Durch die Ansiedlung des Entwicklungszentrums von Bosch verändert sich das Gesicht Renningens. Wie wird es in ein paar Jahren aussehen?

Renningen - Wolfgang Faißt, 53, ist ein glücklicher Mensch. Dem Bürgermeister der Stadt Renningen im Kreis Böblingen ist nämlich etwas gelungen, was den allermeisten seiner Amtskollegen in ihrem Schultesleben nicht widerfährt: Er hat einen Global Player, eine international operierende Firma, in seiner kleinen Kommune angesiedelt. Das neue Bosch-Entwicklungszentrum koordiniert die weltweite Forschung des Technologiekonzerns, bringt 1700, später vielleicht sogar 7500 Arbeitsplätze nach Renningen. Die 15 000-Einwohner-Kommune steigt durch diesen Coup in eine höhere Liga auf, darf sich von sofort an zur Wirtschaftselite der Region Stuttgart zählen. „So etwas gelingt nur alle hundert Jahre“, sagt Wolfgang Faißt. „Das hat auch etwas mit der Lagegunst zu tun.“

 

Lagegunst – das ist ein abstrakter Ausdruck dafür, dass auf einem ehemaligen Militärflugplatz ein Tüfteltempel für Bosch-Ingenieure und -Forscher entstanden ist. Außer dem Böblinger Flugfeld gab es in der Region keine ähnlich große zusammenhängende freie Fläche. Und so wurde Bosch für die Stadt zum Glücksfall und zur Herkulesaufgabe zugleich.

Wolfgang Faißt steht den Freien Wählern in Baden-Württemberg vor und wollte vor Kurzem noch Landrat im Rems-Murr-Kreis werden. Es ist anders gekommen. Nun steht er auf dem Ernst-Bauer-Platz in der Renninger Ortsmitte, der ein völlig neues Gesicht bekommen hat – mit einem modernen Café, schicken Pflastersteinen und plätschernden Springbrunnen. „Der Platz hat jetzt eine ganz neue Aufenthaltsqualität“, sagt der Bürgermeister. Sogar in die über viele Jahre eher triste Bahnhofstraße, die den lang gestreckten Ort durchzieht, ist neues Leben eingekehrt. Und Wolfgang Faißt, der Chef dieser prosperierenden Kommune, sieht so stolz aus wie Jogi Löw nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft.

Die neue Ortsmitte

Der Ernst-Bauer-Platz ist nur eines von vielen Beispielen, wie sich die Kleinstadt zurzeit verändert. Ein anderes ist ein Großhotel namens Campo, das im Gewerbegebiet entsteht. Eine lokale Investorengruppe schafft für 5,5 Millionen Euro 110 Hotelbetten in Sichtweite des großen Bosch-Hochhauses, das mit seinen 60 Metern zum Symbol des Aufschwungs geworden ist. Weitere Stockwerke und sogar ein zusätzlicher Hotelflügel sind laut den Plänen möglich. Offenbar geht in Renningen jeder davon aus, dass das Wachstum in den kommenden Jahren unvermindert anhält.

Hans-Dieter Spieß, einer der Investoren, betreibt bislang in Renningen ein Lokal mit Übernachtungsmöglichkeiten. Der Gastronom greift nach den Sternen: Er wird künftig das Campo-Hotel betreiben. Es soll Geschäftsleute, internationale Mitarbeiter und Kunden von Bosch beherbergen. Im kommenden Januar ist die Eröffnung, die Nachfrage ist gewaltig. Das merkt Spieß schon jetzt mit seiner bisherigen überschaubaren Hotellerie: „Wenn eine Reservierung storniert ist, wird das Zimmer binnen 15 Minuten wieder vergeben.“

Am deutlichsten sieht man das schnelle Wachstum im Baugebiet Schnallenäcker. In Sichtweite des Bosch-Entwicklungszentrums entsteht eine der größten neuen Wohnsiedlungen der Region Stuttgart. 440 Häuser für 1100 Einwohner werden errichtet – im ersten Abschnitt. Langfristig könnten hier bis zu 5000 Neu-Renninger unterkommen. Es scheint fast so, als stünden sich die Baukräne gegenseitig im Weg. „Beim Start für die privaten Bauherren im September mussten wir die Arbeiten koordinieren“, berichtet Wolfgang Faißt und schmunzelt. Der Bürgermeister steht bei der Einweihung eines Bolzplatzes freudestrahlend auf dem grünen Rasen, das neue Spielfeld liegt direkt neben dem Großbaugebiet. Die ersten Kinder sind bereits mit ihren Fußbällen angerückt – und auch der Schultes tritt mit Verve gegen das Leder. Er ist gut drauf.

Wie in einem neuen Fußballstadion war Rollrasen verlegt worden, damit die Eröffnung des Bolzplatzes möglichst schnell erfolgen konnte. Denn wenn die neuen Bürger hierherziehen, sollen sie eine perfekte Infrastruktur vorfinden. Dazu gehört auch die Kindertagesstätte am anderen Ende des Wohngebietes. Bosch hat sich eine Reihe von Betreuungsplätzen reservieren lassen und belegt zudem über eine Baugesellschaft ganze Blöcke in dem Wohngebiet. Schnallenäcker II, wie das Areal offiziell heißt, ist auch ein Brückenschlag: Damit wachsen die beiden Stadtteile Renningen und Malmsheim endgültig zusammen, die in den 1970er Jahren freiwillig fusionierten. Jetzt ist die Einheit der Stadt vollendet.

Die Schattenseiten des Wachstums

Auch beim Thema Verkehr tut sich einiges. Straßen wurden in den vergangenen Jahren gebaut, die Stadt möchte die viel befahrene Kreuzung der Bundesstraße B 295 mit der B 464, die von Sindelfingen nach Renningen führt, vom Land ertüchtigen lassen. Mit der S 6 und der S 60 gibt es zwei S-Bahn-Linien und möglicherweise mit der Hesse-Bahn irgendwann noch eine Verbindung in den Schwarzwald.

Doch der Renninger Aufschwung hat auch Schattenseiten. Die vielen neuen Last-, Dienst- und Privatwagen machen zusätzlichen Lärm und mehr Abgase. Der Anwohner Wilhelm Schumm im Wohngebiet Kindelberg hört jeden Tag den Krach der B 295. „Als ich hier 1984 gebaut habe, war es ruhig“, sagt er und fordert einen Lärmschutzwall an der Bundesstraße – doch dieser würde Millionen kosten. So viel Geld hat die Stadt nicht, denn noch ist der Bosch-Effekt bei den Gewerbesteuereinnahmen nicht eingetreten. Schumm und seine Mitstreiter hoffen, dass der Lärmschutzwall doch noch gebaut wird, wenn der Euro erst einmal von Bosch in Richtung Rathaus rollt. Fakt ist jedoch, dass die Stadt zurzeit sogar einen Steuereinbruch verkraften muss. Zudem rechnet Renningen mit wesentlich geringeren Einnahmen durch Bosch, als die reiche Nachbargemeinde Weissach durch Porsche erhält.

Dennoch errichtet die Kommune ein neues Bildungszentrum, sogar ein Kulturzentrum ist geplant. Renningen wird urbaner werden, seinen Charakter verändern. Das Wort „Boomtown“ hört Wolfgang Faißt jedoch gar nicht gerne – weil es die Angst weckt, die Überschaubarkeit der Kleinstadt könnte verloren gehen. „Wir bleiben eine attraktive Wohngemeinde mit Charme“, verspricht der Rathauschef und zählt zwei positive Effekte für Bürger und Umwelt auf: Die Vereine würden mehr Sportplätze bekommen, und der durch den Stadtteil Malmsheim fließende Rankbach werde schön hergerichtet. Kein Grund zur Sorge also.

Besuch von der Bundeskanzlerin

Einen Vorgeschmack auf die neue Bedeutung der Kommune bekamen Wolfgang Faißt und die Gemeinderäte kürzlich, als sie Angela Merkel bei der Eröffnung des Bosch-Zentrums begegneten. Mit der Bundeskanzlerin waren 180 Journalisten aus aller Welt angereist. „Das ist schon beeindruckend, alles schaut auf Renningen“, sagte die grüne Gemeinderätin Martina Siedentopf, und auch die anderen Lokalpolitiker standen staunend mit großen Augen in dem riesigen Foyer des Bosch-Hochhauses.

Das Entwicklungszentrum ist zwar eine Art Parallelwelt, in der sich die meisten Renninger nicht bewegen werden, doch die Firma Robert Bosch bemüht sich als stiftungsgeführtes Unternehmen durchaus, auch im Alltag der Nicht-Bosch-Mitarbeiter präsent zu sein. Erst am Dienstag hat sie einen namhaften Betrag für eine neue Bürgerstiftung gespendet – die damit erst richtig zum Leben erwacht.

Und auch wenn es um den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur geht, könnte der neue Partner der Stadt helfen. So soll der Bosch-Chef Volkmar Denner kürzlich beim Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann angerufen haben, um den Ausbau der Verkehrsachsen voranzutreiben. Dies erzählt jedenfalls ein ehemaliger Bosch-Manager, der einen guten Kontakt zur Führungsspitze hat.

Die Uhren gehen ein wenig schneller in Renningen, seit die 1700 Entwicklungszentrums-Mitarbeiter in der Stadt täglich ein- und ausgehen. Und der Bürgermeister erntet nun die Früchte seiner jahrelangen Aufbauarbeit. Dementsprechend zufrieden wirkt Wolfgang Faißt. Vielleicht ist er sogar froh, nicht Landrat im Rems-Murr-Kreis geworden zu sein. In seinem typischen Duktus sagt er: „Wir entwickeln die Stadt attraktiv weiter.“ Bosch sei Dank.