In Rottweil haben sie schon geglaubt dass der gigantische Turmkoloss der Firma Thyssen-Krupp auf ewig nackt bleibt. Wird es jetzt endlich etwas mit der Verhüllung?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Rottweil - Auf dem malerischen Rottweiler Bockshof gibt das Zimmertheater „My Fair Lady“. Der historische Pulverturm fungiert als Gasthaus Zum Pulverfass. Unter den Bäumen wird gespielt, gesungen, getanzt. Nur für den Aufzugstestturm, der vom Bockshof besonders gut zu sehen ist, hat der Regisseur keine Verwendung. Das Publikum stört sich dennoch nicht an der Kulisse mit dem nackten Betongiganten. „Er macht sich doch“, sagt Holger Schmid zuversichtlich.

 

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Es dürfte der momentan schwindelerregendeste Arbeitsplatz im Land sein: Mehr als 200 Meter über dem Erdboden des Industriegebiets Berner Grund versuchen 24 Freikletterer der Firma Taiyo Europe rund um den Turm eine Membran fest zu machen. Als ein Segel hängt, müssen sie wieder hinunter: eine Unwetterwarnung. „Es nervt“, sagt Frank Höreth, der Leiter des Projektmanagements bei der Münchner Spezialfirma. Doch ein Blitzeinschlag in dem 246 Meter hohen Gebäude könnte die Männer ihr Leben kosten. Für Taiyo ist es nicht die erste Verzögerung an dieser spektakulären Baustelle.

Eigentlich sollte der 40 Millionen Euro teure Turm der Firma Thyssen-Krupp Elevator seit Dezember fix und fertig sein. Tatsächlich sausen seit Anfang des Jahres bereits die Testaufzüge hoch und runter. Doch die Arbeiten an der Außenhaut kamen lange Zeit nicht voran. „Wir hatten es uns leichter vorgestellt“, räumt Höreth ein.

Experten hatten es sich leichter vorgestellt

Außen hui, innen pfui, hieß es all die Monate. Tatsächlich wurde in der Stadt schon darüber spekuliert, dass es beim Anblick des nackten Betons bleiben könnte. „Wir haben viele Rückschläge einstecken müssen“, sagt Höreth. Schon die genaue Platzierung der Vermessungspunkte habe sich schwierig gestaltet. „Der Turm hält ja nie still.“ Allein durch die Sonneneinstrahlung krümme sich das Gebäude locker um 30 Zentimeter nach der Schattenseite, schätzt Höreth. Hinzu kämen die Windlasten, wegen denen auch der vorgesehene Installationskorb nicht zum Einsatz kommen konnte. Die Techniker konstruierten eine Plattform, die auf Schienen den Turm hinauf und hinunter fahren kann und deshalb weniger baumelt. Aber diese musste erst zugelassen werden. „Wir sind zusammen mit dem Tüv einen weiten Weg gegangen“, seufzt Höreth, für dessen Unternehmen das Projekt längst zu einem Zuschussgeschäft geworden ist.

72 Membranfelder werden angebracht

Doch jetzt sind 6000 Löcher gebohrt, so dass die Stahlgitterkonstruktion langsam von oben nach unten wachsen kann. 72 Membranfelder müssen darauf angebracht werden, jedes der Segel aus mit Teflon beschichtetem Glasfasergewebe ist 240 Quadratmeter groß. Ob es bis zum Einweihungswochenende Anfang Oktober reicht, kann Höreth nicht sagen. Sobald der Wind mit mehr als fünf Metern pro Sekunde um den Turm bläst, müssen die Kletterer aus Sicherheitsgründen nach unten.

Die Vorfreude von Oberbürgermeister Ralf Broß (parteilos), der als einer der größten Verfechter des Projekts gilt, kann das nicht schmälern. Dass die bisher angebrachten Segel wie Jutesäcke schlaff am Turm hängen, ficht ihn nicht an. Durch das UV-Licht würden sie nach einiger Zeit blütenweiß werden, haben die Techniker zugesagt. Später sollen sie von innen angeleuchtet werden. Schon während der einjährigen Bauphase kamen 50 000 Besucher zusätzlich in die Stadt. Broß erwartet ein Gästeplus von 100 000 pro Jahr durch die Aussichtsplattform, die die höchstgelegene in ganz Deutschland sein soll. Weitere 100 000 Besucher schwemme voraussichtlich die neue Fußgängerhängebrücke in die Stadt, die ein privater Investor zwischen dem Bockshof und dem neuen Turm spannen will. Ende 2018 könnte sie fertig sein. Dann könnte wahr werden, was der Chef der Thyssen-Krupp-Aufzugssparte, Andreas Schierenbeck, jetzt schon versprach: „Wir sehen unseren Testturm nicht als abgeschiedene Forschungseinrichtung, sondern als Teil der Gemeinschaft Rottweils.“

100 000 Besucher mehr