Die vom Stuttgarter Verkehrsministerium modifizierte Ausschreibung für den Schienenverkehr im Land zeitigt verblüffende Ergebnisse: das letzte Angebot der DB Regio für das Gäu-Murr-Netz wird für das Land deutlich billiger.

Stuttgart - Ein Wettbewerb soll zu guten Angeboten führen. Das ist besonders dann interessant, wenn des um große Summen geht, zum Beispiel um zehn Milliarden Euro. Dieses Volumen umfassen die Verträge, die das Land Baden-Württemberg in diesen Monaten mit Eisenbahnverkehrsunternehmen schließt, damit diese ihre Züge kreuz und quer durchs Land fahren lassen. Für die kommenden Verträge wurde eine Frist für die Angebotsabgabe um 14 Tage verlängert: Für das Herz des Bahnverkehrs im Land, das so genannte Stuttgarter Netz mit den lukrativen Verkehren rund um die Landeshauptstadt, sollen die Eisenbahnunternehmen ihre Angebote nun bis Anfang Oktober abgeben. Einige Wochen später wird der Zuschlag erfolgen. Angesichts der zuletzt vorgelegten Angebote wollen einige Eisebahnunternehmen „ihre Bleistifte nochmals spitzen“, heißt es im Verkehrsministerium zur Begründung für die Fristverlängerung.

 

Diese letzte Runde der Ausschreibungen hat viele überrascht. Minister Winfried Hermann (Grüne) hatte seit Jahren davon geredet, dass das Land laut dem Großen Verkehrsvertrag, der seit 2003 und noch bis 2016 gilt, zu viel für den Regionalverkehr bezahlt. Laut Hermann soll der Wettbewerb dazu führen, dass bei gleichen Zuschüssen des Landes der Zugverkehr um zwanzig Prozent ausgeweitet und die Fahrzeugflotte darüber hinaus gründlich modernisiert wird.

Das Angebot der DB Regio hat die Konkurrenz abgehängt

Aber selbst die Fachleute im Ministerium haben nicht damit gerechnet, dass die Bahntochter DB Regio ein derart niedriges Angebot für das Netz Gäu-Murr abgibt. Wie berichtet, erhielt sie den Zuschlag für einen Preis von 8,22 Euro je Zugkilometer, der von 2017 an gilt. Bisher legten die Züge der DB Regio im Rahmen des Großen Verkehrsvertrages zwischen Stuttgart und Crailsheim und Stuttgart-Horb-Singen/Freudenstadt 2,1 Millionen Kilometer im Jahr für einen Preis von 11,69 Euro je Kilometer zurück. Die vertraglich festgelegte Preissteigerung bis 2017 ist dabei noch nicht inbegriffen.

Für das Land als Besteller der Züge kommt es noch besser: bisher erhielt die DB Regio gemäß des Großen Verkehrsvertrages alle Einnahmen aus den verkauften Fahrkarten. Dieses Geld fließt im Falle des Gäu-Murr-Vertrages vollständig in die Landeskasse. Nutzen mehr Menschen die Züge, senkt sich faktisch der Preis für das Land. Damit ist angesichts neuer Waggons mit mehr Komfort als Ersatz für die „Silberlinge“ und einem optimierten Fahrplan durchaus zu rechnen.

Dem Vernehmen nach hatten sich sechs Eisenbahnunternehmen um das Gäu-Murr-Netz beworben. Darunter die landeseigene Südwestdeutsche Eisenbahngesellschaft (SWEG) und auch ausländische Unternehmen wie „Go-Ahead“. Die britische Gesellschaft mit heute 26 000 Mitarbeitern wurde 1987 gegründet. Sie befördert rund ein Drittel der Zugreisenden in Großbritannien und besitzt über Tochtergesellschaften 4600 Busse für das Londoner City-Netz. 2014 wurde die „Go-Ahead Verkehrsgesellschaft Deutschland“ gegründet mit dem Ziel, sich an den Ausschreibungen im deutschen Schienennahverkehr zu beteiligen. Im Land wollte Go-Ahead mit einem attraktiven Preis beim Gäu-Murr-Netz erstmals zuschlagen und wurde erklärtermaßen vom niedrigen DB-Angebot überrascht. „Wir waren optimistisch, zu gewinnen“, sagte der Go-Ahead-Deutschland-Geschäftsführer Stefan Krispin gegenüber der StZ.

Jeder Bieter darf nur maximal zwei Lose übernehmen

Krispin setzt nun auf den Wettbewerb für das Stuttgarter Netz. Dabei geht es um weit mehr Zugfahrten als bei den bisherigen Verträgen. 14,9 Millionen teilen sich auf in die drei Lose Neckartal (6,8 Millionen Zugkilometer), Rems-Fils (3,7 Millionen Zugkilometer) und Franken-Enz (4,3 Millionen Zugkilometer). Jeder Bieter darf maximal zwei Lose übernehmen. Selbst wenn also die DB Regio erneut den günstigsten Preis aufrufen sollte, wird auf jeden Fall ein Mitbewerber zum Zug kommen.

Im Ausschreibungsverfahren steht dem Land die Anwältin Ute Jasper zur Seite, Leiterin des Vergabeteams der Anwaltskanzlei „Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek“. Sie spricht von einer „kleinen Sensation“ im Hinblick auf die Akzeptanz eines Finanzierungsmodells, das sich auch die DB Regio zu Nutze macht. Bei diesem BW-Modell bestellen die Unternehmen die neuen Züge bei einem Hersteller und veräußern sie sogleich an das Land Baden-Württemberg. Im dritten Schritt mietet das Verkehrsunternehmen das Wagenmaterial aus diesem Fahrzeug-Pool. „Dadurch können die günstigen Kreditkonditionen des Landes weitergegeben werden und das Land spart Kosten“, erklärt das Verkehrsministerium.

Der Große Verkehrsvertrag war für die DB Regio ein gutes Geschäft

Bisher geht Winfried Hermanns Plan auf, mehr Züge im Land rollen zu lassen, ohne dafür mehr auszugeben. Offensichtlich ist außerdem, dass die DB Regio mit dem Großen Verkehrsvertrag ein gutes Geschäft gemacht hat. Gutachter des Landes sagen, dass für den Großen Verkehrsvertrag bis zu einer Milliarde Euro zuviel bezahlt wurde. Der Bahn wurde damals eine jährliche Steigerung der Kosten von 1,5 Prozent zugestanden. Zwischen 2003 und 2015 wäre der Zugkilometerpreis von 7,89 Euro auf 9,43 Euro gestiegen. Laut dem 22 Seiten starken Vertrag, der der StZ vorliegt, wurde der DB darüber hinaus gestattet, Energiekosten und Gebühren für Stationen und Trassen abzurechnen. Auch die zusätzlichen Erlöse aus Tariferhöhungen und zusätzlichen Fahrgästen füllen die Kasse der Bahn. Von einer Überkompensation ist nun die Rede.

Ob 2003 vor dem Hintergrund von Stuttgart 21 nur ein aus Sicht des Landes schlechter Vertrag abgeschlossen wurde, oder ob es rechtlich stichhaltige Gründe gegen ihn gibt, ist umstritten. Viele Politiker – Hermann gehört nicht dazu – sind offenbar der Ansicht, einem langjährigen Rechtsstreit mit der Deutschen Bahn besser aus dem Weg zu gehen und die Zahlen auf sich beruhen zu lassen. „Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass der Verkehrsvertrag rechtmäßig geschlossen wurde“, erklärt dazu DB-Regio-Landeschef Andreas Moschinski-Wald. Fest steht, dass die Bahn es sich leisten kann, zumindest bei der Ausschreibung für das Gäu-Murr-Netz von 2017 an für einen Preis zu fahren, der auf dem Niveau des Jahres 2003 liegt.

Es gibt schnellere Züge und mehr Verbindungen

Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) für das Land Baden-Württemberg und der DB-Vorstandschef Hartmut Mehrdorn haben am 8. Juli 2003 einen 21 Seiten umfassenden Vertrag über den Einsatz von DB Regio-Zügen unterzeichnet. Der Vertrag endet am 30. September nächsten Jahres. Die Züge der Bahntochter DB Regio legen nach dem Großen Verkehrsvertrag 39 Millionen Kilometer jährlich zurück, das sind rund 60 Prozent des Zugverkehrs, für den das Land bezahlt. Abgerechnet wird je Zugkilometer. Das meiste Geld dafür erhält das Land vom Bund, muss aber eigene Mittel zuschießen. Das Stuttgarter Netz
umfasst 14,9 Millionen Zugkilometer, aufgeteilt in drei Lose. Minister Hermann verspricht durch Wettbewerb dichtere Takte, neue umsteigefreie Verbindungen und schnellere Züge. Weil die Preise je Zugkilometer sinken, müsse das Land nicht mehr Geld ausgeben als bisher.