Das neue Finale der Dauerausstellung im Haus der Geschichte zeigt 160 Exponate zu Europäischen Union - aber nicht eine einzige Gurke.

Stuttgart - „Das sind sozusagen unsere Gurken“, sagt Ausstellungsleiterin Paula Lutum-Lenger lachend und deutet auf einen Bildschirm. Zu sehen sind die Spezialitäten Baden-Württembergs, jede unterlegt mit seitenlangen EU-Vorschriften. Wer hier aufmerksam stöbert, erfährt, was eine Schwäbische Maultasche darf und was nicht, welches Kirschwasser in die Schwarzwälder Kirschtorte gehört und welche sechs Stuttgarter Stadtteile neben anderen Orten als Heimat des echten Filderkrauts zugelassen sind. Diese Beispiele für die europäische Regulierungsbegeisterung würden „schon so manche Gurke in den Schatten stellen“, sagt sie.

 

Rund 160 Exponate bilden die jüngste Abteilung der Dauerausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Im Haus Europa hat sogar ein Feinstaubmessgerät Platz. Angeordnet sind die Stücke in fünf Zimmern unter einem angedeuteten Dach. Die jeweilige farbige Beleuchtung vermittelt eine passende Grundstimmung – von finster-blutig bis hin zu fortschrittlich-hell. Im Zentrum des Hauses stehen die Kriege des „Schlachthauses Europa“. Das schwarz-rote Licht wirkt beklemmend, das schimmelige Hitler-Porträt und die Bilder von Toten des Ersten und Zweiten Weltkriegs nicht minder. Der Raum solle daran erinnern, dass es früher kaum ein Jahrzehnt gab, in dem nicht irgendeine europäische Nation im Krieg war, erklärt Museumsleiter Thomas Schnabel. „Das war jahrhundertelang Realität, und wir waren mittendrin. Alle, die zu anderen kriegerisch marschieren wollen, mussten immer hier durch.“

Uniformjacke erinnert an einen tragischen Tod

Die Uniformjacke eines Stuttgarter Soldaten erinnert an seine traurige Geschichte. Erwin Alexander Thomä ist am 11. November 1918 von einer Kugel getötet worden – eine halbe Stunde nach Ende des Ersten Weltkriegs. Die gute Nachricht vom Waffenstillstand hatte sich zu langsam verbreitet. „Für uns ist alles viel zu selbstverständlich geworden – wir gucken alle nur noch auf die Gurke“, sagt Schnabel.

Startpunkt im Haus Europa sind die „Euro-Visionen“, die zum Teil schon weit vor dem politischen Schulterschluss entworfen wurden. Ihnen ist das erste Zimmer gewidmet, das von einer frühen Europaflagge von 1946 überspannt wird. Das grüne E auf weißem Grund wurde als „Churchills Unterhose“ verspottet, Karriere machte es dagegen nicht. Zu den frühen Visionären gehören auch Stuttgarter: Der Stuttgarter Stadtpfarrer und Pazifist Otto Umfried propagierte 1913 eine europäische Föderation, und Robert Bosch hat sich in den 1930er Jahren für die deutsch-französische Verständigung ausgesprochen.

Ein Teddy symbolisiert die solidarische Hilfe

Das 2015 aussortierte Stuttgarter Feinstaubmessgerät hat einen Platz in Zimmer Nummer zwei, dem „Europa der Bürger“. „Es steht für Europa als Verbündeten der Bürger gegen die Autolobby. Mancher sieht es aber vielleicht auch als Gängelung“, sagt der Kurator Sebastian Dörfler. Viel Raum ist den Städtepartnerschaften gewidmet, und ein Plüschhase symbolisiert die solidarische Hilfe für die ärmeren Länder im Osten Europas.

Das neueste und größte Exponat thront an der Wand über „Europa als gemeinsamer Markt“: Das kleine, weiße Elektroautomobil steht für die heutigen Wirtschaftsverflechtungen, während alte Plakate baden-württembergischer Firmen den frühen Start der wirtschaftlichen Beziehungen in Europa widerspiegeln.

Das letzte Zimmer des Hauses Europa wird bei der Eröffnung am Sonntag zu besonderen Ehren kommen. Es ist das „Europa der Monarchen, Politiker und Technokraten“. Wer möchte, kann sich hier die Rede an die Jugend anhören, die der damalige französische Präsident Charles de Gaulle 1962 in Ludwigsburg gehalten hat. Mit seinen Worten hat er damals viele junge Deutsche in seinen Bann gezogen. „Er hat gesagt, dass wir stolz sein können, Deutsche zu sein. Das hat auf uns unheimlich gewirkt. Ich bin Gaullist seitdem“, erinnert sich Zeitzeuge Manfred Kaut aus Fellbach.

Zeugenzeugen sprechen bei der Eröffnung

Kaut wird zur Eröffnung am Sonntag von 15 Uhr an durchs Haus Europa führen. Später, nach 16.30 Uhr, spricht Paula Lutum-Lenger mit dem Historiker und Kolumnisten Gerhard Raff, der – wie es in der Ankündigung heißt – „1963 dem Aufruf zur deutsch-französischen Verständigung auf dem Fahrrad nachkam“. Ihm ist ein eigener Schaukasten gewidmet.