Das Heimatmuseum zeigt Scherenschnitte von Hedwig Goller. Ihre Motive sind Märchen und fantastische Geschichten, auch von Romantikern wie Eduard Mörike. Und Hänsel und Gretel sind nicht nur Schwarz-Weiß.

Korntal-Münchingen - E s ist wie das Eintauchen in eine andere Welt: Weg von der Hektik, weg vom Smartphone, weg von der Autoraserei. Rein in das Haus, das einen mit dem Gebimmel einer Glocke empfängt. Dann sind sie schon zu sehen: Kunstwerke in Schwarz und Weiß, gelegentlich mit einem Tupfer Rot oder anderer Farbe. Die Scherenschnitte von Hedwig Goller im Heimatmuseum Münchingen sind wie Balsam auf hektische Großstädterseelen. Die vor zwei Jahren hochbetagt gestorbene Künstlerin und Kunstlehrerin war eine Meisterin ihres Fachs. Mit der kleinen Schere schuf sie über Jahrzehnte Motive, wie man sie mit Aquarell oder Öl nicht schaffen kann. Viele davon hat die Stadt nun von den Angehörigen erhalten.

 

Erfunden für Porträts

„Hedwig Goller hat aus dem traditionellen Scherenschnitt etwas Neues gemacht“, erklärt Sabine Rathgeb, die Leiterin des Heimatmuseums. Scherenschnitte waren in Europa im 17. Jahrhundert entstanden, begannen als Schnitt in weißem Papier – also gerade gegenteilig zu dem, was später daraus wurde. Der Scherenschnitt ins schwarze Papier wurde im 19. Jahrhundert vor der Fotografie zum Porträtmedium des Bürgertums, „weil es billiger war als ein Ölbild“, so Rathgeb. Und es brauchte noch nicht einmal einen Künstler dazu: Mit einer Kerze konnte man einen Schatten des Abzubildenden an die Wand werfen, auf einem Papier mit einem Stift außenrum fahren und das Ganze ausschneiden.

So einfach arbeitete Hedwig Goller nicht. Die 1920 in Korntal Geborene zeichnete zwar auch vor – was Ausstellungsbesucher auf einigen Blättern sehen können. Sie schnitt aber auch frei mit der feinen Schere – alles aus einem Stück schwarzem Papier. Nach ihrer pädagogischen Ausbildung während des Krieges hatte sie ihre künstlerische Ausbildung in Stuttgart absolviert, 1950 begann sie als Lehrerin am Progymnasium für Mädchen in Korntal. Das blieb sie bis 1980. Neben ihrem Brotberuf fertigte sie nicht nur Scherenschnitte oder malte Blumenimpressionen in Pastell. Sie unterrichtete auch Studenten. Und ihre Werke wurden veröffentlicht – zum Beispiel als Illustrationen von etlichen Märchenbüchern, die ihre Tochter herausgab.

Gründungsmitglied des Kunstvereins

Hedwig Goller war Gründungsmitglied des Kunstvereins Korntal – auch deshalb wird dessen Vorsitzende Ulli Heyd am Sonntag bei der Vernissage Hedwig Goller würdigen. „Sie hat Abstraktion erreicht“, meint Heyd, „und sie hat Bewegung drin.“ All das erkennt der Besucher, der sich den Werken widmet. Seien es Szenen zu den Märchen Schneewittchen, Dornröschen oder Pechmarie und Goldmarie. Hänsel und Gretel bekommen eine besondere Dramatik: Das offene Feuer und das Fenster im Hexenhaus sind mit Rot hinterlegt. Das ist mehr als Kunsthandwerk. „Ihre Blütezeit hatte Hedwig Goller in den achtziger und neunziger Jahren“, meint Sabine Rathgeb.

Da orientierte sie sich auch an Texten von Eduard Mörike oder Justinus Kerner. Der „fliegende Koffer“ ist wunderbar. Da fliegt auch die Fantasie des Betrachters mit. Und es ist einfach zauberhaft, wie die schöne Lau visualisiert ist – nur mit Schwarz und Weiß. Von der Meisterin der Schere.