Wenn jemand den Fahrradalltag im Kessel kennt, dann Fahrradkuriere. Peer Niefer ist seit 15 Jahren als Radler im Kessel unterwegs und hat uns im Rahmen unserer Serie "Stadtkind radelt" erzählt wie sein Alltag auf den Straßen der Stadt so aussieht.

Stuttgart - Stadtkind radelt und checkt die „Fahrradstadt“ Stuttgart in allen Facetten – egal ob als Sportgerät oder als Alltagstransportmittel. Die Frage aller Fragen bleibt trotz der offensichtlichen Zunahme an modischen Zweirädern: Darf man „Fahrradstadt Stuttgart“ überhaupt sagen bzw. schreiben? Sind das nicht Freiburg oder Münster und Stuttgart bleibt auf immer und ewig die Autostadt?

Fahrradkurier Peer Niefer muss es wissen. Seit 1999 ist er bei den Radlern (gegründet 1988) und absolviert auf seinem Rennrad (mit Scheibenbremsen, wie er betont) 80 bis 120 Kilometer am Tag kreuz und quer durch den Kessel. „Fakt ist: Stuttgart ist nicht fahrradfreundlich.“ Das ist seine Antwort auf die Frage, wie bei ihm und seinen Kollegen die kürzlich veröffentlichte ADAC-Studie ankam, in der Stuttgart ein „durchschnittlich fahrradfreundlich“ verliehen bekam und damit bundesweit – neben einigen anderen Großstädten - vorne lag. „Das war bei uns ein Lacher.“ Wobei er betont, dass für ihn der Vergleich zu anderen Städten schwierig sei.

 

Stuttgarter Radwege enden im Nirwana

Niefer sieht Fehler auf beiden Seiten, also sowohl bei den motorisierten Vierrädern als auch den Zweiradfahrern. „Manche Autofahrer sind sehr rücksichtslos!“ Allerdings verhalten sich manche Radler ebenso egoistisch und „denken sich in andere Verkehrsteilnehmer nicht hinein.“ Und auch wenn er die öfters im Nirwana endenden Stuttgarter Fahrradwege kritisiert, sieht er Veränderungen in der Stadt – zum Guten. „In Stuttgart wurde in den letzten Jahren vieles zum Positiven verändert, aber das ist bei weitem noch nicht ausreichend.“

Für ihn als Fahrradkurier ist es doppelt wichtig, gefährliche Situationen zu umgehen. Zum einen freilich zu seiner eigenen Sicherheit und zum anderem wegen dem Transportgut. Im Rucksack befinden sich heutzutage oft medizinische Produkte wie zum Beispiel Blut oder Zähne und nicht mehr, wie in den 1980ern, 1990er und um die Jahrtausendwende, ZIP-Disks (ganze 100 MB, wow!) oder Fotoabzüge. Damals waren die Fahrradkuriere – zumindest gefühlt - die zweirädrige Rohrpost für Werbeagenturen und Medienschaffende. Die schnellen DSL-Leitungen haben den Radlern - euphemistisch ausgedrückt - in dem Fall Arbeit abgenommen. „Natürlich merkt man die moderne Technik. Solche Dinge transportieren wir fast überhaupt nicht mehr.“

80 bis 120 Kilometer am Tag

Niefers Tag beginnt um 7:30 Uhr mit einer festen Postrunde und ab 9:30 Uhr wartet er auf Jobs aus der Disposition. Auch wenn man sich unter einem Fahrradkurier einen permanent gehetzten wie sportlichen Menschen in Funktionskleidung auf einem robusten Rad mit schmalen Reifen (die Fixie-Kultur hat übrigens seinen Ursprung in der amerikanischen Fahrradkurier-Szene) vorstellt, steht Niefer nicht immer unter Zeitdruck. Allerdings: „Manche Aufträge müssen in 20 Minuten ausgeführt sein.“ Feierabend macht er gegen 17 Uhr und hat dann besagte 80 bis 120 Kilometer in den Waden. Klingt anstrengend. Man müsse für den Beruf aber nicht sonderlich fit sein, das käme von alleine. „Man braucht Durchhaltevermögen, learning by doing.“

Er hält seit 15 Jahren durch. Wie kam er zu dem Job? „Ich bin begeisterter Fahrradfahrer und habe nach einer Möglichkeit gesucht mit Radfahren Geld zu verdienen. Glücklicherweise konnte ich damals gleich als Radkurier anfangen.“ Die schöne Geschichte vom Hobby zum Beruf machen. Und gab es in den 15 Jahren schon eine Jason-Statham-Transporter-mässige, geheimnisvolle, kuriose Fracht? „Ich hatte vor Jahren ein paar Rebhühner im Rucksack, die für ein wichtiges Abendessen gebraucht wurden.“ Na dann: Weiterhin gute Fahrt!