Auch in diesem Jahr zeichnet sich wieder ein Minus bei der Zahl der neu vereinbarten Lehrverträge ab – und das, obwohl Industrie und Handel brummen. Doch der Trend weg von der Ausbildung hat einen ganz anderen Grund.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Die Geschäfte der hiesigen Wirtschaft laufen gut. Das gilt für das Handwerk genauso wie für die Industrie. Entsprechend müsste sich auch der Lehrstellenmarkt in der Region Stuttgart entwickeln, könnte man meinen.

 

Das Gegenteil ist der Fall. Eine Zwischenbilanz zeigt: Die Zahl der neu abgeschlossenen Lehrverträge sinkt, wie schon in den vergangenen Jahren, erneut, und zwar vor allem im Handwerk. Auch schwächere Schüler haben jetzt die Chance auf eine Lehrstelle.

Bis jetzt liegt man bei minus 1,4 Prozent

Die Schulferien haben begonnen, im September beginnt für viele Absolventen die Lehre. Auch wenn bis dahin noch etwas Zeit ist, deutet doch alles darauf hin, dass sich nochmals weniger Schulabgänger für eine Duale Ausbildung entschieden haben. Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) liegen derzeit 7878 neue Ausbildungsverträge vor, 1,4 Prozent weniger als vor einem Jahr. In der Landeshauptstadt liegt der Rückgang gegenwärtig sogar bei minus 5,2 Prozent. „Das halte ich für eine temporäre Erscheinung“, sagt Martin Frädrich, der bei der IHK für die Ausbildung zuständige Geschäftsführer. Insgesamt aber rechnet Frädrich damit, dass man am Ende des Jahres bei einem Minus „von ein bis zwei Prozent“ liegen werde. Das wäre immerhin noch etwas besser als im Jahr 2013, als es bei insgesamt 10 824 Kontrakten ein Minus von 4,3 Prozent gab.

Während die IHK immerhin noch auf einen Zuwachs bei den neuen Verträgen im Jahr 2011 verweisen kann (plus 5,5 Prozent), könnte sich bei der Handwerkskammer (HWK) der Region die schon seit etlichen Jahren anhaltende Negativserie fortsetzen. Um rund 17 Prozent ist die Zahl der Neuverträge dort seit 2008 gesunken, im vergangenen Jahr lag dieses bei minus 5,7 Prozent (bei 4090 Verträgen). Derzeit unterschreite man den Vorjahreswert sogar um 12,5 Prozent, sagt Bernd Stockburger, der bei der HWK die berufliche Bildung verantwortet. „Aber das ist eine Momentaufnahme“, sagt Stockburger.

Arbeitsagentur registriert weniger angebotene Lehrstellen

Dass die Tendenz zu erneut abnehmenden Vertragszahlen auch darin ihren Grund haben könnte, dass die Betriebe weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, weisen beide Kammern zurück. Die aktuellen Zahlen der Agentur für Arbeit aber deuten dies an. So haben sich dort zwar fünf Prozent mehr Bewerberinnen und Bewerber gemeldet (5054), bei den registrierten Lehrstellen (5868) besteht aber ein Minus von 4,4 Prozent. Zum einen bildet die Statistik der Arbeitsagentur die Verhältnisse auf dem Lehrstellenmarkt nicht umfassend ab. Und Martin Frädrich verweist auf eine nach wie vor „günstige Relation“ von Bewerbern und Stellen. Bei der Handwerkskammer jedenfalls sind noch immer rund 1000 offene Lehrstellen gemeldet.

Angesichts des Trends bei jungen Leuten zu höheren Schulabschlüssen kümmern sich die Kammern so intensiv wie selten um Lehrlinge, insbesondere die IHK. „Wir lassen nichts unversucht“, sagt Martin Frädrich. So sind in der Region Stuttgart rund 750 Azubis immer wieder in Schulen als „Ausbildungsbotschafter“ im Einsatz.

Man will mehr Migrantenkinder für eine Lehre gewinnen

Mit zwei Projekten versucht man, mehr Migrantenkinder für eine Lehre zu gewinnen: mit der „Initiative – Türkische Eltern bauen Brücken“, die vom Landeswirtschaftsministerium aus Mitteln des EU Sozialfonds finanziert wird, praktiziert die IHK aufsuchende Elternarbeit; in der Koordinierungsstelle für Ausbildung und Migration (KAUSA), die vom Bundesbildungsministerium finanziert wird, sind zwei Mitarbeiter tätig. Und eine wichtige Zielgruppe sind für die IHK Studienabbrecher insbesondere der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). „Die werden wir stärker ins Visier nehmen“, sagt der IHK-Geschäftsführer. Er ist zuversichtlich, dass man für diese Gruppe schon von Februar des nächsten Jahres an eine von drei auf eineinhalb Jahre verkürzte Ausbildung etwa zum Fachinformatiker oder zum IT-Kaufmann anbieten könne.

Betriebe müssen sich mehr engagieren

Martin Frädrich ist wie Bernd Stockburger der Ansicht, dass auch die Betriebe selbst alle Wege der Werbung zur Gewinnung von Azubis nutzen müssen. Das aber, räumt Stockburger ein, beherzigten viele im Handwerk noch nicht. Mitunter gerade weil die Konjunktur derzeit so gut und die Auftragsbücher voll seien. „Viele denken da noch zu kurzfristig“, sagt Stockburger.

Immerhin geben nicht wenige Betriebe inzwischen auch Bewerbern mit mäßigen Zeugnissen eine Chance. „Das ist auffällig “, sagt Sabrina Meyer, Pressesprecherin der Stuttgarter Arbeitsagentur.