Die deutsche Wirtschaft ist für das neue Jahr zuversichtlich. Das gilt auch für die Unternehmen in Baden-Württemberg. Doch in die gute Stimmung mischt sich die Angst vor dem Protektionismus.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - „Die größte Sorge macht mir der Protektionismus“, sagt Marcel Fratzscher. Schon jetzt sei das Wachstum des Welthandels nur noch gering, meint der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Dabei habe der Protektionismus verschiedene Ausprägungen: die Ankündigung des künftigen US-Präsidenten Donald Trump, Zölle zu erheben und sich aus Verhandlungen über Freihandelsabkommen zu verabschieden – eine wieder aufkommende nationale Kirchturmpolitik, die sich keineswegs auf die USA beschränkt. Im März will die britische Premierministerin Theresa May den ersten Schritt beim Brexit verkünden und Brüssel offiziell den Beschluss zum Austritt aus der Europäischen Union schicken.

 

„Wir erleben eine Renationalisierung der Wirtschaftspolitik“, meint Fratzscher denn auch, „ich befürchte, dass wir bereits auf Kollisionskurs sind.“ Doch nicht nur dies: In Frankreich hat Marine Le Pen mit ihrer strikten Anti-EU-Politik im Mai Chancen, zumindest im ersten Wahlgang Siegerin zu sein. In Italien ist Mario Renzi bei der von ihm selbst inszenierten Volksabstimmung grandios gescheitert, auch der Blick von immer mehr Römern geht nicht mehr nach Europa, sondern höchstens noch bis zum Alpenrand. Friedrich Heinemann, der Leiter des Forschungsbereichs Öffentliche Finanzen beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, beobachtet die Entwicklung in Italien durchaus mit Sorge. Und im Fernen Osten sieht es nicht besser aus: China schockiert Unternehmen, die in der Volksrepublik gemachte Gewinne nach Hause holen wollen, mit strikteren Kontrollen des Kapitalverkehrs. Ein Gespenst geht um, weltweit – das Gespenst des Protektionismus.

Stimmung gut, doch nicht euphorisch

„Doch ansonsten sind die Bedingungen nicht so schlecht“, findet Fratzscher – eine Diagnose, die der Forscher durchaus mit den Praktikern in den meisten Unternehmen zwischen Kiel und Konstanz teilt. Die Stimmung in den Chefetagen ist zu Beginn des neuen Jahres gut, wenn auch nicht euphorisch. Die Bundesbank jedenfalls rechnet für das kommende Jahr ähnlich wie im vergangenen mit einem Wachstum des Bruttosozialprodukts in Deutschland um 1,8 Prozent. Damit liegt die Bundesbank am oberen Ende der Prognosen. Alle Experten sind sich einig, dass das Wachstum mehr als ein Prozent betragen dürfte. Von drohender Krise redet niemand, allenfalls von einem etwas gedrosselten Tempo.

Solches sagt das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für den Aufbau weiterer Stellen voraus, solches hält aber auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) für seine Branche für realistisch. Auf der Detroit Motorshow, die am Sonntag ihre Pforten öffnet, könnte es erste Hinweise darauf geben, wie die Konsumenten in den USA die Modelle deutscher Autobauer einschätzen.

Auch beim Maschinenbauverband VDMA sind die Vorhersagen eher verhalten – mit einem Produktionsplus von etwa einem Prozent rechnet Präsident Carl Martin Welcker. Die für das vergangene Jahr erwartete Stagnation wäre damit zwar überwunden, aber „ein breit angelegter konjunktureller Aufschwung sieht anders aus“, sagt er. Wenig Wunder, dass der Sprecher einer Branche, die eine Million Mitarbeiter beschäftigt und drei von vier Euro im Export verdient, EU und Bundesregierung gleichermaßen auffordert, „eindeutig Flagge zu zeigen“ gegen die Wiederkehr von Schutzzöllen.

IG Metall: 2017 muss Wende zu mehr Gerechtigkeit bringen

Jörg Hofmann, der Erste Vorsitzende der IG Metall, sieht auch für das neue Jahr Chancen für eine gute Entwicklung. Der wirtschaftliche Fortschritt dürfe aber nicht zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führen, sondern müsse zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beitragen. „Dieser Zusammenhalt ist brüchig geworden“, mahnt der Gewerkschaftschef. „Gerecht gegenüber allen“ sei unsere Gesellschaft schon längst nicht mehr: „2017 muss hier eine Trendwende bringen, in Deutschland, aber auch in Europa.“

Je mehr Wirtschaftslenker ihren Blick ins Inland richten, umso sonniger wird ihr Gemüt. Auch in diesem Jahr rechnet der Hansel mit guten Geschäften. Die Kunden – obwohl von niedrigen Zinsen geplagt – würden auch dieses Jahr die Kassen klingen lassen, heißt es beim Handelsverband Deutschland. Grund für ihre Kauflaune ist nicht zuletzt der robuste Arbeitsmarkt; Ängste einer eventuell drohenden Arbeitslosigkeit kommen da gar nicht erst auf. Ganz überwiegend auf den Binnenmarkt blicken auch die Handwerker. Die Zunft der Meister und Gesellen wähnt sich ebenfalls auf der Sonnenseite: Nach einem sehr guten Jahr 2016 strotzt Hans Peter Wollseifer, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, geradezu vor Optimismus. „Wir erwarten ein Umsatzplus von zweieinhalb Prozent“, so Deutschlands Obermeister.

Südwest-Industrie sieht positive Signale

Die Wirtschaft im deutschen Südwesten segelt ebenfalls eher auf sonniger See. Doch vor dem Wetterleuchten am Horizont kann auch sie die Augen nicht verschließen. Hans-Eberhard Koch, der Präsident des Landesverbands der Industrie (LVI), hält für Baden-Württemberg ein Umsatzwachstum um 1,6 Prozent für denkbar. „Die positiven Signale nehmen zu“, sagt Koch und meint damit beispielsweise die Entwicklung bei den wirtschaftlichen Sorgenkindern Russland und Brasilien. Doch gerade für die Südwestwirtschaft mit ihrer hohen Abhängigkeit von Ausfuhren in die Vereinigten Staaten könnte das protektionistische Treiben von Trump gefährlich werden, formuliert Koch seine Sorge.

Auch Andreas Richter, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart, sieht das Wetterleuchten: Die Unternehmen starten nach der jüngsten Umfrage zwar durchaus optimistisch in das neue Jahr, aber „ganz entscheidend wird sein, wie es mit den internationalen Wirtschaftsbeziehungen weitergeht“. Und damit meint Richter nicht nur die Politiker, sondern auch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank.