Es liegt was in der Luft: das Museum Villa Rot im oberschwäbischen Burgrieden präsentiert Duftkunst. Rundgang durch eine außergewöhnliche Schau.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Burgrieden - Na, neugierig? Lust auf ein Abenteuer für die Nase? Auf Nervenkitzel? Auf die letzten Minuten von John F. Kennedy als Geruchsthriller? Dann nur hereinspaziert! Hier können Sie was erleben. Legen Sie sich auf die Edelstahlbahre, Sie werden jetzt in den Leichenschrank geschoben. Keine Angst, es passiert schon nichts. Sie sind doch nicht klaustrophobisch veranlagt? Klappe zu. Es muss alles luftdicht und finster sein, das gehört zur Show. Schalten Sie Ihre Fantasie ein: Sie sind jetzt JFK auf Wahlkampftour in Dallas. Wir schreiben den 22. November 1963, es ist kurz vor 12.30 Uhr. Der Präsidentenkonvoi biegt in die Elm Street.

 

Was Sie nun hören, ist der Motor Ihres 61er-Lincoln Continental mit offenem Verdeck. Spüren Sie den Fahrtwind? Sie riechen jetzt die Abgase, die Ledersitze und das süßfeminine Parfüm „Joy“ von Jackie neben Ihnen. Sie hören den Jubel der Menschen am Straßenrand. Die Stadt hat sich herausgeputzt und feiert. Sie hören Karussellmusik, riechen den Duft von Popcorn und frisch gemähtem Gras. Aufgepasst: wie beiläufig und ganz leise fallen drei Schüsse. Riechen Sie ihn, den metallischen Geruch von Blut? Er vermischt sich mit dem Parfum von Jackie, die sich über Sie beugt. Es ist das Letzte, was Sie wahrnehmen.

Der Kennedy-Simulator steht in einem Raum des Museums Villa Rot. Über einen Wust an Schläuchen, Kabeln und Röhrchen ist er mit einem Apparat verbunden, der den Eindruck erweckt, als stünde hier gleich eine Herztransplantation an. Doch die Maschine ist ein computergesteuerter Geruchsdrucker. Er schafft das perfekte Timing in diesem furiosen Duftdrama.

Wie erdet man die Nase?

Drei weitere Tode sind programmiert: der von Lady Diana in einem Pariser Tunnel, der von Muammar al-Gaddafi in einem libyschen Abwasserkanal und der von Whitney Houston in der Badewanne eines Beverly-Hills-Hotels. Welchen Badeschaum und welches Körperöl Whitney verwendete, ist kein Geheimnis, auch der Autopsiebericht ist mühelos im Internet zu finden. Diese Tode sind längst zu medialen Spektakeln verarbeitet, die Intimsphären tausendfach verletzt. Und doch fühlt man sich im Riechkasten liegend als besonders schamloser Eindringling.

Entwickelt wurde die Hightech-Installation von jungen Wissenschaftlern der Avans Hochschule in Breda, Niederlande. Zu erleben ist sie jetzt erstmals bei der Duftschau in der Villa Rot. „Eine Ausstellung mit Gerüchen ist riskant, weil man immer aufpassen muss, dass sich die Räume nichts wegnehmen und ein einziger Geruchsbrei entsteht“, sagt die Museumschefin Stefanie Dathe. Ihr Tipp für Besucher: vorher kein Eau de Toilette auftragen. Und beim Wechseln in den nächsten Raum helfe oft ein kurzes Schnüffeln unter den Achseln, um die Nase wieder neu zu erden.

Ihr Museum liegt im oberschwäbischen Dorf Rot, wo Raymond Fugger, Spross der berühmten Kaufmannsfamilie, vor hundert Jahren sein Schlösschen baute. Nach dem Zweiten Weltkrieg gaben der Dirigent Hermann Hoenes und seine Gattin Feodora, eine kapriziöse Majorstochter und Elektrizitätswerksbesitzerin, hier Gesellschaften. Heute nähert sich Stefanie Dathe in der Villa den „Grenzbereichen der Kunst“, wie sie sagt. Sie hat schon Ausstellungen über Haare und Insekten gemacht, zeigte Rauminstallationen aus Zucker. Jetzt also: Duftkunst.

Klingende Düfte

Alles hat einen Geruch: Wellblech, Wolle, Wasser. Beim Atmen ziehen wir die Moleküle hoch zur Riechschleimhaut am Ende der Nasenhöhle: fünf Quadratzentimeter groß, mit Abermillionen Nervenzellen und Hunderten Duftrezeptoren versehen. Aber erst im Zusammenspiel mit dem Geschmackssinn laufen wir zur Hochform auf, können 10 000 Duftnoten unterscheiden.

Christine Söffing kann noch mehr. Sie ist Synästhetikerin, hört Gerüche, sieht Klänge, riecht Bilder. Für die Villa Rot hat sie Düfte vertont. Acht Riechfläschchen stehen auf einem Tisch, per Knopfdruck werden ihre musikalischen Zwillinge zugespielt. Lavendel kommt drängend daher, Salbei eher adagio. Die Besucher können aufschreiben, was sie beim Riechen und Hören empfinden. Vanille ist für einen Besucher wie ein „großer heimeliger Frauenbusen“. Ingwer ist mal „eine zarte Frau, die über eine Wiese wandelt“, mal „ein barocker Tanz mit gepuderter Perücke“, für den einen „lustig“, für den anderen „doof“. In Glas Nummer sieben schlummert das Aroma eines Wiegenlieds von Hermann Hoenes, dem früheren Besitzer der Villa. Christine Söffing hat den Duft zusammen mit einer Parfümeurin geschaffen. Seine Leder-Himbeernote, ein zartbesaitetes Cello, das die hundert Jahre alte Melodie spielt, dazu der Blick aus dem Fenster in den herrschaftlichen Garten, am Himmel ein Bundeswehrhubschrauber auf dem Weg in die Laupheimer Kaserne: das ergibt ein verwegenes Gesamtkunstwerk.

„An dieser Station halten sich die Besucher lange auf“, sagt Stefanie Dathe. Was sie auch beobachtet: in keiner anderen Ausstellung sind je so viele fremde Leute miteinander ins Gespräch gekommen. Vielleicht liegt es daran, dass der Geruchssinn so ursprünglich ist. Er braucht keinen Umweg über die Großhirnrinde, führt direkt ins limbische System, wo Gefühle, Ängste, Triebe wohnen. Gerüche sind Einlasskarten zur Wunderwelt und eng mit Erinnerungen verknüpft: Sie können traumgleich vergessene Kindheitssequenzen vor einem ausbreiten, urplötzlich ein altes Lebensgefühl wieder aufwallen lassen, das dann so rasch verblasst wie ein Traum nach dem Erwachen. „Eine Besucherin meinte, man müsste den Duft eines Westpaketes rekonstruieren“, sagt Stefanie Dathe. „In ihrer DDR-Jugend sei das der Inbegriff von Glück gewesen.“

Ein animalisch-sinnliches Duftwasser

Man weiß vielleicht, dass 1889 der Eiffelturm fertig wurde. Man kann nachlesen, dass Gustav Mahler 1889 an der königlich-ungarischen Oper in Budapest der Uraufführung seiner „Titan-Sinfonie“ beiwohnte oder im gleichen Jahr Guerlain ein synthetisches Parfüm kreierte, das als Mutter aller modernen Parfüme gilt. Aber wer in der Villa Rot einen Hauch dieses Parfüms namens „Jicky“ erschnuppert, der erlebt Geschichte so real wie noch nie.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es erste Duftkunstkonzepte – und Hasardeure wie Alexander Skrjabin, der von der Idee eines Multimedia-Mysteriums beseelt ist, einer Sinfonie aus Duft, Wort, Ton, Farbe, Tanz, Berührung, bewegter Architektur. Das Werk will er in Indien so lange aufführen, bis die Menschheit in kollektive Ekstase versetzt ist. Er stirbt aber vorher.

Die Surrealisten beduften ihre erste internationale Schau 1938 in Paris mit frisch gerösteten Kaffeebohnen. Über Marcel Duchamps Eros-Schau 1959 liegt „Flatterie“ von Houbigant, ein animalisch-sinnliches Duftwasser mit schwerer Amber-Basisnote, dem man hypnotische Wirkung nachsagt. In der Villa Rot steht eine Probe davon, besorgt aus einer Duftbibliothek.

Der Geruch des Geliebten

1965 baut der Künstler Edward Kienholz eine New Yorker Bar nach, kreiert dazu einen Mief aus Mottenkugeln, abgestandenem Bier, kaltem Rauch und Urin. Die Ausstellungskuratorin Caro Verbeek hat das Herrenaroma nach dem Originalrezept für die Villa Rot reproduziert, verwendete dafür sogar Urin eines Mannes im Alter des damals 38-jährigen Kienholz. Auch Gestank fordert Werktreue. So wie der „Smoke Room“ aus 750 000 auf der Straße eingesammelten Zigarettenkippen, den man in der Villa (wahrscheinlich mit Gasmaske) aufgebaut hat. Schnell die Tür zu!

Düfte können trösten, vor allem Frauen. Um die Nähe zum fernen Geliebten herzustellen, schnüffeln sie gern an seinem getragenen T-Shirt oder Pyjama. Sein Duft ist wie eine Umarmung, die sie in einen wohligen Schlaf wiegt. Männer kuscheln kaum mit dem Nachthemd ihrer Partnerin.

Sind große Gefühle im Spiel, verändert sich bei Frauen die Geruchswahrnehmung, behaupten Duftforscher. Alles konzentriert sich auf den Geruch des Geliebten. Botenstoffe anderer Männer prallen an der Riechschleimhaut ab wie Gummibälle an einer Betonwand. Nur ein einziges Duftprofil unter sieben Milliarden auf der Welt findet Zugang. Forscher haben außerdem entdeckt, dass ein bestimmter Stoff aus dem Vaginalsekret Männerblut zum Sieden bringt. Obwohl es recht übel riecht, zündet es ein Testosteronfeuerwerk.

Das Bukett von Sperma heißt Bill

„’n jeder stinkt so, wie er kann“, heißt es in einem Berliner Gassenhauer. Clara Ursitti komponierte 1993 als erste Künstlerin ein olfaktorisches Selbstporträt – aus Buttersäure, Trimethylamin, Heptan-Thiol, Marcaptodethanol und anderen Stoffen, die sich lesen wie die Inhaltsstoffe eines Schuppenshampoos. In der Villa Rot gehört ihr jetzt ein leerer Raum, der nur mit einem Geruch gefüllt ist. Hier sollte man vielleicht nicht zu voreilig verkünden, dass einem dieser Duft total vertraut vorkommt. Das Zimmer verströmt das (synthetisch hergestellte) Bukett von Sperma und heißt „Bill“ wie Bill Clinton. Wobei Sperma völlig anders riecht als Macht.

Der Duft von Macht beherrscht einen anderen Saal der Ausstellung. Geschaffen haben ihn der Künstler Luca Vitone und die Meisterparfümeurin Maria Candida Gentile. Sein Odeur wird kombiniert mit vier großformatigen Bildern aus den Machtzentralen Deutschlands: Bundestag, Bundesgerichtshof, Bundesbank, Pergamonmuseum. Dort legte Vitone weiße Leinwände so lange aus, bis sie schön dreckig waren, rahmte sie und machte sie zu „Staubaquarellen“. „Manche Besucher können nicht lange in dem Raum bleiben“, sagt Stefanie Dathe. Am Anfang habe das rauchig-süße „Imperial“, so heißt das Parfüm, noch etwas Verführerisches. Aber schon bald wirke es eher abstoßend. Ein Liter der ölig-roten Flüssigkeit ist noch im automatischen Saalbedufter, das müsste reichen bis zum Ende der Ausstellung.

Mit dem Weltenduft muss sie sparsamer umgehen, nur ein 100-Milliliter-Flakon steht ihr zur Verfügung. Die Vorstellung, dass jede Nation ihre eigene olfaktorische Identität besitzt, brachte Gayil Nalls auf die Idee, das „World Sensorium“ zu komponieren: Sie konsultierte die Ländervertretungen bei den UN in New York und bat jeden Botschafter, eine Pflanze auszuwählen, die sein Land repräsentiert. Fast alle machten mit, so entstand ein florales Parfüm mit knapp 200 Ingredienzen. Seine Formel entspricht der Verteilung der Weltbevölkerung. Die Basisnoten sind also Jasmin aus China und Sandelholz aus Indien, während die Narzisse aus Andorra oder der Lorbeer aus Dominica nur von Supernasen herauszufiltern ist. Deutschland riecht nach Traube. Der Diplomat, der diese Auswahl zu verantworten hat, entstammt wahrscheinlich einem alten Wengerterclan vom Remstal.