Tausende Anhänger der linksgerichteten, türkischen Partei HDP sind am Samstag in die MHP-Arena geströmt. Eine befürchtete Auseinandersetzung mit Gegnern blieb jedoch aus.

Ludwigsburg - Er ist ihr Held. Als Selahattin Demirtas am Samstagnachmittag die Bühne in der Ludwigsburger MHP-Arena betritt, kennt das Publikum schier kein Halten mehr. Die rund 6000 Zuschauer springen von ihren Sitzen, klatschen frenetisch Beifall, jubeln, rufen, schreien. Minutenlang winkt der Vorsitzende der kurdisch geprägten Partei HDP der Menge zu, während sich immer mehr Fans direkt vor die Bühne drängen. Nur mit Mühe halten die rund 20 Sicherheitsmitarbeiter, die vor der Bühne eine Kette gebildet haben, die euphorisierten Demirtas-Verehrer zurück.

 

Hunderte Smartphones werden in die Luft gehalten, um Demirtas im Bild zu haben. Vor der Bühne versuchen junge Mädchen, sich zusammen mit ihrem Helden auf einem Selfie zu verewigen. Mütter schieben ihre Kinder nach vorne, damit auch sie einen Blick auf das große Vorbild erhaschen können. Erst als der 42-Jährige anfängt zu sprechen, wird es ruhiger. Demirtas appelliert an die Menge, die HDP beim Kampf gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu unterstützen, und bei der Parlamentswahl in der Türkei am 1. November ihre Stimme abzugeben. Er betont, dass seine Partei dafür stehe, den Unterdrückten eine Stimme zu geben, sie stehe für Vielfalt, für Freiheit und Gerechtigkeit.

Die HDP hat etwas Einmaliges geschafft

Immer wieder wird der HDP-Vorsitzende von Jubel, Beifall und „Demirtas“-Rufen unterbrochen. „Sie sehen in ihm den zukünftigen Präsidenten der Türkei“, erklärt Ergün Özcan. Er ist Landessekretär der alevitischen Gemeinde in Baden-Württemberg und Mitorganisator der Wahlkampfveranstaltung in der MHP-Arena. Auch er ist ein großer Fan von Demirtas. „Er hat es innerhalb von einem Jahr geschafft, alle Minderheiten in der Türkei in der HDP zu vereinen“, lobt er. Kurden, Aleviten und Armenier gehörten ebenso dazu wie Syrisch-Orthodoxe und Homosexuelle: Das sei einmalig. Deshalb sei es wichtig, den Erfolg der HDP bei den Wahlen im Juni – damals holte sie 13 Prozent der Stimmen – bei den Neuwahlen im November noch zu vergrößern. Die türkischen Staatsbürger in Deutschland, die seit diesem Jahr in der Türkei wählen dürfen, könnten dazu beitragen, der HDP mehr Macht zu verleihen.

Auf noch mehr Stimmen für diese Partei hofft auch Sidar Carman, die ebenfalls an der Organisation der Veranstaltung beteiligt ist: „Ich hoffe, dass die Türkei endlich den Weg Richtung Demokratie findet, damit Ruhe und Frieden einkehren.“ Özcan Yagdi betont: „Demirtas ist der Einzige, den man wählen kann.“ Der 20-Jährige ist zwar deutscher Staatsbürger und kann in der Türkei gar nicht seine Stimme abgeben. Aber er ist trotzdem von Waiblingen nach Ludwigsburg gekommen: „Ich will Demirtas einmal live sehen“, erklärt er.

Rund 2000 Anhänger harren vor der Halle aus

So geht es offenbar auch vielen anderen. Neben den rund 6000 Besuchern in der Arena harren draußen rund 2000 weitere Anhänger stundenlang aus: Sie passen nicht mehr in die ausgelastete Halle, hoffen aber, doch noch einen Blick auf Demirtas erhaschen zu können.

Die Polizei, die mit einem Großaufgebot von mehreren Hundert Einsatzkräften präsent ist, hat ihre liebe Mühe, ihnen die Situation zu erklären und sie zurückzuhalten – doch letztlich gelingt es. Auch die befürchteten Auseinandersetzungen mit Anhängern der türkischen Regierungspartei AKP bleiben aus, eine ursprünglich angemeldete Gegendemonstration war kurzfristig abgesagt worden. Man wolle die Sicherheit nicht gefährden, hieß es von den Organisatoren. In den vergangenen Wochen hatte es mehrfach gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern der AKP gegeben, auch in Stuttgart.

Vor Demirtas warben in der MHP-Arena am Samstag unter anderem auch Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen, der FDP-Politiker Tobias Huch, die Bundestagsabgeordnete der Linken, Heike Hänsel, und Hüseyin Mat, der Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde in Deutschland, für die HDP. Auch sie wurden mit frenetischem Beifall empfangen.

Junge Partei in der Türkei

Parlament
Die HDP ist eine politische Partei in der Türkei, die sich vor allem für Minderheitenrechte – insbesondere für die kurdische Minderheit – einsetzt. Die Abkürzung HDP steht für Halkların Demokratik Partisi, auf Deutsch: Demokratische Partei der Völker. Die HDP besteht seit 2012 in der heutigen Form und holte bei den Wahlen im Juni 13,1 Prozent der Stimmen. Sie ist die erste pro-kurdische Partei überhaupt, die direkt ins Parlament gewählt wurde.

Veranstaltung
In der MHP-Arena fand die einzige HDP-Wahlveranstaltung in Süddeutschland statt. Es kamen Menschen aus der gesamten Region Stuttgart und darüber hinaus, unter anderem auch aus Heidelberg, Mannheim, Ulm und Heilbronn.