Exklusiv Schon zum dritten Mal prüft die Justiz mögliche Falschaussagen im Stuttgart-21-Untersuchungsausschuss. Die Mails von Stefan Mappus werden nun mit Protokollen abgeglichen. Eine Zeugin, die bisher als fragwürdig galt, dürfte dabei neues Gewicht erhalten.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Pressemitteilung kam knapp drei Monate nach dem Fund der Mails von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU). Deren inzwischen erfolgte Auswertung, meldete die Staatsanwaltschaft Stuttgart, habe „keine Hinweise auf politische Einflussnahme“ ergeben. Der Ex-Regierungschef sei über den Polizeieinsatz am „schwarzen Donnerstag“ im Schlossgarten zwar regelmäßig informiert worden, habe aber weder auf den Termin noch auf die Durchführung Einfluss genommen.

 

Mit keiner Silbe war damals, Ende November 2012, davon die Rede, dass die elektronische Korrespondenz auch auf mögliche Falschaussagen im Untersuchungsausschuss des Landtags geprüft worden sei. Erst auf Nachfrage gab eine Behördensprecherin dies jetzt an: Man habe die Mails „vorrangig mit Blick auf die Ermittlungen zum Wasserwerfereinsatz“ ausgewertet, hierbei aber „auch Aussagedelikte im Blick gehabt“. Der Abgleich sei zwischen den Mails und dem Abschlussbericht des Ausschusses erfolgt, nicht anhand der Wortlautprotokolle. Aufgrund der Anfrage der Stuttgarter Zeitung sei ein Staatsanwalt inzwischen dabei, die Mails anhand der Protokolle auf etwaige Widersprüche in den Aussagen hin zu überprüfen.

SPD zweifelte schon im Ausschuss an Aussagen

Dabei wusste die Ermittlungsbehörde schon seit zwei Jahren, dass mögliche Aussagedelikte verlässlich nur im Abgleich mit den „streng wörtlich, also völlig unredigiert“ wiedergegebenen Protokollen geprüft werden könnten. So jedenfalls belehrte der umstrittene Chef der politischen Abteilung, der inzwischen vorzeitig ausgeschiedene Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler, im Oktober 2011 einen Anzeigeerstatter. Dieser hatte den „Verdacht uneidlicher Falschaussagen“ aus der gemeinsamen Bewertung von SPD und Grünen abgeleitet, die dem Abschlussbericht angeschlossen ist. Als Grundlage für die Überprüfung, so Häußler, sei das „nicht geeignet“.

Schon im Untersuchungsausschuss hatte die SPD die Frage aufgeworfen, ob eigentlich alle Zeugen ihrer Wahrheitspflicht genügt hätten. Dazu gehöre nämlich auch, nichts Wesentliches wegzulassen, erläuterte der damalige Obmann Andreas Stoch. Im Zusammenhang mit der entscheidenden Sitzung am 20. September 2010 im Umwelt- und Verkehrsministerium von Tanja Gönner (CDU) hatten nämlich mehrere Zeugen nicht erwähnt, dass es dort auch um die geplante Regierungserklärung von Mappus ging. Mithin habe man zwei „divergierende Erklärungen“, die einen Verdacht auf Falschaussage begründen könnten. Die Landtagsverwaltung sollte dies anhand der Protokolle prüfen, was daraus wurde, ist nicht bekannt.

Strafanzeige nach halbem Jahr zurückgewiesen

Genau diese Thematik griff der ehemalige Richter am Landgericht Dieter Reicherter auf, als er Anfang März 2011 gegen Mappus, Gönners Amtschef Bernhard Bauer und eine Beamtin Anzeige wegen des Verdachts der Falschaussage erstattete. Die Prüfung übernahm Oberstaatsanwalt Häußler persönlich. Drei Tage vor der Landtagswahl ließ er die Behördensprecherin mitteilen, man sehe keinen Anfangsverdacht und leite daher keine Ermittlungen ein. Es dauerte dann allerdings noch ein halbes Jahr, ehe er dies in einer 15-seitigen „Nichteinleitungsverfügung“ begründete.

Sein Ergebnis: die Anzeige sei „unbegründet“, es seien „keine wesentlichen Widersprüche in den Kernbereichen der einzelnen Aussagen festzustellen“. Die Regierungserklärung habe bei der Terminierung des Einsatzes nur insofern eine Rolle gespielt, „als eine zeitliche Überschneidung beider Ereignisse vermieden werden sollte“. Dies entspricht genau Mappus’ Darstellung der Dinge, die Häußler ausführlich referierte.

Beamtin als unzuverlässige Zeugin dargestellt

Nicht in sein Bild passte allein die Aussage der Ministerialrätin Cornelia Ruppert aus dem Finanzministerium, die Baumfällungen hätten bis zur Regierungserklärung abgeschlossen sein sollen – eine Lesart, für die auch die jetzt bekannt gewordenen Mails von Gönner und einem Spitzenbeamten sprechen könnten. Andere Zeugen hätten dies „nicht bestätigt“, schrieb Häußler. „Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass es sich hierbei um eine nicht zutreffende Erinnerung der Zeugin oder um ihre Interpretation der Besprechungsinhalte und -Ergebnisse handelte.“

Auch die Widersprüche zu der Frage, warum es von der entscheidenden Sitzung im Hause Gönner keine Protokolle gab, befand Häußler für nicht justiziabel. Amtschef Bauer hatte dies mit der Geheimhaltung begründet, die zuständige Referatsleiterin Beate Schuler sagte dagegen, sie sei einfach nicht dazu gekommen. Ihren Hinweis, sie erinnere sich nicht aktiv an einen Hinweis auf die Geheimhaltung, wertete der Oberstaatsanwalt als „Einschränkung ihrer ursprünglichen Aussage“.

Generalstaatsanwalt stärkte Häußler den Rücken

Volle Rückendeckung bekam er später von der übergeordneten Generalstaatsanwaltschaft, bei der Reicherter Beschwerde eingelegt hatte. „Die von Ihnen erhobenen Vorwürfe sind absolut unbegründet“, urteilte ein Oberstaatsanwalt namens Rörig. Auch seine Überprüfung habe keine Anhaltspunkte für Falschaussagen ergeben. Ein „innerer Zusammenhang zwischen den Terminen“ – hier der Einsatz, da die Regierungserklärung – scheide „zweifelsfrei“ aus. Die entgegenstehende Aussage der Zeugin Ruppert, bestätigte Rörig seinem Kollegen Häußler, könne eine „nicht zutreffende eigene Interpretation der Besprechungsinhalte“ sein. Dabei hatte der damalige SPD-Abgeordnete und heutige Justizminister Rainer Stickelberger („damit das nicht verwässert wird“) ausdrücklich nachgefragt: Sie bleibe also dabei, dass der Polizeieinsatz vor der Regierungserklärung beendet sein solle? „Ja, ja, ja, so war’s schon“, bestätigte die Beamtin. Dies und eine weitere Formulierung („Wie soll man sagen…“) wertete der Oberstaatsanwalt als „zu Tage tretende Unsicherheiten”. Mit den nun aufgetauchten Mails dürfte Rupperts Aussage indes neues Gewicht erhalten.

Ermittler stützen sich auf CDU-FDP-Votum

Das jetzt wieder in Frage gestellte Ergebnis des ersten Untersuchungsausschusses spielte auch eine wichtige Rolle, als Häußlers Abteilung im Dezember 2011 entschied, wegen des Polizeieinsatzes keine Ermittlungen gegen Mappus, Gönner und Ex-Innenminister Heribert Rech (alle CDU) einzuleiten. Gerade für die Frage einer strafrechtlichen Verantwortung von „hochrangigen Bediensteten des Landes“ sei „die Auswertung der Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses von besonderer Bedeutung“, hieß es in der Verfügung. Bei dem in neun Zeilen abgehandelten Punkt „B. Mitglieder der Landesregierung“ verwies die Staatsanwaltschaft zudem auf „das Ergebnis des Mehrheitsvotums“ des Ausschusses – also die Sicht von CDU und FDP.

Der damalige Ausschussvorsitzende Winfried Scheuermann (CDU) hatte Mappus übrigens, wie alle Zeugen, eingangs auf seine Wahrheitspflicht hingewiesen. Mehr müsse er dazu wohl nicht sagen, witzelte er bei der Begrüßung: Einem Ministerpräsidenten dies zu erläutern hieße ja “Eulen nach Athen tragen”.

Keine Akteneinsicht für Mappus beim Polizisten-Prozess

Prozess Die Aufarbeitung des „schwarzen Donnerstags“ geht im nächsten Jahr mit einem mit Spannung erwarteten Prozess vor dem Landgericht Stuttgart weiter. Dort sind zwei Polizeiführer wegen des Einsatzes der Wasserwerfer angeklagt. Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus dürfte dabei als Zeuge gefragt sein.

Antrag Nach Auskunft des Gerichts hat Mappus durch seine Anwälte „umfassende Akteneinsicht“ beantragt. Dies sei jedoch abgelehnt worden, weil er kein Verfahrensbeteiligter sei, sondern eine „Privatperson“. Er habe nicht schlüssig dargelegt, warum er zur Wahrung seiner Interessen auf Akteneinsicht angewiesen sei. Auch Staatsanwaltschaft, Verteidiger und die Vertreter der Nebenkläger hätten die Einsicht für Mappus abgelehnt