Am Freitag wird in der Stadtteilbücherei die Ausstellung des Künstlers Edgar Harwardt eröffnet. Sie trägt den Titel „Biblio-Terra – Buch-Erdungen“.

Stammheim - Edgar Harwardt ist Aktionskünstler – er vergräbt Bücher oder transportiert Wasser vom Ursprung des Neckars bis zu seiner Mündung. Und das alles, um das universelle Gedicht zu ergründen, das sich hinter dem Alltag verbirgt. Heute eröffnet seine Ausstellung „Biblio-Terra – Buch-Erdungen“ im Saal der Stammheimer Bücherei und gewährt Einblicke in eine Welt hinter der Welt.

 

Es mag bisweilen schon etwas merkwürdig wirken, wenn er sich auf den Weg in Sachen Kunst begibt. Als er etwa antiquarische Bücher am späteren Standort der neuen Stadtbibliothek vergrub, um so einen Bogen zu schlagen zwischen Vergangenheit und Zukunft des gedruckten Wortes. „Was machen Sie da eigentlich?” werde er schon manchmal gefragt, gibt Harwardt unumwunden zu. Am ehesten lässt sich das so beschreiben: Er sieht genau hin und stellt Zusammenhänge her. Zum Beispiel bei der Aktion „Ohr anlegen“, die eine Fotodokumentation im Obergeschoss der Bücherei belegt: Harwardt lauscht dabei buchstäblich unter anderem an Schillers Totenmaske oder am Unterkieferknochen des Maurer Urzeitmenschen, um zu erfahren, ob die Kulturreliquien der menschlichen Kultur heute noch etwas zu sagen haben.

Die Sichtweise des Betrachters verändern

Die Aktionskunst ist eine vergleichsweise junge Kunstform, es entsteht kein fertiges Kunstwerk im eigentlichen Sinne. Vielmehr geht es darum, einen Augenblick lang, im Idealfall aber auch dauerhaft, die Sichtweise des Betrachters zu verändern. Eine bekannte Vertreterin ist etwa Marina Abramovi, die während des Balkankrieges tagelang vor einer Videoinstallation saß, Rinderknochen mit einer Bürste reinigte und dazu Totengesänge ihrer serbisch-montenegrinischen Heimat anstimmte. Ein weiteres Merkmal der Aktionskunst ist, Kunst unmittelbar im Alltag erfahrbar zu machen. Da erstaunt es nicht, dass viele Schauplätze von Harwardts Kunstaktionen entlang der Stadtbahnlinie 15 liegen, die seinen täglichen Weg von Stammheim zu seinem Arbeitsplatz in einem Antiquariat markiert. Er hat ein Tor des Pragfriedhofs vergolden lassen, als symbolische Membran zwischen Leben und Tod. Und zwei Betonplatten mit Kristallen im Stadtbahnschacht zwischen Türlenstraße und Arnulf-Klett-Platz angebracht: „Da ist mit einem Mal etwas Zartes zwischen all dem Alltag, doch man kann es nicht zu Fuß erreichen oder näher betrachten“, sagt er.

Edgar Harwardt hat es sich also zur Aufgabe gemacht, dem Strom der Zeit Dinge zu entreißen. Für die neueren Aktionen, die nun in der Stammheimer Ausstellung dokumentiert sind, habe er zudem verstärkt darüber nachgedacht, was sein Leben am meisten bestimmt: Für ihn als gelerntem Buchhändler ist das gedruckte Wort die Welt – „Biblio-Terra“ eben. Im Alltag habe er daraufhin viele Verbindungen zum Buch entdeckt, etwa während des Stadtbahnbaus gegenüber der Ersatzbushaltestelle: Der demolierte Schaukasten der ehemaligen Pizzeria Hirsch habe ihn geradezu magisch angezogen. Harwardt schaute nach und entdeckte ein verblasstes und schon recht angegriffenes Bild von Carl Spitzwegs Gemälde „Der Bücherwurm“ – ausgerechnet.

Sind solche Funde für ihn Zufall, Schicksal oder Vorsehung? Für Edgar Harwardt stellt sich diese Frage nicht. Aber es sei Aufgabe des Künstlers, sie zu entdecken und etwas daraus zu machen. Etwa beim täglichen Blättern in der Zeitung. Einmal ging es in einem Artikel um die neue Armut, darunter bat ein Semi-Prominenter, seine Haftstrafe heimatnah absitzen zu dürfen. Auf der Rückseite befand sich eine Autowerbung. Hielt man die Seite ins Gegenlicht, war alles gleichzeitig sichtbar. „Neue Armut/in Autos/heimatnah absitzen” war die „visuelle Poesie“, die Edgar Harwardt daraus entstehen ließ.