Deutsche Forscher wollen Menschen effizienter von einem Stockwerk ins andere bringen. Das würde noch höhere Wolkenkratzer ermöglichen. Dazu müssen die Fahrstühle schneller werden. Oder man nutzt eine neue Antriebstechnik: mit Magneten statt Seilen.

Stuttgart - Im Grunde ist ein Aufzug so wenig effizient, als gäbe es zwischen zwei Großstädten nur eine eingleisige Bahnverbindung und einen einzigen Zug, der ständig hin- und herfährt. Hochhausplaner hatten daher lange Zeit nur eine Stellgröße, den Personenverkehr in der Vertikale zu bewältigen: mit der Zahl der Aufzugsschächte, die dann aber bis zu einem Drittel der teuren Geschossfläche einnehmen.

 

Zwei schnellere Aufzugkonzepte stachen in jüngster Zeit hervor: Zum einem verknüpften Techniker zwei Aufzugkabinen zu einem Doppeldeckeraufzug, der Personen auf zwei Geschossebenen gleichzeitig aufnimmt und später wieder ausspuckt. Zum anderen schafften es Ingenieure des deutschen Herstellers Thyssen-Krupp in einem Schacht zwei Kabinen unabhängig voneinander verkehren zu lassen.

Im Konzept von Thyssen-Krupp hängen beide Kabinen an eigenen Stahlseilen. Den Kollisionsschutz garantiert die Elektronik. In der Regel merkt der Nutzer gar nichts von diesen Aufzugkonzepten. Allenfalls fällt auf, dass nicht mehr an der Aufzugtür der Knopf für „hoch“ oder „runter“ gedrückt werden muss, sondern das Zielstockwerk auf einem Display. Die Software gleicht dann Position und Fahrtrouten der Aufzüge ab und weist einen Aufzug zu.

In Rottweil entsteht ein Forschungsturm

In den Ballungszentren schießen immer mehr Hochhäuser in den Himmel. Gerade für Schwellenländer werden Rekordbauten zum Prestigeobjekt. Mit dem Kingdom Tower soll in Saudi-Arabien bald die 1000-Meter-Marke übertroffen werden. Aktueller Spitzenreiter ist der 2010 fertig gestellte Burj Khalifa mit 828 Meter Höhe. Der längste Aufzug legt dort 500 Meter zurück. Doch das sind nur die Spitzenreiter. Vergangenes Jahr wurden weltweit 97 Gebäude mit Höhen über 200 Metern gebaut, 74 davon in Asien. In Deutschland gibt es fünf, alle stehen in Frankfurt am Main.

Einen sechsten Turm dieser Höhe baut Thyssen-Krupp derzeit in Rottweil am Neckar. Es ist ein reines Funktionsgebäude für die Aufzugforschung, 246 Meter hoch, bei 232 Metern soll eine Aussichtsplattform liegen. Derzeit sieht man dort nur den Schlund eines 30 Meter tiefen Baulochs. Umweltminister Franz Untersteller sagte bei einem Besuch, dass er sich „einen Impuls für ein umweltbewusstes und verantwortungsbewusstes Wirtschaften“ erhoffe. Elf Aufzugsschächte sind geplant, neun für die Forschung, einen für Besucher und einen für die Feuerwehr. Mitte 2015 soll das Gebäude im Rohbau stehen. 2016 soll der Forschungsbetrieb anlaufen.

Mindestens zwei Aspekte haben die Forscher im Blick. Zum einen wollen sie die klassischen Seilaufzüge auf Hochgeschwindigkeit trimmen. Schon heute bewegen sich Aufzüge mit Geschwindigkeiten bis 36 Stundenkilometer, wobei Letzteres der Geschwindigkeit von Usain Bolt auf seinem 100-Meter-Rekordlauf entspricht. Doch die Forscher sprechen schon über eine Verdopplung. Der Lift der Zukunft würde 100 Meter benötigen, um auf 72 Stundenkilometer zu beschleunigen, und weitere 100 Meter zum Bremsen. Dazu brauchen die Forscher hohe Testtürme, erläutert Stephan Rohr, Ingenieur im Entwicklungszentrum von Thyssen-Krupp Elevator in Neuhausen bei Stuttgart.

Die Aufzugskabine berührt das Gebäude nicht mehr

Zunächst hatte Thyssen-Krupp überlegt, die Testaufzüge in einen Bergwerksschacht in die Tiefe zu verlegen, wie es auch ein Wettbewerber tut, berichtet Michael Ridder, Sprecher von Thyssen-Krupp in Essen. Doch Forschung an Aufzügen bedeutet auch, das Eigenleben eines realen Gebäudes zu berücksichtigen, also zum Beispiel die Kräfte von Wind und Wetter, die sich über das Gebäude auf den starren Aufzug im Innern übertragen.

Das zweite Forschungsthema ist der Aufzug ohne Seil. Hier kombinieren die Ingenieure gewissermaßen das Prinzip des Paternosters mit Transrapid-Technik. Wie bei einem Paternoster verkehren beim sogenannten Multi-Aufzug mehrere Kabinen in einem Schacht. Beim Paternoster sind die Kabinen über Ketten im stetem Kreislauf durch zwei Schächte gehalten. Beim Multi bewegen sich die Kabinen einzeln, gehalten nur durch magnetische Kräfte. Das funktioniert wie bei der Magnetschwebebahn Transrapid, die Thyssen-Krupp mitentwickelt hat. Beim Transrapid ist die Fahrbahn der Motor: ein fließendes Magnetfeldraster zieht einen Waggon mit.

An der RWTH Aachen betreibt Rüdiger Appunn einen Modellaufzug im Maßstab eins zu drei. Die reale Höhe des Modellaufzugs von fünf Metern entspricht also einer simulierten Höhe von 15 Metern. „Der Linearantrieb im Aufzug besteht aus einem passiven Teil und einem aktiven Part“, erklärt der Elektroingenieur. An den zwei gegenüber liegenden Kabinenecken befinden sich Permanentmagnete, die ein statisches Magnetfeld erzeugen. Im Schacht hingegen sind entlang einer Schiene Magnetfeldspulen angeordnet, im Modell auf zehn Zentimetern sechs Spulen.

Neue Chancen für Architekten

Mit den Spulen können die Ingenieure ein steuerbares Magnetfeld erzeugen: „Die Kabine hängt in diesem Magnetfeld und wird mitgezogen“, erklärt Appunn. Zwei weitere Führungsschienen stabilisieren die Lage der Kabine ebenfalls über Magnetfelder und schaffen damit einen etwa drei Millimeter großen Luftspalt zwischen Kabine und Schienen. Die Kabine schwebt berührungslos im Schacht. „Dadurch haben wir keinen Verschleiß durch Reibung und keine Geräusche“, sagt Appunn.

Das weckt aber Sicherheitsängste. Was passiert, wenn Strom und Magnetfeld ausfallen? Fällt dann auch die Kabine? „Wenn die Kabine fällt, erzeugen die Permanentmagnete der Kabine in der Schiene ein Gegenfeld, das die Kabine hält“, erklärt Appunn. Die Kabine geht dann sanft nach unten. Aber natürlich werde es auch eine mechanische Bremse geben. Im Rottweiler Forschungsturm will Thyssen-Krupp das System im realen Maßstab testen.

Die Multi-Kabinen fahren individuell und können an speziellen Haltepunkten auch in die Horizontale verzweigen, um dann entweder längere Passagen zur Seite zu fahren oder die nächste Röhre wieder abwärts. Bislang existieren allerdings nur Einzelbauteile des Gesamtsystems, etwa für den Richtungswechsel, sowie Computermodelle. Am Höchstleistungsrechenzentrum in Stuttgart begutachten die Ingenieure ihre Modelle dreidimensional in einer sogenannten Cave. „Änderungen am System können wir uns dann sogleich in der Simulation ansehen“, erklärt Ridder.

Als Geschwindigkeit gibt Thyssen-Krupp rund 18 Stundenkilometer an. Das ist vergleichsweise langsam. Doch durch die flexible Einzelkabinensteuerung soll die Förderkapazität pro Schacht um 50 Prozent gesteigert werden können. Bis zur Marktreife von Multi könnten allerdings noch zehn Jahre vergehen. Die Aussicht könnte Architekten allerdings auf neue Ideen bringen. Der Ein-Meilen-Tower, der rund 1600 Meter hoch wäre, scheiterte bisher an den fehlenden Aufzugkonzepten.