40 Jahre Deutscher Herbst: Ein Berliner Fotograf zeigt das Jahrzehnt des RAF-Terrors der Siebziger Jahre aus der Perspektive der Polizei.

Ludwigsburg - Viele Pressefotos aus dem Jahrzehnt zwischen 1967 und 1977 sind zu Ikonen der bundesrepublikanischen Geschichte geworden. Zumindest den Älteren sind sie so vertraut, dass die Bilder bei ihnen kaum mehr als einen trägen Aha-Effekt auslösen: Ach ja, die RAF! Natürlich, Baader-Meinhoff und der deutsche Herbst! Und schon ist alles wieder vergessen. Auch in der neuen Ausstellung „RAF – keine Beweise“ im Ludwigsburger Staatsarchiv werden viele Fotos vom deutschen Terror präsentiert. Aber der Künstler Arwed Messmer will die Betrachter so verstören, dass sie die Bilder nicht mehr so schnell aus dem Kopf kriegen.

 

Arbeit im Archiv

Für den Berliner Fotografen Messmer markiert die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg am 9. August 1967 den eigentlichen Beginn und die Beisetzung der Terroristen auf dem Stuttgarter Dornhalden-Friedhof am 27. Oktober 1977 das Ende des RAF-Terrors. Um die Besucher zum genauen Hinschauen zu verleiten, hat er drei Jahre lang nach den Fotos neben den gängigen Fotos gesucht. Dafür hat Messmer das Bundesarchiv Koblenz, die Polizeihistorische Sammlung in Berlin, aber auch den Fundus des Ludwigsburger Staatsarchivs durchsucht. Seine Entdeckungen sind nun in mehreren großformatigen Bildbänden versammelt, die er Folianten nennt.

Diese Folianten enthalten durchweg schwarz-weiße Fotos und Film-Stills. Sie bilden den Kern der RAF-Ausstellung und wer sie aufblättert, fühlt sich in die Rolle eines Historikers versetzt. Zwar wird das Material anschaulich präsentiert – es ist genau datiert, katalogisiert und auch technisch sehr gut reproduziert – aber es enthält sich der Deutung. Auch wenn Messmer seine Fundstücke quasi auf dem Tablett serviert, steht man doch oft auch ratlos vor der Fülle des Materials.

Etwa wenn man den Folianten durchblättert, der nur die lakonische Angabe „Karlsruhe, 16. 5. 1972“ trägt. Zu sehen ist nichts als ein weitgehend zerstörter VW-Käfer – im Detail und als Gesamtansicht. Das Fahrzeug gehörte dem Ermittlungsrichter Wolfgang Buddenberg, der gegen die RAF-Terroristen ermittelte und der auch die meisten Haft- und Durchsuchungsbefehle unterschrieben hatte.

Im Mai 1972 wurden er und seine Frau Gerta durch eine Sprengfalle in exakt diesem VW 1300 L schwer verletzt. Der mit „Frankfurt, 16. 6. 1972“ betitelte Band zeigt dagegen ausschließlich Räume, in denen sich die Terroristen der Rote Armee Fraktion zeitweise aufgehalten hatten oder in denen sie kurz zuvor festgenommen worden sind. Das Entscheidende in beiden Fällen – und darauf kommt es Messmer an: Nicht Pressefotografen haben diese Dokumente geliefert, sondern Fotografen der Polizei. Der Blick ist ein völlig anderer, unsortierter. In keinem dieser Fälle wurde bereits eine Vorauswahl getroffen, die Fülle erschlägt einen. Doch bald stellt sich ein überraschender Effekt ein: Was zunächst nur pedantisch wirkte, erweist sich als erhellend. Diese Bilder aus den Fotostudios der Polizei mögen damals eine Fleißarbeit gewesen sein, die nur den Forensikern Informationen an die Hand gaben. Aus der zeitlichen Distanz jedoch sind sie eben das, was Messmer gesucht hat: die Fotos neben den (hinlänglich bekannten) Fotos.

Der Terror, wie die Polizei ihn sieht