Exakt 20 Jahre nach der höchst umstrittenen und viel diskutierten Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ in Stuttgart haben Verantwortliche und Beteiligte der Schau noch einmal im Rathaus gesprochen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Was hatte diese Ausstellung im Jahr 1995 nicht alles für Aufregung verursacht: In Stuttgart verbot eine konservative Mehrheit die Schau im Landtag, in München marschierten 5000 Neonazis auf, im Bundestag wurde hitzig über Sinn und Unsinn der Ausstellung diskutiert, und in Saarbrücken gab es sogar einen Brandanschlag.

 

Die Wanderausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung rüttelte an ein Tabu, denn die Wehrmacht galt bis dahin in der Öffentlichkeit als „sauber und anständig“; es sei die SS gewesen, die für alle Verbrechen verantwortlich zeichne. 20 Jahre danach hat die Heinrich-Böll-Stiftung nun ins Stuttgarter Rathaus eingeladen, um mit größerem Abstand darüber zu diskutieren, inwieweit die Aufregung damals gerechtfertigt war.

Der Verlauf des Abends ist aber unglücklich gewesen: Zuerst sagte OB Fritz Kuhn kurzfristig ab, dann verspätete sich SPD-Urgestein Erhard Eppler um mehr als eine Stunde, weil er in Hamburg bei der Trauerfeier für Helmut Schmidt war, und der Historiker Hannes Heer hielt einen 75-minütigen Monolog – die eigentlich angekündigte Podiumsdiskussion hatte nach zwei Stunden immer noch nicht begonnen.

Für Erhard Eppler war der Krieg im Osten kriminell

Dennoch war der Inhalt mehr als spannend. Hannes Heer, der damals die Ausstellung konzipiert hatte, legte noch einmal dar, dass der Krieg im Osten von Anfang an gegen das Völkerrecht geplant gewesen sei; schon vor dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 habe Adolf Hitler erlassen, dass alle sowjetischen Offiziere sofort zu töten seien, dass Kriegsgefangene keinen Anspruch auf herkömmliche Behandlung hatten und dass es keine Kriegsgerichte geben werde. Auch den einfachen Landsern seien entsprechende Richtlinien in die Hand gedrückt worden. Dies war der Kern der Empörung 1995: Viele einstige Wehrmachtssoldaten fühlten sich diffamiert und unschuldig zum Verbrecher gestempelt.

Erhard Eppler, der selbst Soldat war, löste für sich diesen Widerspruch auf. Ja, sagte er, der Krieg im Osten sei ein „Vernichtungs- und Versklavungsfeldzug“ gewesen: „Er war im Kern eine kriminelle Unternehmung.“ Aber die Wehrmacht habe tatsächlich in einer gewissen Distanz zum NS-Regime gestanden, weshalb viele Kommandanten die Befehle nicht ausgeführt hätten: „Ganze Regimenter haben sich an das Kriegsrecht gehalten.“ Insofern sei es schwierig, ein Gesamturteil zu fällen.

Historiker bestätigen Richtigkeit der Kernaussagen

Dies bestätigte auch Gerhard Hirschfeld, der frühere Leiter der Stuttgarter Bibliothek für Zeitgeschichte. Er leitete 1999 eine Historikerkommission, die in der emotionalen Debatte die Ausstellung bewerten sollte. 2001 kam es gar zu einer Überarbeitung der Schau, die Hannes Heer aber ablehnte. Die zentralen Aussagen der Ausstellung von 1995 seien aus damaliger und heutiger Sicht richtig; Es habe nur wenige handwerkliche Fehler gegeben, so Hirschfeld: „Die Wehrmacht hat juristische und moralische Schuld auf sich geladen, aber diese Aussage gilt nicht für sämtliche Einheiten.“ Die Kritik an der Ausstellung sei überzogen gewesen. Er hielt Heer aber auch einen „arroganten Umgang“ mit der Kritik vor, was nicht zur Beruhigung beigetragen habe. Und die Ausstellung habe den Eindruck erwecken wollen, erst sie habe die Verbrechen aufgedeckt – dabei habe sich die Geschichtswissenschaft schon seit 1968 in ähnlicher Weise geäußert.

Das Fazit des Abends war also: Erstens sind sich heute die Beteiligten zumindest in der groben Bewertung des historischen Sachverhaltes einig, zweitens war die Ausstellung damals von vielen Seiten politisch missbraucht worden, und drittens hat sich bis heute nichts daran geändert, dass der deutsche Vernichtungskrieg gegen die slawischen Völker, der laut Hannes Heer allein in der Sowjetunion 27 Millionen Tote zur Folge hatte, im Bewusstsein vieler Menschen noch immer unbekannt ist oder im Schatten des Holocausts steht.