Der Büstenhalter ist nicht am Neckar erfunden worden. Aber er wurde hier erheblich verbessert. Im Stadtmuseum dokumentiert die Ausstellung die Geschichte.

Bad Cannstatt - Die Revolution enttäuscht in der B-Note. Platt und formlos, eher an ein mit ein paar Nähten versetztes Geschirrtuch als an ein Dessous erinnert das Büstenhalter-Modell Hautana in der Vitrine im Stadtmuseum Bad Cannstatt. Auf den ersten Blick strahlt es keine erotische Raffinesse aus. „Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutete Hautana für die Frauen eine kleine Revolution“, sagt Olaf Schulze, Kurator der neuen Ausstellung „Prima Donna – Zur wechselvollen Geschichte einer Cannstatter Korsettfabrik“.

 

Bereits seit 1865 produzierte die Cannstatter Firma S. Lindauer erfolgreich hochwertige Korsetts und Miederwaren. Bis nach Russland, in die USA und Australien gingen die Waren aus der Fabrik an der Hallstaße, 400 Mitarbeiter hatte das Unternehmen in Spitzenzeiten. Aber der ganz große Wurf, der war dem Unternehmen bis dahin noch nicht gelungen.

„Einen Büstenhalter machen, den man auch auf der Haut tragen kann“, mit diesem Gedanken kehrte Julius Lindauer, einer der Söhne des Firmeninhabers Salomon Lindauer, aus Paris Anfang 1900 an den Neckar zurück. Der Markt griff die Entwicklung begierig auf. Denn: einen wohlgeformten Körper zu haben, ohne sich in panzerähnlichen Korsetts die Luft abschnüren zu müssen, davon träumten Frauen. Seit etwa 1890 tüftelten Korsetthersteller an verschiedenen Orten der Welt am Konzept einer stützenden, aber zugleich leichten Miederware. „Die Idee dafür lag in der Luft“, sagt Historiker Olaf Schulze.

„Der BH hat mehrere Väter“

Dass der BH damit in Cannstatt erfunden ist, wie es der schwäbische Dichter Thaddäus Troll behauptet hat, muss Manfred Schmid, Planer im Stadtmuseum Stuttgart, korrigieren. „Der BH hat mehrere Väter.“ Sicher ist, dass ihn die Firma Lindauer fortschrittlich bewarb: Preisausschreiben, aufreizende Werbung, prägnante Slogans und dazu gute Qualität – „Hautana stand für den BH wie Tempo heute für das Taschentuch“, sagt Schulze.

Sicher ist auch, dass Hautana die erste industriell gefertigte BH-Serien mit Markenname ist. Ob er 1912 oder 1913 das erste Mal hergestellt wurde, wie in der Literatur immer wieder erwähnt, konnten die Ausstellungsmacher nicht abschließend klären. „Fest steht, dass er 1914 zum ersten Mal in den Ladenregalen gelegen haben muss. Denn aus diesem Jahr datiert die erste Hautana-Reklame von Lindauer“, sagt Schmid. Um dem Büstenhalter nicht zu spät zu gratulieren, behielten die Kuratoren 2012 für die Jubiläumsausstellung bei.

Allerdings wurde aus der geplanten BH-Ausstellung eine Ausstellung über die wechselvolle Geschichte der Korsettfabrikantendynastie Lindauer. Gehörte Firmenerbe Sigmund Lindauer zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Einwohnern Württembergs, so hatte das Unternehmen mit Naziherrschaft schwer zu kämpfen. Die Lindauers waren Juden, nur weil Schwiegersohn Wilhelm Meyer-Ilschen nicht Jude war, konnte das Unternehmen die Arisierung vermeiden. Hautana, das bekannteste Produkt des Unternehmens, wurde nach dem Krieg jedoch nicht mehr aufgelegt. Rechtliche Ansprüche, so vermuten die Historiker, hätten dies verhindert. An Hautanas Stelle rückte der Markenname „Prima Donna“, von jeher für die Korsettserien in Verwendung. Zum Januar 1990 wurde der Betrieb eingestellt. Nicht, weil das Unternehmen in den roten Zahlen stand. Die Erben hatten kein Interesse mehr daran. Lingerie unter dem Namen „Prima Donna“ gibt es allerdings weiterhin – nur, dass die Markenrechte seitdem ein Hersteller in Belgien hat.

Ausstellung Die Eröffnung ist am Donnerstag im Stadtmuseum Bad Cannstatt; weitere Informationen unter der Telefonnummer 56 47 88.