Die Ausstellung im Stadtarchiv in Bad Cannstatt über die syrische Stadt zeigt, warum Erinnern auf der Welt wichtig ist.

Bad Cannstatt - Schutt, Steine, Staub, wohin das Auge blickt. Nur wenige Mauern ragen heraus – wie eine Anklage. Bilder von Stuttgart kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, vom Leonhardsplatz und der Königstraße. Die beiden historischen Fotomotive sind derzeit im Stadtarchiv Stuttgart zu sehen, als Teil der Ausstellung „Das Aleppo-Archiv – Wie wichtig ist Erinnern?“. Die Aufnahmen aus der syrischen Stadt zeigen unter anderem den Platz unterhalb der Zitadelle aus dem 13. Jahrhundert, in den Jahren 1900 bis 2005, 2015 sowie 2016, nach Beginn des syrischen Bürgerkriegs. Erschreckend, wie sich manches gleicht, Schutt, Steine, Staub. Auch Teile der Zitadelle sind mittlerweile zerstört, wie man weiß – wie wohl fast 60 Prozent der historischen Bausubstanz.

 

Nichts Genaues weiß man vom Aleppo-Archiv. Wahrscheinlich existiert es nicht mehr, so wie es im Stadtarchiv auf Bannern, mit Modellen oder multimedial gezeigt wird. Neben den Bildern vom Archivsitz, ein historisches Franziskanerkloster, oder von Restaurierungsarbeiten zeugen Fotos von Altstadthäusern oder Monumenten wie der Großen Moschee, dem traditionellen Einkaufsviertel Suq oder der Assadiye School von 1168 von der einstigen Schönheit Aleppos. Typisch für alle Bauten ist ihre Typologie: Sie haben einen Innenhof, der sich zu einzelnen Räumen öffnet, und einen Iwan, eine portalartige Nische in der Fassade.

Die Dokumente wurden erstmals 2010 in Aleppo gezeigt

All diese Fotos wurden mit Grundrissen der typischen Altstadtquartiere sowie den Katasterplänen von 1928 bis 1932 im Aleppo-Archiv zusammengetragen. Dieses Urban Historical Archive and Document Center for Aleppo gründeten im Jahr 2008 die Stadt Aleppo, die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der Deutsche Entwicklungsdienst sowie der in Stuttgart sitzende Verein der Freunde der Altstadt von Aleppo. Die Dokumente wurden erstmals 2010 in Aleppo gezeigt. „Wir haben die Aleppiner miteinbezogen, wollten zeigen, was dieses Archiv alles anbietet, etwa die wertvollen Katasterkarten aus der Mandatszeit, die sehr präzise Grundlagen für die heutige Planung bieten. Das ist selten, gibt es nur noch für Kairo oder Damaskus“, schildert Stadtplanerin Anette Gangler. Sie stehen für 5000 Jahre Stadtentwicklung und könnten Basis für einen Aufbau der historischen Altstadt sein, das seit 1986 Unesco-Weltkulturerbe ist.

Gangler ist Vorsitzende des Vereins Freunde der Altstadt von Aleppo. Sie hat mit anderen die Schau konzipiert, Zsuzsanna Werner hat sie gestaltet. Hintergrund: In den 80ern wollte Aleppos Verwaltung die Kommune modernisieren, breite Straßen anlegen. Damals engagierten sich Aga-Khan-Stiftung, GTZ und die Freunde Aleppos, um historische Bauten zu restaurieren.

Die Zerstörung einer Weltkultur wird thematisiert

Indes kam der Krieg, kaum war vieles instand gebracht, das Archiv eingerichtet. Digitalisiert und mit 3-D-Modellen wird es nun im Deutschen Archäologischen Institut aufbewahrt. Dass es in Stuttgart gezeigt wird, ist auch dem Architekten Jörg Esefeld zu verdanken, der mit Gangler das Stadtarchiv kontaktierte. „Die Ausstellung war eine Herausforderung“, so Stadtarchivleiter Roland Müller. „Ich fragte mich, ob es nicht zynisch sei, ein Archiv und dessen Arbeit zum Thema zu machen, wenn Bomben fallen und es den Menschen in Syrien ums nackte Überleben geht?“ Doch mit seinem Stellvertreter, Günter Riederer, der das Projekt leitete, entschied er sich für die Ausstellung – und eine Gesprächsreihe zum Thema Zerstörung einer Weltkultur, bei dem auch das Institut für Auslandsbeziehungen im Boot war.

Archive hätten einen öffentlichen Auftrag, so Müller. „Sie sichern Unterlagen von bleibendem Wert, stellen sie für Bürgerschaft und Forschung bereit, sind auch Denkmalschutzbehörden, daher die Bilder des zerstörten Stuttgarts.“ Archive gewährleisteten zudem Rechtssicherheit und Transparenz, damit Bürger öffentliche Entscheidungen nachvollziehen könnten.

Info: Stadtarchiv Stuttgart, Bellingweg 21, bis 31. März 2017, http://www.stuttgart.de/stadtarchiv/