Die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen präsentiert die Teilnehmer des Wettbewerbs „Linolschnitt heute“. Interessanter als die ausgezeichneten Arbeiten sind die der Künstler, die dabei leer ausgingen.

Bietigheim - Minotaurus lässt die Muskeln spielen. Wie den Cover-Kerl eines einschlägigen Kraftsportmagazins zeigt Julienne Jattiot den sagenhaften Rindviehmenschen aus dem kretischen Labyrinth. Mit ihrem bissigen Text zu dem Linolschnitt dagegen entzaubert die junge französische Künstlerin keinen antiken, sondern einen sehr zeitgenössischen und sehr geschlechtstypischen Mythos. Der Fitness-Stier, so liest man in der Bildlegende, ist in Wahrheit die Melkkuh der Pharmaindustrie, seine Bizepspracht hat nichts mit Männergesundheit, aber viel mit krank machenden Anabolika zu tun.

 

Jattiot beweist: auch im Linolschnitt stellt sich die Kunst gesellschaftlichen Absurditäten und Widersprüchen, obschon das Genre neben dem Holzschnitt, dem großen Bruder aus der Familie der Hochdrucktechniken, eher im Ruf eines Kinder- und Laienmediums steht. Vor allem, weil seine Hauptmerkmale – klare, maserungsfreie Flächen und glatte Umrisse – leicht zum Dekorativen verführen.

Um genau dieses Vorurteil aus der Welt zu schaffen, rief die Stadt Bietigheim-Bissingen 1989 den internationalen Wettbewerb „Linolschnitt heute“ ins Leben, der nun zum neunten Mal vergeben wurde. Den Geschmack der Juroren trafen dabei jedoch vorwiegend Arbeiten, denen die Nachlasspflege spätmoderner Traditionen am Herzen liegt: Der mit 10 000 dotierte erste Preis ging an den Niederländer Cees Andriessen. Recht- oder stumpfwinklig gekreuzte Geraden, mal blau, mal gelb, sind es, die der 1940 geborene Grafiker auf die weiße Leere des Untergrunds setzt. Damit greift Andriessen Bildkonzepte der heimatlichen De-Stijl-Avantgarde auf und entwickelt sie zu einem meditativen Minimalismus weiter, wobei sich zu der elementaren Geometrie noch freihändige schwarze Linienverläufe gesellen – wie die letzten, verlöschenden Konturen einer Landschaft.

Graustufen und Buntfarben

Einen ähnlichen Formalismus, obschon sinnlich reichhaltiger ausgeschmückt, legt auch der zweitplatzierte Wolfgang Pilz (Jahrgang 1957) an den Tag. Im Wechsel von Graustufen und Buntfarben baut der gebürtige Hamburger abstrakte Stadträume oder dynamische Vieleckfelder. Dazwischen blendet er immer wieder kurze Sprachbotschaften ein, die meisten davon mit Bezug zur Kunstgeschichte wie „Factory“ (Warhols Atelier) oder „Gigantic Balloon Dog“ (eine Skulptur von Jeff Koons).

Verrät dieser institutionenkritische Schlenker zur Rolle der Kunst in der zeitgenössischen Stadt zumindest noch ein Bemühen um inhaltliches Engagement, so erschöpfen sich Volkhardt Müllers Beiträge in einem trivialironischen Neopop. Der aus Plochingen stammende Wahlbrite erhielt den dritten Preis für kleine figürliche Szenen aus Supermärkten und Schnellrestaurants, denen quietschgelbe Spielzeuguhren als Gehäuse dienen, so dass das Ganze wie ein nostalgischer Fernsehapparat erscheint.

Wenn die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen die Siegerwerke nun mit ausgewählten weiteren Einsendungen in einer Schau zusammenführt, so setzt sich ein Trend fort, der bereits früher zu beobachten war. Die Ausstellung zur Linolschnitt-Meisterschaft ist am ehesten durch diejenigen Teilnehmer interessant, die bei der Preisvergabe selbst leer ausgingen – eben wie Julienne Jattiot oder auch Paul Werner, der akkurate Kleinteiligkeit mit opulenter Fantastik verbindet: vom Schuppentier im Maschinenraum bis zum Koboldäffchen mit Kettensäge. Demgegenüber entwirft der Nigerianer Ibraheem Adesina ein melancholisch-resignatives Bild zur globalen Umweltpolitik, indem er einen Gorilla auf Bohrtürme und Hochhäuser blicken lässt.

Klopapier als „Wertpapier“

Anja Luithle bedruckte als Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise Toilettenpapier mit dem Wort „Wertpapier“, der vornamenlose Bollanski bringt Frauengestalten wie alte Erinnerungen zum Verschwinden und Philipp Hennevogl stapelt der Immobilienbranche ihren Bauschutt zum allegorischen Scheiterhaufen auf.

Gewiss überzeugt auch Robert Würth mit dem Einfall, seine Märchenwaldträume durch darüber gespannte Gazeschleier vibrieren zu lassen, doch insgesamt ist das Gebotene diesmal zu wenig, um dem Linolschnitt ein aktuelles Profil zu geben oder das ihm eigene Potenzial zu erschließen. Doppelt schade, denn das Material, das seine Karriere als Fußbodenbelag begann, feiert in diesem Jahr den 150. Geburtstag seiner Entdeckung.