Eigentlich gibt es im Göppinger Gemeinderat eine klare bürgerliche Mehrheit. Doch in manchem Ausschuss sieht es ganz anders aus. Schuld an diesem Kuriosum ist das neue Auszählverfahren.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - Festliche Flötenmusik, ehrende Worte, feine Schnittchen: Zu ihrer konstituierenden Sitzung kommen die alten und neugewählten Göppinger Stadträte heute, 18 Uhr, in der Stadthalle zusammen. Feierlich und harmonisch soll es bei der Verpflichtung zugehen. Doch hinter den Kulissen ist der Kampf um politischen Einfluss bereits entbrannt.

 

Nicht einmal die Frage der Sitzordnung im Ratssaal konnte ohne Irritationen geklärt werden. So stieß die Idee der Verwaltung, die neugebildete Fraktionsgemeinschaft aus Linken und Piraten (Lipi) zwischen SPD und Grüne zu zwängen, bei den Betroffenen auf heftige Gegenwehr. Der Linken-Stadtrat Christian Stähle hatte bisher ganz links außen gesessen und wollte dort unbedingt bleiben. Der überflüssige Streit nervt auch andere. „Ich weiß nicht, warum der Oberbürgermeister diese Baustelle überhaupt aufgemacht hat“, sagt der neue Fraktionschef der Freien Wähler, Stefan Horn. Möglicherweise hatte Guido Till (CDU) gehofft, durch die Rochade seinen Intimfeind Stähle besser im Blick und im Griff zu haben. Andere vermuten, Till habe mehr Abstand zwischen Stähle und dem Pressetisch schaffen wollen, der direkt hinter seinem Rücken positioniert ist. Inzwischen hat Till nachgegeben.

Die Bürgerliche Mehrheit wird plötzlich zur Minderheit

Derweil stößt sich die CDU an den Plänen zur Besetzung der Ausschüsse und städtischen Aufsichtsräte. Insbesondere im Kontrollgremium der Wohnbaugesellschaft (WGG) sei seine Partei nach dem gegenwärtigen Stand unterrepräsentiert, bruddelt der Fraktionschef Felix Gerber. Noch schlimmer: die bürgerliche Mehrheit von CDU, Freien Wählern und FDP/FW im Gemeinderat (22 zu 18) schrumpfe in dem Neuner-Gremium zu einer Minderheit (vier zu fünf). „Das entspricht nicht dem Wählerwillen“, so Gerber.

Schuld daran ist das neue Auszählverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers, das bei der vergangenen Kommunalwahl erstmals angewandt wurde und nun auch über die Verteilung der Ausschusssitze bestimmt. Während das bisherige Verfahren des Mathematikers d’Hondt große Gruppierungen bevorzugte (was Gerber nie gestört hat: „Warum auch?“), steht Sainte-Laguë/Schepers auf der Seite der Kleinen. So hat die CDU den Verlust ihres zwölften Gemeinderatssitzes im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren weniger dem Wahlergebnis als dem neuen Auszählverfahren zu verdanken. Dieser Effekt potenziert sich, wenn das Verfahren wie bei der Ausschussbesetzung, zweimal hintereinander angewandt wird. Plötzlich steht die CDU in Neuner-Gremien mit zwei Mandaten auf einer Ebene mit SPD (acht Gemeinderatssitze) und Grünen (sieben).

Da hilft nur noch ein Trick

Das könnte Folgen haben. Zusammen mit Lipi könnte eine linke Mehrheit den Fokus der WGG, die sich zuletzt stärker auf städtebauliche Projekte konzentrierte, wieder auf den sozialen Wohnungsbau lenken. Man solle den Aufsichtsrat um zwei Mitglieder erweitern, schlägt Gerber deshalb vor. Das würde die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Bürgerlichen (sechs zu fünf) gerade rücken. Klar, dass SPD, Grüne und Lipi dafür keinen Anlass sehen, wobei sich noch ein weiteres Problem ergibt. Im WGG-Aufsichtsrat sind nämlich auch die Minderheitengesellschafter Kreisbau und Volksbank vertreten. Ob sie einer Vergrößerung des Gremiums und einer Stärkung des Göppinger Einflusses zustimmen würden, ist offen.

So bleibt Gerber noch ein Griff in die Trickkiste. Die besondere Arithmetik des Falles bringt es mit sich, dass bei einem Zusammenschluss aller bürgerlichen Fraktionen zu einer Zählgemeinschaft die Mehrheit wieder da wäre. Die Grünen müssten ein Mandat abgeben. Doch vor fünf Jahren haben genau solche Tricks den Start in die Amtsperiode nachhaltig vergiftet.