Die Koalition will ausländischen Spitzenkräften die Einreise nach Deutschland erleichtern. Damit ist sie spät dran.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Der Fachkräftemangel sei „die stärkste Bedrohung für Wohlstand und Wirtschaft“ in Deutschland, warnt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen mit unschöner Regelmäßigkeit. Schon jetzt fehlen mehr als 150 000 Akademiker in technischen Disziplinen. Ingenieure werden händeringend gesucht. Experten aus dem Ausland wären bei den Unternehmen hochwillkommen. Doch bisher waren die bürokratischen Hürden zu hoch, die Konditionen, zu denen ausländische Spitzenkräfte hier sesshaft werden können, zu wenig attraktiv.

 

Das soll sich bald ändern. Die Koalition hat sich jetzt auf Detailregelungen zur sogenannten Blue Card verständigt. Damit ist sie seit 2009 im Verzug. Ende vergangenen Jahres hatte das Kabinett eine Korrektur des Ausländer- und Aufenthaltsrechts beschlossen, die auf Drängen der Fraktionen nun noch etwas liberaler gestaltet wird. So werde „ein Paradigmenwechsel bei der Zuwanderung“ erreicht, sagt der FDP-Rechtsexperte Hartfrid Wolff. Deutschland werde für hochqualifizierte Einwanderer „das attraktivste System in Europa“ schaffen. Die Bundesrepublik solle „als Arbeitsplatz und Studienort deutlich attraktiver werden“, sagt Wolffs CDU-Kollege Reinhard Grindel. Die Neuerung im Einzelnen:


„Deutschland setzt sich an die Spitze des Wettbewerbs“

Eine Blue Card („Blaue Karte“) können hochqualifizierte Ausländer erhalten, wenn sie in Deutschland einen Job finden, der mindestens mit 44 800 Euro jährlich entlohnt wird. Bisher lag dieses Gehaltslimit bei 66 000 Euro – und damit viel zu hoch. 2010 lockte das nur 219 Spitzenkräfte nach Deutschland. In den Jahren zuvor waren es noch weniger. Eine Blue Card berechtigt zunächst zu einem dreijährigen Aufenthalt in Deutschland. Für ausgesprochene Mangelberufe wurde der Mindestlohn auf knapp 35 000 Euro gesenkt. Bisher war zudem vorgeschrieben, dass die Arbeitsagenturen prüfen mussten, ob sich für die jeweiligen Jobs keine deutschen Bewerber finden. Diese Prüfung entfällt. „Deutschland setzt sich an die Spitze des Wettbewerbs“, sagt der FDP-Mann Wolff. Verglichen mit den Rahmenbedingungen der europäischen Blue-Card-Richtlinie seien die Standards hierzulande noch attraktiver.

Erst die blaue Karte, dann der Pass

Nach drei Jahren können Arbeitnehmer mit einer Blue Card eine Niederlassungserlaubnis erwerben. Das entspricht fast der Staatsbürgerschaft, nur haben die Nutznießer kein Wahlrecht. Wer gute deutsche Sprachkenntnisse nachweisen kann, der soll nach zwei Jahren Blue Card eine Niederlassungserlaubnis erhalten. Die FDP hatte auf noch kürzere Fristen gedrungen. Das scheiterte am Widerstand der CSU.

Ausländische Studenten sollen hier bleiben

Fremde Studenten sollen bleiben

Zurzeit studieren schon 250 000 Ausländer an deutschen Universitäten. Die Bundesrepublik ist nach den USA und Großbritannien auf Platz drei der beliebtesten Studienländer. Doch die meisten Absolventen kehren Germany nach dem Examen den Rücken, obwohl sie hier dringend gebraucht würden. Der Gesetzgeber will jungen Akademikern künftig 18 Monate für die Suche nach einem angemessenen Arbeitsplatz einräumen. Während dieser Zeit können ausländische Hochschulabsolventen uneingeschränkt jobben. Bisher war dies maximal zwölf Monate möglich. Auch für Studenten werden die Arbeitsmöglichkeiten ausgeweitet. Sie können in Zukunft 120 volle oder 240 halbe Tage einer Erwerbstätigkeit nachgehen (bisher: 90 bzw. 180). Wer in Deutschland arbeiten will, kann jetzt für sechs Monate ins Land kommen, um eine geeignete Stelle zu suchen. Das war bisher so nicht möglich. Interessenten müssen allerdings einen Hochschulabschluss nachweisen und für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen.

„Die Koalition springt deutlich zu kurz“, rügen die Grünen-Abgeordneten Kerstin Andreae und Mehmet Kilic. Sie fordern „ein strategisches Konzept für die Bewältigung des drohenden Fachkräftemangels“. Dazu sei es sinnvoll, langfristig eine gezielte Einwanderung mittels eines Punktesystems zu ermöglichen, wie es in klassischen Einwanderungsländern wie Australien oder Kanada schon praktiziert wird. Die Vergabe einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung von Deutschkenntnissen abhängig zu machen, sei „weltfremd“.