Die psychiatrische Klinik in Zwiefalten kommt nicht zur Ruhe. Drei suchtkranke Straftäter sind seit Samstag auf der Flucht.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Zwiefalten - Mächtig wirken die alten Mauern der früheren Benediktinerabtei Zwiefalten (Kreis Reutlingen) immer noch. Dass sich über die Jahrhunderte der Mörtel zwischen den Ziegelsteinen lockerte, ahnte wohl niemand. Er habe nie gedacht, „dass auch alte Klostermauern durchbrechbar sind“, sagte am Montag Gerhard Längle, der Leitende Ärztliche Direktor der Klinik für forensische Psychiatrie im früheren Kloster.

 

So konnten am Samstag gegen 20.30 Uhr erneut drei suchtkranke Häftlinge aus der geschlossenen Abteilung des Landeskrankenhauses ausbrechen. Nach Polizeiangaben handelt es sich um drei Staatsbürger Griechenlands, der Türkei und Italiens im Alter von 30, 32 und 38 Jahren. Die Fahndung laufe „auf Hochtouren“, sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen. Auch Spezialisten des Landeskriminalamts seien einbezogen.

Die Flüchtigen sind wegen Raubdelikten vorbestraft. In einem Fall kam es wegen räuberischer Erpressung zu einer Verurteilung, in einem anderen wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer. Weil Gerichte jeweils schwere Drogen- und Alkoholabhängigkeiten festgestellt hatten, wurden die Straftäter zur Behandlung nach Zwiefalten gebracht. Das Gesetz verlangt, dass eine Therapie vor der Verbüßung einer Haftstrafe versucht werden muss. Wenn die Therapie allerdings unmöglich wird, kommen die Straftäter zurück in eine Justizvollzugsanstalt. So war es auch im Fall der drei Ausbrecher, sagt Gerhard Längle. Einer der Männer sei acht Monate lang in Zwiefalten gewesen, habe jedoch „keinerlei Motivation“ in der Therapie erkennen lassen. Ein zweiter Flüchtiger habe in anderthalb Jahren „keinerlei Fortschritt“ bei der Bewältigung der Sucht gemacht. Der dritte Ausbrecher habe sogar zweieinhalb Jahre in Zwiefalten verbracht, sei bereits Freigänger gewesen. Doch es kam zu Rückfällen, „so dass man gesagt hat, er muss zurück in die Haft“, sagt Längle. Alle drei Männer seien dicht vor der Verlegung in Gefängniszellen gestanden.

Die Längsbretter eines Bettes wurden zum Rammbock

Die Fluchtumstände muten abenteuerlich an. Zunächst habe das Trio „an der Innenwand des Schlafraums herumgekratzt“. Der Schutt sei unter den Betten versteckt worden. Noch gegen 20 Uhr am Samstag habe eine Mitarbeiterin Medikamente in dem Zimmer verteilt – und nichts bemerkt. Wenig später hörte die Frau laut Klinikleitung einen riesigen Lärm. Als sie aus dem Fenster eines schräg gegenüberliegenden Stationszimmers sah, habe sie bereits eine Gestalt an zusammengeknoteten Bettlaken an der Fassade herunterklettern sehen. Die Ausbrecher hatten die Längsbretter eines Bettkastens zu einem Rammbock zusammengebunden und damit die Wand durchbrochen. Die ganze Vorbereitung habe höchstens einen Tag gedauert. Der Ausbruch selbst sei „ratzfatz“ gegangen, sagte der Ärztliche Direktor Längle.

Die psychiatrische Klinik kommt damit weiter nicht zur Ruhe. Im Mai war ein 54-Jähriger ausgebrochen, zwischen 2012 und 2013 waren acht suchtabhängige Straftäter entkommen. Danach verschärfte die Klinik die Sicherheitsarchitektur im Innern. Wichtigstes Ziel war es, dass Pflegekräfte nicht mehr zum Zweck einer Freipressung als Geiseln genommen werden konnten. Unter anderem wurde eine rund um die Uhr bewachte Eingangsschleuse gebaut. Nun, sagt Gerhard Längle, müssten die Sicherheitsvorkehrungen abermals auf den Prüfstand.

Die Sicherheitsfrage in der Klinik stellt sich neu

Hatte der Freigänger unter den Ausbrechern zuvor ein Fluchtfahrzeug beschafft? Die Polizei will keine Einzelheiten nennen. Das Gewaltpotenzial der Flüchtigen wird als nicht als sehr hoch eingeschätzt. „Wir hatten schon andere Kaliber, die da ausgerückt sind“, sagte der Polizeisprecher.