Die letzte Schau des verstorbenen Stuttgarter Galeristen Harry Schlichtenmaier gilt dem Künstler, mit dem sein Interesse für die schwäbische Moderne begann: Erich Hauser.

Stuttgart - Wer in den frühen 70er Jahren bei Wilhelm Boeck in Tübingen Kunstgeschichte studierte, der hatte das Glück, nicht nur an die alten Meister herangeführt zu werden. Der Professor begeisterte seine Schüler auch für die deutsche Nachkriegsavantgarde. Ein akademisches Novum waren besonders die Atelierbesuche bei Künstlern der Region. Boecks Seminare belegte auch der junge Stuttgarter Harry Schlichtenmaier. Durch Vermittlung seines progressiven Lehrers lernte er schon während des Studiums jene Positionen kennen, denen er sein späteres Leben als Kunsthändler widmen sollte.

 

Sein Schlüsselerlebnis bei der Begegnung mit der südwestdeutschen Spätmoderne war dabei vor allem der Besuch im Atelier des konstruktivistischen Bildhauers Erich Hauser. Fast klingt es wie eine tragisch-ironische Schicksalslaune, dass Harry Schlichtenmaier just eine Ausstellung dieses Künstlers vorbereitete, als er kurz vor Weihnachten plötzlich starb.

Auch einen Monat später kann Stuttgarts Kunstszene die Nachricht noch immer nicht richtig fassen. Ausgerechnet er, der passionierte Skifahrer und Tennisspieler, starb mit nur 69 Jahren, noch mitten in einem Beruf stehend, der ihm so viel mehr bedeutete als nur den Broterwerb. Seine Brüder Kuno und Bert führen die gemeinsame Galerie nun alleine weiter. Zum Gedenken an ihren Weggefährten haben die beiden auch die Hauser-Präsentation „Dialoge in Stahl“ vollendet, die heute eröffnet wird. „Die Werkauswahl“, sagt Kuno Schlichtenmaier, „traf großenteils noch mein Bruder, nur den Begleittext und die Eröffnungsrede hat er nicht mehr verfasst.“

Die Traditionsgalerie Schlichtenmaier ist ein Marktführer für Kunst in Baden-Württemberg

1979 haben die drei Brüder die von ihrem Vater gegründete Traditionsgalerie Schlichtenmaier übernommen und zu einem der Marktführer für Kunst aus Baden-Württemberg ausgebaut. Zusätzlich zu ihrem Stammsitz auf Schloss Dätzingen eröffnete das Trio 2003 eine Dependance am Stuttgarter Schlossplatz.

Innerhalb des vielfältigen Galerieprogramms, das sich von Klassikern wie Adolf Hölzel bis hin zu jüngeren Positionen wie Platino erstreckt, zeichnete Harry Schlichtenmaier vorwiegend für die abstrakte Plastik des 20. Jahrhunderts verantwortlich. Neben Hauser, den er für die Galerie gewonnen hat, betreute er das Œuvreeinflussreicher Nachkriegsskulpteure wie Otto H. Hajek, Paul Reich oder Thomas Lenk. Parallel verfasste er das Werkverzeichnis des Stuttgarter Akademieprofessors Otto Baum.

Harry Schlichtenmaier war ein Mentor der schwäbischen Moderne

„Auch bei seiner kuratorischen Arbeit“, sagt Kuno Schlichtenmaier, „ging es Harry stets um das Herausmodellieren kunsthistorischer Entwicklungslinien.“ Den Einstieg in die Hauser-Ausstellung am Schlossplatz bilden dementsprechend frühe Arbeiten, deren offene Plattenstruktur, wie etwa das 1960 entstandene „Modell für eine Freiplastik“, noch informellen Ansätzen folgt. Daneben tritt umso deutlicher das Neuartige von Hausers späterem Schaffen hervor: scharfe Geometrien, blitzend, komplex und monumental.

Hinter den Kulissen hatte Harry Schlichtenmaier aber noch andere Betätigungsfelder. Mit seiner Dissertation über Hans Rottenhammer etablierte sich der Mentor der schwäbischen Moderne als profunder Kenner des deutschen Frühbarocks. Ein Forschungsgebiet, dem er auch im zeitgenössischen Galeriealltag die Treue hielt. Kuno Schlichtenmaier: „Aus ganz Deutschland zog man ihn zu Rate, wenn es galt, Werke von Rottenhammer oder aus seinem Kreis zu begutachten.“

Fehlen wird dem Galerieteam aber nicht nur das Sachwissen des Verstorbenen. „Mein Bruder war in der Branche hervorragend vernetzt und konnte wie kein anderer ganze Werkgruppen für den Kunsthandel erschließen.“ Erst im vergangenen Sommer holte er in der Dätzinger Ausstellung „Spurensuche“ die Höhepunkte einer bis dato weitgehend unbekannten Privatkollektion ans Licht der Öffentlichkeit – mit Bildern von Informel-Vorkämpfer Bernard Schultze bis zur Neuen Figuration eines Lambert Maria Wintersberger.

In Erinnerung bleibt ein vielseitiger Kunsthändler, der Kompetenz mit Intuition verband

Wer den erfolgreichen Kunstvermittler kannte, schätzte auch seine Jovialität und Offenheit. Charakterzüge, dank derer er auf unterschiedliche Künstler- und Sammlertypen vorurteilsfrei zugehen konnte. „Seine Eröffnungsreden“, sagt sein Bruder Kuno, „hat er meist mit sehr persönlichen Worten über den Künstler eingeleitet.“

In Erinnerung bleiben wird Harry Schlichtenmaier als ein vielseitiger Kunsthändler, der gerade deshalb so viel erreichte, weil er Fachkompetenz mit Intuition verband. Und über den kommerziellen Zwängen seines Metiers hat er nie den Faktor Leidenschaft vernachlässigt. Er wusste: Vor dem Verkaufen steht das Überzeugen, das Neugierigmachen auf Unbekanntes. Dass Erich Hauser und andere weit über das Schwabenland hinaus Erfolge feiern konnten, war auch das Verdienst des Galeristen-Urgesteins aus Dätzingen.

Vernissage an diesem Donnerstag, 19.30 Uhr. Die Ausstellung läuft bis 25. Februar. Kleiner Schlossplatz 11, Di-Fr 11-19, Sa 11-17 Uhr.