Unternehmen tun sich schwer darin, Mitarbeiter zu finden, die für einige Jahre ins Ausland gehen. Wer absagt, braucht einen triftigen Grund.

Vor der Bescherung war die Welt von Michael Wittmann (35) noch in Ordnung. Er sollte für zwei, drei Jahre beruflich nach Turin. Seine Freundin war einverstanden, er begeistert von dem verlockenden Angebot. Auslandseinsätze können Karrieren beschleunigen, das weiß er. Der Vertrag war ausgehandelt. Dann sagte seine Freundin, dass sie schwanger sei, und machte unter diesen Umständen einen Rückzieher. Den Weihnachtsurlaub 2013 verbrachte der werdende Vater in einem Wechselbad der Gefühle. Er freute sich unbändig über die frohe Botschaft, wusste aber, dass sie ein schwieriges Gespräch mit seinem Chef zur Folge hatte. 'Er ging davon aus, dass ich gehe.' Und Wittmann weiß, dass jede Entscheidung Konsequenzen hat. 'Die Absage hat meine Karriere wahrscheinlich nicht beschleunigt.'

 

Er hat trotzdem abgesagt, mit der Begründung: 'Ich habe mich für meine Familie und nicht gegen Dräxlmaier entschieden.' Dräxlmaier ist ein Automobilzulieferer mit Unternehmenszentrale in Vilsbiburg, Landkreis Landshut. 50 000 Mitarbeiter weltweit, davon 5000 in Deutschland. Wittmann, Betriebswirt und Ingenieur, ist für die Qualität des Interieurs zuständig. Cockpit, Mittelkonsolen, Türverkleidungen. Die Qualitätsstandards sollen weltweit dasselbe Niveau haben. 'Wir brauchen Mitarbeiter, die bereit sind, ihr Wissen und ihre Erfahrung in neuen Werken einzubringen. Und sei es im Ausland', sagt Axel von Varnbüler, Leiter Personal International.

Nicht mehr um Karriere um jeden Preis

'Wir haben mehr offene Stellen als Interessenten.' Für die USA oder Mexiko findet Varnbüler leicht Kollegen, die für zwei, drei Jahre dorthin gehen. Internationale Schulen für die Kinder, gute medizinische Versorgung und ein attraktives Freizeitangebot ziehen. Tunesien und Rumänien sind unbeliebt. Für Einsätze in diesen Ländern ködert Dräxl-maier mit besseren Konditionen, wie häufige Freiflüge nach Hause. 'Wer um die dreißig ist und einen Auslandseinsatz absagt, der braucht schon einen guten Grund', sagt Jutta Boenig, erster Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung. ?Mein soziales Leben hier ist mir wichtiger?, genügt nicht, damit die Karriere keinen Knick bekommt. 'Die Möglichkeit, einige Jahre im Ausland zu arbeiten, war bis vor etwa fünf Jahren für Absolventen ein Kriterium bei der Arbeitgeberwahl. Jetzt findet ein Wandel statt', sagt Boenig.

Der Generation Y geht es um Work-Life- Balance und Gesundheitsmanagement. Und nicht mehr um Karriere um jeden Preis, wie bei Generationen vor ihnen. Boenig geht davon aus, dass es die Unternehmen künftig schwerer haben, Expatriates zu finden, also Mitarbeiter, die ins Ausland gehen. Eine aktuelle Studie von Trendence bestätigt das: Am liebsten wollen Absolventen heute in der Nähe ihres Studienorts arbeiten. Wenn der Triebwerkshersteller MTU Aero Engines München eine Position im Ausland zu besetzen hat, werden etwa 15 mögliche Kandidaten identifiziert und im ersten Schritt fünf davon angesprochen. Von denen zeigt meist nur einer Interesse. 'Dann muss aber erst noch die Familie überzeugt werden', sagt Personalleiter Hans-Peter Kleitsch. 70 Stellen im Ausland hat Kleitsch mit Deutschen besetzt. Zehn Positionen sind zurzeit vakant.

"Häufig scheitert die Mobilität an der Familiensituation"

'Das hört sich nach wenig an, doch da es Schlüsselpositionen sind, ist es für uns sehr wichtig, sie besetzen zu können.' Mitarbeiter Anfang zwanzig schickt die MTU nicht raus, weil die keine Berufserfahrung haben. Solche um die fünfzig werden wieder interessant, wenn deren Kinder aus dem Haus sind und sie eine neue Herausforderung suchen. Die Interessantesten sind die 30- bis 50-Jährigen. Sie stehen mitten im Berufsleben. 'Häufig scheitert die Mobilität an der Familiensituation', sagt Kleitsch. Um die vierzig, drei Kinder, das heißt auch dreimal Schulgeld. In Amerika wird das für ein Unternehmen richtig teuer. 'Wenn wir aber überzeugt sind, dass es die richtige Person ist, bezahlen wir dies trotzdem.' Zudem, je nach Land, einen Faktor von 1,2 bis 1,7 auf das Nettogehalt in Deutschland, kostenfreies Logis, häufig einen Dienstwagen und Weiterbildung für den Ehepartner.

Doch Geld allein zieht nicht wirklich. Wer geht, braucht Mut und Abenteuerlust. Der Maschinenbau-Ingenieur Peter Harster (54) war mit seiner Frau und den beiden Kindern zweieinhalb Jahre für MTU in Connecticut, USA. Als Sachbearbeiter ging er fort, und als Gruppenleiter kam er zurück. In München war er zuletzt Direktor eines Triebwerkprogramms. 'Ohne Auslandserfahrung wäre ich das nicht geworden.' Zum Ende seiner Karriere wollte er ein weiteres Mal ins Ausland. Harster wechselte nach Hannover zu MTU Maintenance, 'mit dem Ziel, von dort aus ein weiteres Mal den Sprung in ein anderes Land zu machen'. Maintenance ist der Geschäftsbereich von MTU, der sich weltweit um Wartung, Instandhaltung und Reparatur von Triebwerken kümmert. Er bekam das Angebot, für sechs Jahre nach Malaysia zu gehen. 'Für eine so lange Zeit wollten meine Frau und ich nicht aus unserem sozialen Umfeld raus. Außerdem war uns das Klima in diesem Land zu schwül-heiß.'

Drei Monate später stand Zhuhai, China, zur Debatte. 'Ich dachte mir, ein drittes Mal bekomme ich diese Chance nicht, und habe versucht, meine Frau zu überzeugen.' Die wollte nur in ein englischsprachiges Land. 'Mein Wunsch war es, mit meiner Frau nach China zu gehen. Weil das nicht klappte, habe ich letztendlich abgesagt. Das war sehr schmerzhaft für mich.' MTU hielt dennoch an ihm fest und holte ihn 2013 als Geschäftsführer eines Tochterunternehmens nach Bayern zurück. So eine Entscheidung gegen den eigenen Willen kann für eine Beziehung extrem belastend sein, hat Harster festgestellt. Seiner Karriere hat die Absage nicht geschadet. Bei Wittmann von Dräxlmaier weiß man es noch nicht. Aber er ist privat glücklich.