Über konkrete Fälle redet man in der Geschäftswelt aber höchst ungern. So steht in den Leitlinien der Daimler AG: „Jegliche Form der Belästigung oder Mobbing ist bei Daimler untersagt. Wir treten solchem Handeln entschieden entgegen.“ Auf die Nachfrage, wie man dem konkret entgegentrete und wie oft dies in den vergangen Jahren geschehen sei, heißt es jedoch: „Kein Kommentar.“

Wegschauen und ausblenden

Etwas redseliger gibt man sich bei Bosch. „Wenn sich einer unserer Mitarbeiter belästigt fühlt, kann er sich an seine Vorgesetzten wenden“, sagt Sven Kahn, der bei Bosch für den Bereich Personal & Soziales spricht. Außerdem sei die betriebliche Sozialberatung des Unternehmens eine weitere mögliche Anlaufstelle, dort gebe es auch Mediationsangebote. Gleichzeitig hat das Unternehmen eine Beschwerde-Hotline eingerichtet – hier können Mitarbeiter mögliche Verstöße gegen die unternehmensinternen Leitlinien anzeigen und dabei zunächst anonym bleiben. Wie viele Fälle von sexuellen Anzüglichkeiten und Belästigungen beispielsweise in der Sozialberatung besprochen werden, kann der Sprecher jedoch nicht sagen: „Das wird in dieser Form nicht erfasst.“

Wegschauen und ausblenden – diese Strategie funktioniert nicht mehr in der Arbeitswelt. Zumindest wird sie nicht offiziell gedeckt. Auch im Einzelhandel menschelt es – bei Galeria Kaufhof regelt seit 2004 eine Gesamtbetriebsvereinbarung „partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“. In den Filialen, so ein Konzernsprecher, stünden „Fairnessbeauftragte“ als Ansprechpartner bereit, man nehme die von „Mitarbeitern empfundene Belästigung ernst“. In Einzelfällen habe man denjenigen, von denen die Belästigungen ausgingen, gekündigt.