Vier sehbehinderte Mitarbeiterinnen von Aussicht mobil zeigen Kindern, wie gut sie sich trotz Handicap zurechtfinden. Highlight ist die Zubereitung eines Obstsalats, der anschließend im völlig abgedunkelten Raum gelöffelt wird.

Büsnau - Um sich in der Küche zu orientieren, hat Claudia Lychacz ein festes System: Salz steht am einen Ende, Zucker am anderen, die restlichen Gewürze immer an der gleichen Stelle dazwischen. Die strikte Ordnung ist wichtig, denn so findet sie immer genau die Dose, die sie gerade braucht. „Manche Sehbehinderte beschriften die Gewürze auch mit Braille-Schrift oder füllen alles in verschieden geformte Behälter, um sich zurechtzufinden“, sagt Claudia. Auch der Geruchssinn hilft bei der Orientierung. Und wenn die Lebensmittel so intensiv duften wie die frischen Wassermelonen und Erdbeeren, ist es ein Leichtes für die vier sehbehinderten Frauen von Aussicht mobil, die Früchte für den Obstsalat zu unterscheiden, den sie gemeinsam mit neun Kindern im Kinderhaus Büsnau in kleine Stücke schneiden. „Ich schneide ungern auf einem Brettchen“, sagt Vida Sakpah, „ich schneide lieber in meiner Handfläche, da habe ich ein besseres Gespür dafür.“

 

Zielsicher bewegt sich Vida durch den dunklen Raum

Wassermelonen, Äpfel, Bananen, Erdbeeren, Kiwi, Trauben und Orangen landen in mundgerechten Stücken in einer großen Schüssel. Ein bisschen frisch gepresster Zitronensaft verfeinert das Ganze noch. Dann führen Vida, Claudia, Leyla und Sonja, alle mit einer Sehbehinderung, die Kinder in einen völlig abgedunkelten Raum. Es ist so finster, dass man nicht einmal die Hand vor den Augen erkennt, nicht die kleinste Bewegung erahnen kann. Zielsicher führen die Damen die Kinder an die Tische und servieren ihnen den Obstsalat in Schälchen. Die vorher so quirligen Kinder sind fast mucksmäuschenstill, in der Dunkelheit traut sich kaum einer mehr als zu flüstern. In fast andächtiger Stille wird der Obstsalat gelöffelt. „Könnt ihr die Früchte unterscheiden?“, fragt Claudia. Mit einem einstimmigen „Ja“ antworten die Kinder. „Ich hatte gar keine Erdbeere“, piepst eine Mädchenstimme aus der rechten Ecke. „Ich auch nicht“ – kommt die Antwort von links. „Kann ich noch mal was haben?“, fragt einer der Jungs. Vida steht auf, füllt ein zweites Schälchen Obstsalat und stellt es wieder zielsicher genau vor dem Jungen auf den Tisch. Ihre Orientierung im völlig dunklen Raum ist bemerkenswert. „Das ist einfach, ich kenne den Raum bereits, weil ich schon die letzten Tage hier war“, erklärt sie ihre Zielsicherheit.

Blind ist nicht gleich blind

Die ganze Woche über haben die Mitarbeiter von Aussicht mobil sehenden Kindern im Kinderhaus die Welt der Blinden und Sehbehinderten näher gebracht. Sie zeigten ihnen das Laufen mit einem Langstock, das Lesen der Blindenschrift und die verschiedenen Formen von Sehbehinderungen. „Blind heißt nicht gleich blind“, sagt Claudia, „es kommt immer darauf an, welcher Teil des Auges erkrankt ist.“ „Ich kann Farben noch ganz gut erkennen“, erklärt Sonja Molet den Kindern. „An der Farbe eurer T-Shirts kann ich euch auseinanderhalten.“ Leyla Cantürk hat noch zwei Prozent Sehleistung. „Ich kann Bewegungen erkennen, dafür kaum noch Farben“, sagt sie. Dennoch kommen die vier Frauen mit ihrer Sehbehinderung gut zurecht. „Wir möchten zeigen, dass wir zwar sehbehindert, aber nicht hilflos sind“, sagt Vida. Das haben die Kinder spätestens nach dem Obstsalat-Essen im Dunkeln auch erkannt. Denn da waren die Sehenden im Nachteil, für die Aussicht mobil Mitarbeiterinnen dagegen war es ein Heimspiel.

Info

2003 gründete eine Gruppe sehender, blinder und sehbehinderter Menschen den Verein Aussicht. Ziele sind die Integration sehbehinderter Menschen in die Gesellschaft und in den ersten Arbeitsmarkt, die Kommunikation zwischen Sehenden und Nichtsehenden und Hilfe zur Selbsthilfe. Außerdem betreibt der Verein seit 2004 Dunkelrestaurants in Esslingen und Stuttgart.

Das Jugendprojekt Aussicht mobil wird von blinden, sehbehinderten und sehenden Menschen gestaltet, die für „normalsichtige“ Kinder und Jugendliche mit verschiedenen Aktionen neue und spannende Sinneserlebnisse ohne Lichteinflüsse vermitteln.

Infos
und Buchungsanfrage unter www.aus-sicht.de.