Viele, die Stuttgart lieben, machen sich Sorgen. Der Charakter der Stadt dürfe nicht zerstört werden oder müsse wieder hergestellt werden, war bei der Eröffnung der Ausstellung „Stuttgarter Charakterköpfe“ im Renitenz-Theater zu hören.

Stuttgart - Der Fotograf Wilhelm Betz bildet die Vielfalt, also die Buntheit der Stuttgarter Männerwelt, in Schwarzweiß ab – als Kontrast zur Bilderflut, die uns in den sozialen Netzwerken überschwemmt. Seine „Stuttgarter Charakterköpfe“ sind im gleichnamigen Buch des Silberburg-Verlags zu bewundern, einige davon nun auch im Foyer des Renitenz-Theaters. Zur Ausstellungsöffnung signierten Betz und Textautor Uwe Bogen den Bildband. Aber auch etliche der Porträtierten waren gekommen und unterschrieben ihre Seite in dem Buch.

 

Gründungsversammlung der Aufbruch-Initiative am 23. März

Stuttgarts Charakter darf nicht zerstört werden oder müsse wieder hergestellt werden, hörte man an diesem Abend. Der frühere SWR-Moderator Wieland Backes engagiert sich deshalb mit der neuen Bürgerinitiative „Aufbruch Stuttgart“ für eine „lebendige Kulturmeile“ und warb im Renitenz-Theater dafür. Am 23. März, 19 Uhr, findet die Gründungsversammlung der Initiative im Hospitalhof statt. Backes hofft auf eine „beeindruckende Mitgliederzahl“, um etwas ausrichten zu können.

In dem Buch „Stuttgarter Charakterköpfe“ beschreiben die Porträtierten mit provokanten, herzlichen, witzigen und originellen Erkenntnissen den Charakter Stuttgarts und sagen, was sie sich für die Stadt wünschen. Die Liebe für Stuttgart ist stark – aber auch der Ärger, weil vieles diese Liebe gefährdet. Stuttgarts Charakter, sagen die Charakterköpfe, darf nicht im Bauwahn zerstört werden und der Abrissbirne zum Opfer fallen. Das kulturelle Erbe müsse besser geschützt werden. Der Wunsch wächst, endlich gegen die Bausünden der Vergangenheit vorzugehen.

Zwischen Größenwahn und Selbstmitleid

Der Schriftsteller Heinrich Steinfest etwa vergleicht den Charakter Stuttgarts mit einem Topf, in dem eine Suppe vor sich hin köchelt. „Gerüche zwischen Größenwahn und Selbstmitleid“ nimmt er wahr – aber auch Gerüche, die er als „erregend lieblich“ bezeichnen mag. Der Koch Vincent Klink beklagt, was Investoren in Stuttgart anrichten. Tänzer Egon Madsen freut sich, dass Stuttgart „hyggelig und gemütlich“ ist, während Weinhändler Bernd Kreis „die Bittersüße der Stadt“ rühmt. Seine Wahlheimat Stuttgart erinnert Eric Gauthier, den Chef der Theaterhaus-Tanz-Kompanie, an Montreal in Kanada, wo er herkommt: „Beide Städte sind offen, tolerant und bunt.“ Rezzo Schlauch wünscht sich für Stuttgart „weniger geschleckte Einkaufszentren“. Der Wirt Obi Oberkamm würde am liebsten „das Loch 21“ zuschaufeln. „Stuttgarts Charakter“, klagt Stadtflaneur Joe Bauer, „wird aus Profitgründen zerstört.“ Und der Kabarettist Peter Grohmann wünscht sich für Stuttgart, „dass die Menschen hier endlich den Wert der Stadt erkennen und Stuttgart nicht unzumutbar wird“.

Jetzt sind die Frauen dran

Aber wo sind die Frauen? Haben Frauen keinen Charakter? Vielleicht hat das weniger mit Stärke und Geradlinigkeit zu tun, über die Frauen mindestens genauso verfügen, sondern eher mit Eitelkeit. Denn der Fotograf verwendet kein sanftes Licht, das beschönigt. Er zeigt, was Charakter ausmacht, also auch Furchen und Falten. So viel Realität mögen nicht alle Frauen. Sie wollen nicht jede Pore von sich großformatig sehen. Deshalb ist der erste Teil seines Fotoprojekts ein rein männlicher. Mit einer anderen Lichtführung ist Wilhelm Betz aber bereits dabei, auch die großartigen Frauen von Stuttgart fotografisch zu würdigen. Die Wirtin Laura Halding-Hoppenheit hat er bereits fotografiert. Sie war auch zur Ausstellungseröffnung ins Renitenz-Theater gekommen. Der zweite Band erscheint im Herbst dieses Jahres.