Das neue Gesetz zur Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen bringt zwar Verbesserungen, weckt bei den Migranten aber auch viele falsche Hoffnungen. Es fehlt noch immer an passenden Weiterbildungsangeboten.

Stuttgart - Jahrelang hat Vojislava Lukic in ihrer serbischen Heimat als Elektrotechnikerin gearbeitet. In Deutschland macht die 46-Jährige indes gerade ein Praktikum in einem Pflegeheim. Die Arbeitsagentur finanziert die Qualifizierung nach der Familienpause, um ihr den Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu ebnen. Aber eigentlich träumt die Serbin davon, in ihren alten Beruf zurückzukehren. Ein neues Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse gibt der 46-Jährigen Anlass zur Hoffnung, aber noch zögert sie. „Ich habe alle Unterlagen zusammen, aber ich fürchte mich vor einer erneuten Abfuhr.“

 

Für die Mutter von zwei Kindern stellt sich die Frage: „Investiere ich ein paar Hundert Euro vielleicht für eine Ablehnung oder bezahle ich damit meinen Kindern ein Feriencamp.“ Vojislava Lukic hat schon einmal erlebt, wie es ist, die eigene Qualifikation nicht anerkannt zu bekommen. „Ich hätte hier eine komplette Ausbildung machen müssen.“

Ablehnung beschämt die Bewerber

Hoffnungen macht sich auch Nino Siradze-Kamer, die in Tiflis in Georgien eine Grundschule geleitet hat und sich in der Region Stuttgart gezwungen sah, eine Ausbildung zur Ergotherapeutin zu machen, um beruflich Fuß zu fassen. „Dabei habe ich meinen Beruf geliebt.“ Die 36-Jährige aber bekam von den deutschen Behörden gesagt, dass sie noch einmal studieren müsse. „Ich habe mich geschämt“, erinnert sich Siradze-Kamer, die jetzt eine Teilanerkennung beantragen will, um sich an privaten Schulen bewerben zu können. Auch sie hat Angst vor einer zweiten Enttäuschung.

Seit April dieses Jahres ist das Anerkennungsgesetz in Kraft, das den beiden Frauen eine zweite Chance bietet. Aber schon nach ein paar Monaten ist klar: die Erwartungen vieler Migranten sind groß, die nachfolgende Ernüchterung ist es auch. „Schon allein der Name des Gesetzes ist missverständlich. Viele Migranten denken, dass ihre Abschlüsse jetzt automatisch anerkannt werden“, sagt Martha Aykut von der Stabsstelle Integration. Das neue Gesetz aber garantiert lediglich, dass geprüft werden muss, ob ein ausländischer Abschluss dem deutschen gleichwertig ist. Gegebenenfalls muss festgestellt werden, welche Qualifikationen fehlen.

Berater sehen Nachbesserungsbedarf bei den Regelungen

Anne Seth sitzt in ihrem Büro an der Stuttgarter Olgastraße. Täglich gehen neue Anfragen bei ihr ein: die Physiotherapeutin aus Serbien fragt nach ihren Chancen bei der Anerkennung, die türkische Gesundheitsmanagerin will wissen, an welche Stellen sie sich wenden muss , die Informatikerin und Erzieherin aus Peru fragt, in welchem Bereich sie bessere Chancen hat. Seth berät für das sogenannte IQ-Netzwerk Migranten, die ihren Abschluss anerkennen lassen wollen. Allein im Juli gingen 145 Anfragen bei ihr ein. Neben Zuwanderern aus Osteuropa sind es vermehrt Griechen und Spanier, die sich bei ihr melden. Ein Teil bringt gerade die Berufe mit, die in Deutschland derzeit gefragt sind: Ingenieure, Lehrer, Krankenpfleger.

Weiterbildungsangebote fehlen

Auch Anne Seth weiß um enttäuschte Hoffnungen, sie sieht aber auch Verbesserungen. „Neu ist, dass die Berufserfahrung gewertet wird, was bei vielen Migranten die Ausgangslage verbessert.“ Auch gibt es für EU-Staatler Erleichterungen. „Die Hebamme aus Frankreich kann sofort eine Bestätigung bekommen“, sagt Seth. Sie sieht aber auch Mängel: Noch immer fehle eine zentrale Anlaufstelle für Anfragen aus dem Ausland, oft muss sie die Zuwanderer an drei, vier Stellen weiterverweisen. Das größte Defizit aber sieht die Beraterin darin, dass es bisher etwa für ausländische Krankenpfleger und Erzieher, die nicht alle Voraussetzungen erfüllen, nur wenige Weiterbildungsangebote gebe.

Schützenhilfe bekommt Seth von Stefanie Andersson vom Stuttgarter Jobcenter, die den Bedarf der Kliniken, Pflegeheime und Kitas kennt und dabei zusehen muss, wie viele Erzieherinnen und Krankenschwestern aus dem Ausland keine Anerkennung bekommen. „Wir müssen dringend neue Anpassungslehrgänge einrichten“, sagt Andersson. In der Kranken-pflege, wo es für Migranten in Stuttgart nur einen 15-monatigen Qualifizierungslehrgang gibt, konzipieren Jobcenter und Regierungspräsidium derzeit weitere Angebote. Auch für Erzieherinnen sollen in den nächsten Monaten weitere flexible Lehrgänge entwickelt werden. Erich Pawlitschek vom Stuttgarter Regierungspräsidium (RP) kennt die Nöte der Arbeitgeber. „Soweit möglich entscheiden wir schon jetzt kulant.“

Bewerber müssen sich nachqualifizieren

Trotzdem müssen sich von den 600 Erziehern und Kinderpflegern, die beim RP derzeit im Jahr eine Anerkennung beantragen, 60 Prozent nachqualifizieren. „Die Erzieherausbildung in Deutschland ist breit angelegt und umfasst alle Altersstufen von null bis 18 Jahren, das ist in anderen Ländern meist nicht der Fall.“ Deshalb müssten viele ausländische Erzieherinnen Kenntnisse in der Psychologie Heranwachsender nachholen.

Ähnlich gelagert ist die Situation bei Lehrern, auch dort gibt es große Unterschiede in der Ausbildung. „In den GUS-Staaten bin ich nach zehn Jahren Schule und zwei Jahren Ausbildung Lehrer.“ Das ist einer der Gründe, warum viele Migranten in Deutschland nicht als Lehrkräfte arbeiten können, obwohl sie im Ausland bereits tätig waren. Zum Jahresende wird das neue Landesgesetz erwartet, das auch die Anerkennung für Lehrer und Erzieher neu regeln wird. Für Pawlitschek aber ist schon jetzt klar: „Es wird viele Klagen von Leuten geben, die sagen, dass sie wegen der Bescheide keinen Job bekommen.“

Handwerkskammer: Erwartungen dämpfen

Bei der Handwerkskammer der Region sind seit April 76 Anträge eingegangen, von denen bisher nur vier entschieden sind. In zwei Fällen, einem Hörgeräteakustiker aus Österreich und einem Elektroniker aus dem Kosovo, wurde die Gleichwertigkeit anerkannt, die anderen wurden abgelehnt. „Wir müssen vielfach Erwartungen dämpfen. Wir brauchen einen staatlichen Abschluss, die Bestätigung eines Betriebes reicht nicht“, sagt Volker Süssmuth von der Kammer. Ein weiteres Problem: in vielen Ländern fehle eine verbindliche Ausbildungsverordnung. Bescheide dauerten deshalb entsprechend lange.

Wenn Unterlagen fehlen, ist auch weiterhin die Zulassung zu einer deutschen Prüfung oder jetzt auch eine andere Qualifikationsanalyse möglich. „Wir hatten in den vergangenen Wochen eine praktische und theoretische Miniprüfung im Kfz-Handwerk“, erzählt Süssmuth. Diese Variante ist für die Migranten allerdings teuer. Denn zusätzlich zu den Gebühren für die Anerkennung, die zwischen 100 und 600 Euro liegen, kommen die Kosten für die Meisterstunden und die Werkstattmiete. Trotzdem bringe das Gesetz Vorteile für die Migranten: „Bisher wurden in den Betrieben ausländische Gesellen eher als Hilfsarbeiter eingestellt, weil sie keine Ankerkennung bekommen konnten.“ Jetzt habe jeder die Chance auf eine Aufwertung.