Die Studentenabteilung von Milli Görüs will Jugendlichen an der Uni Stuttgart Tipps zur Ausbildung geben. Staatliche Einrichtungen bleiben dazu auf Distanz.

Stuttgart - Mit der Berufsfindung tun sich Jugendliche aus Migrantenfamilien oft besonders schwer. Dies nimmt die Studentenabteilung der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) zum Anlass, eine Bildungs- und Berufsinformationsmesse zu veranstalten – am 21. April an der Uni Stuttgart. Man wolle, so heißt es in der Einladung an die Stuttgarter Zeitung, „den Jugendlichen einen expliziten Einblick in die Ausbildungsmöglichkeiten und die Möglichkeiten eines Studiums gewähren“. Dies solle durch die Vermittlung von Vorbildern mit Migrationshintergrund erfolgen. Erwartet werden laut Serafettin Altun von der IGMG-Jugendabteilung des Regionalverbands Stuttgart 800 bis 1000 Teilnehmer: Schüler, aber auch Studenten.

 

Ihnen wolle man in den Foyers des Ingenieurwissenschaftlichen Zentrums auf dem Vaihinger Unicampus 25 Ausbildungsberufe und 40 Studiengänge näherbringen. Hochschulen seien aber nicht vertreten. Als Berater träten rund 120 Studierende, Azubis und Absolventen aus unterschiedlichsten Sparten auf. Zielgruppe seien neben Studierenden Jugendliche aller Schularten. Diese könnten sich auch online für ein Bewerbungstraining anmelden. „Wir haben in Stuttgart 68 Schulen angeschrieben und weitere in der Region“, so Altun.

Als ausgewiesene Bildungseinrichtung ist die IGMG nicht bekannt. Milli Görüs steht beim Verfassungsschutz unter Beobachtung und füllt einige Seiten im Verfassungsschutzbericht 2010, der laut Innenministerium immer noch Gültigkeit hat. Der frühere baden-württembergische Innenminister Heribert Rech erklärte 2010 hierzu: „Sogenannte legalistische Organisationen wie die ‚Islamische Gemeinschaft Milli Görüs‘ (IGMG) sind durch permanente Einflussnahme mit ihren eigenen Bildungsangeboten weiterhin eine Herausforderung für den Staat und seine bildungspolitischen Einrichtungen.“ Eine aktuelle Einschätzung gab das Landesamt für Verfassungsschutz nicht ab.

Die Uni ist lediglich der Raumgeber

Für das baden-württembergische Integrationsministerium unter Ministerin Bilkay Öney ist hingegen klar, dass Milli Görüs nicht an den Runden Tisch eingeladen wird. „Wir laden nur Vereinigungen oder Verbände ein, die nicht vom Verfassungsschutz überwacht werden“, so ein Sprecher. Dies sei „ein Grundsatz, der nicht zur Debatte steht“. Der Grund: man wolle das Forum nicht angreifbar machen.

Altun versicherte der StZ: „Die Veranstaltung hat rein religiös überhaupt nichts am Hut – das ist nur eine Dienstleistung von uns.“ Man wolle den Jugendlichen „einen Blick über den Tellerrand verschaffen“ und sie für eine Ausbildung motivieren. Die Veranstaltung diene auch nicht der Anwerbung von Mitgliedern, betont Altun. Man sei „eine Non-Profit-Organisation“. Auf ihrem Flyer führen die Veranstalter unter anderem den Europäischen Sozialfonds als „freundlichen Unterstützer“ auf. Doch über die offenbar von einem Privatmann beantragte Förderung für die Berufsmesse sei noch gar nicht entschieden, berichtete ein Sprecher des Finanz- und Wirtschaftsministeriums.

Gegenüber der Uni Stuttgart traten die Veranstalter offenbar als „Studenteninitiative MEF“ auf, wie Unisprecherin Birgit Vennemann sagte. Die Uni sei jedoch nur der Raumgeber. „Das vorgelegte Programm gab keinen Anlass, die Informationsveranstaltung zum Thema Studium und Beruf nicht in den Räumen der Universität Stuttgart stattfinden zu lassen“, so Vennemann.

Die Industrie- und Handelskammer ist auch dabei

Auch die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart wird – gemeinsam mit der Caritas und dem Projekt Abba plus zur Gewinnung von Unternehmen mit Inhabern ausländischer Herkunft – bei der Berufsmesse vertreten sein, um Jugendliche über duale Ausbildungsgänge zu beraten. Allerdings sei man davon ausgegangen, dass es eine Veranstaltung der ehrenamtlichen Studenteninitiative MEF sei, so Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart. Dass die Mehrzahl der MEF-Mitglieder der IGMG angehörten und deren Jugendabteilung der Veranstalter sei, habe man erst von der StZ erfahren.

Doch Rücksprachen mit Integrationsministerium und Verfassungsschutz hätten „keine derartig gravierenden Hinweise ergeben, die uns zu einem Rückzug von der Berufsinformationsmesse bewegen“, sagte Richter. Er räumte aber ein: „Sollte der Fall eintreten, dass bei dieser Veranstaltung entgegen der uns vorliegenden Konzeption Redner auftreten, die einem radikalislamischen Hintergrund zuzuordnen sind oder dort Äußerungen fallen, die für radikalislamische Thesen eintreten, werden wir in Absprache mit der Caritas postwendend die Veranstaltung verlassen.“

Er sehe, so Richter, das Risiko, durch die Teilnahme der IHK an der Messe Milli Görüs gesellschaftlich aufzuwerten. „Auf der anderen Seite sehen wir uns angesichts des gesellschaftlichen Ziels, Jugendliche mit Migrationshintergrund eine berufliche Perspektive zu eröffnen, zugleich vor der Herausforderung, uns dazu auch in einem solchen Umfeld beratend zu bewegen“, so Richter. Es sei „eine Abwägung zu Gunsten Jugendlicher, die eine Berufsorientierung suchen und Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu finden.“ Die Beteiligung sei „eine Ausnahme an der Grenze unserer Haltung, als IHK keine Partnerschaften mit radikalen Organisationen einzugehen, deren Ausrichtung unserer demokratischen Grundordnung widersprechen“. Die Teilnahme sei „eine Gratwanderung, die sich auch als Fehler erweisen könnte. Sollte dies der Fall sein, werden wir ihn kein zweites Mal begehen.“

Redner wird Ali Karaca sein

Als Redner auf der Berufsmesse wird auch Ali Karaca angekündigt, türkischer Vizegeneralkonsul in Stuttgart. Eine Stellungnahme von ihm war nicht zu erhalten.

Wie Schulen mit Milli Görüs und deren Veranstaltungen umgehen sollen, darüber gibt das Kultusministerium keine Empfehlungen. Es gelte, so eine Sprecherin, „der allgemeine Grundsatz, dass für die öffentlichen Schulen eine Pflicht zur religiösen, weltanschaulichen und politischen Neutralität besteht“.

Bei der Stadt Stuttgart ist es „übliche Praxis, dass man mit Gruppierungen, die vom Verfassungsschutz unter Extremismusverdacht beobachtet werden, nicht zusammenarbeitet“, so der städtische Integrationsbeauftragte Gari Pavkovic. Eine Ausnahme seien jedoch religiöse Feste.