Die Galerie Norbert Nieser in Degerloch zeigt Ulrich Allgaiers höchst eigenwillige Metamorphosen der Aktfotografie. Die Bilder des Stuttgarter Fotografen, bei denen nackte Frauenkörper im Zentrum stehen, sind allerdings nichts für „Playboy“-Blicke.

Degerloch - Zentrales Motiv der Arbeiten von Ulrich Allgaier ist, bis auf eine Ausnahme, der nackte weibliche Körper. Der „Playboy“-Blick kommt hier allerdings nicht auf seine Kosten, allenfalls in einer höchst sublimierten Form. Denn der Stuttgarter Fotograf zeigt den Akt in jeweils spezifischen Zusammenhängen, die sowohl für den einschlägigen Blick als auch für gängige Stereotypen von Körperbildern eine Herausforderung darstellen.

 

Körperformen lösen sich auf

So ließe sich die üppig bestückte Schau, dem Gang der Räume folgend, grob in drei unterschiedlich ausgeprägte Werkkomplexe sortieren: der Akt in leeren, herben urbanen Räumen, dann in purer Natur, schließlich im dekorativen Rahmen von raumhohen Foto-Tapeten.

Doch schon der Blick in den schmalen Treppenaufgang irritiert solche Raster. Etwa, wenn Körperformen sich im Zusammenspiel mit Wasser auflösen oder mit grafischen Elementen grundiert und torsohaft fragmentiert werden. Einiges zeigt sich aber auch klar konturiert. So jene Fotos, in denen die Models wie seriell gereiht zwischen aufgeschichtete Eisenbahnschwellen gestellt sind. Schwarz-Weiß-Fotografien von einer herben Ästhetik, die die Verletzlichkeit des Körpers im scharfen Kontrast von Hart und Weich, Hell und Dunkel zeigen. In Farbe dann auf die Spitze getrieben, wenn Allgaier den Akt am Aufhänger eines Containers platziert. Sehr treffend der Titel: „Kreuzigung“.

Ähnlich radikal die Kontrastierung und stark der Ausdruck, wenn Mehrfachakte in totes Unterholz und in schlingenhaftes Geäst gelegt und gestellt werden, wobei die Körperformen sich hier organismisch ans Naturmaterial anzuschmiegen scheinen. Konsequent fortgeführt, wenn der Akt dann vielfach multipliziert in urwaldhaftem, sattgrünen Blätterwerk erscheint: Eine Synthese, die man sich als Betrachter für den Schluss der Schau merken sollte.

Multiple Akte im Kleinstformat

Von ganz anderer Prägung dann die Arbeiten, die ins Monumentale streben – in einem spannungsvollen Gegensatz: multiple Akte im Kleinstformat, als Ganzes aber auf Raumhöhe gezogen, sodass die Akte im Zusammenspiel mit den dominanten grafischen Mustern auf den ersten Blick selbst wie Muster einer riesigen Fototapete wirken; der Akt als integraler Teil der Alltagskultur, kompatibel fürs mehr oder weniger bürgerliche Wohnambiente. Das Augenzwinkern des Fotografen ist offensichtlich, auch die darin verborgene Position und Haltung: Macht euch mal locker, schaut mal ganz offen und frei, denn das alles ist ganz natürlich.

Die Arbeiten freilich sind von größter artifizieller Raffinesse, auch von subtiler malerischer Qualität. Und in ihrer Vielgestaltigkeit weisen sie auf einen weiten, kunstgeschichtlich grundierten Horizont hin, in dem der Akt wie eine Essenz der Darstellung des Menschen wirkt. Mit ästhetischen Zitaten, die von der Antike über das Barock bis zur Art Nouveau des Fin-de-Sièle reichen.

Und schließlich in die pure Fleischlichkeit der fotografischen Gegenwart: mit choreografierten Akten von extrem dicken Frauen. Hüftgold XXX-large, in die warme, idyllische Ruhe eines insulären Grüns gebettet. Und just diesen Frieden, diese tiefe innere Ruhe, diese nicht in Frage stehende Selbstverständlichkeit atmen diese Arbeiten. Man darf hier durchaus an die Fruchtbarkeitsriten matriarchaler Gesellschaften und deren Verehrung vielbrüstiger Göttinnen denken, von Indien über Ephesos und Ägypten bis zu den Inka reichend. Oder an die jüngst bei Blaubeuren entdeckte „Venus von der Alb“.

Das natürliche Auge des Fotografen

Darstellungen freilich mit aktuellem Provokationspotenzial, wie beigestellte Kommentare zeigen. Sie übersehen den nicht-bloßstellenden, den sympathetischen Blick, mit dem Allgaier die Frauen abgelichtet hat. Das scheinbar wertungsneutrale, quasi natürliche Auge des Fotografen, was selbstredend aber auch eine Position ist. Ein wenig naiv mag das allerdings auch sein. Denn die Irritation könnte nicht nur aus Stereotypen der Wahrnehmung rühren, sondern auch aus der vom Menschsein nicht zu trennenden Angst vor dem puren „Fleisch“, denn dieses ist auch der Sitz unserer Vergänglichkeit. Hier aber, bei Allgaier, ist Hier und Jetzt. Und da gilt es, das Leben zu preisen. Die pure Lust am Dasein in den nackten Wonnen purer Leiblichkeit. Und das wirkt sehr überzeugend.

Die Fotoschau ist bis 24. Januar zu sehen, Mittwoch bis Freitag von 15 bis 18 Uhr sowie samstags von 10 bis 13 Uhr an der Großen Falterstraße 31/3.