Vulkanausbrüche, Erdbeben, Tsunamis: die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim beschäftigen sich in der Ausstellung „Von Atlantis bis heute“ mit Naturkatastrophen und ihren kulturgeschichtlichen Folgen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wen schert es, wenn in China ein Fahrrad umfällt oder die Natur am anderen Ende der Welt rebelliert? Als im Jahr 1816 die Sonne über Stuttgart einfach nicht scheinen wollte, ahnte niemand, dass der Grund dafür in Indonesien liegen könnte. Die Württemberger hungerten, Königin Katharina organisierte einen Wohltätigkeitsverein und der König gründete eine landwirtschaftliche Musteranstalt, die heutige Uni Hohenheim. Die große Hungersnot ging als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte ein.

 

Die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim erinnern nun an die Ursache der Dürre in Europa: 1815 brach auf der indonesischen Insel Sumbawa der Vulkan Tambora aus. 70 000 Menschen starben und weltweit veränderte sich das Klima. „Von Atlantis bis heute“ heißt die Ausstellung im Museum Weltkulturen D5, die sich dem Thema „Mensch. Natur. Katastrophe“ widmet.

Katastrophen versprechen süßen Kitzel

Es ist ein kulturgeschichtlicher Streifzug, der sich mit Erdbeben und Vulkanausbrüchen beschäftigt, mit Hochwassern, Bergrutschen und Tsunamis. Aber ob sich Katastrophen in Japan oder den USA ereignen, sie hinterlassen doch weltweit Spuren – und wenn es nur die imposanten Sonnenuntergänge sind, die Caspar David Friedrich oder auch William Turner malten. Auch sie waren Folge des Tambora-Ausbruchs – ein Schleier zog sich über den gesamten Globus und veränderte das Licht.

Naturkatastrophen, so definiert es das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, können mit der „alltäglichen Gefahrenabwehr“ nicht mehr bewältigt werden. Die Schäden werden in Zukunft zunehmen, so wird in der Ausstellung ein Versicherungsunternehmen düster zitiert. Katastrophen versprechen aber auch süßen Kitzel – sofern man nicht von ihnen betroffen ist. So beginnt die Mannheimer Ausstellung mit der Katastrophe, von der wir heute am wenigsten wissen: dem Untergang des Inselreichs Atlantis, das „unter dem Meer hinter den Säulen des Herakles bei Gibraltar“ begraben sein soll, wie Platon berichtete.

Die letze Nacht für die Welt

Francis Bacon schrieb 1643 den unvollendeter Roman „Nova Atlantis“, auch die heutige Wissenschaft beschäftigt sich noch mit dem Thema Atlantis. Aber vor allem lebt die Unterhaltungsindustrie gut von Katastrophen – wie die Ausstellung zeigt. Der Untergang von Atlantis wurde vielfältig ausgeschlachtet und lebt fort in Filmen, Comics oder auch als Brettspiel mit „Spaß für alle von 8 bis 88“.

Heute können wir viele Katastrophen wohlbehalten vom heimischen Fernseher aus verfolgen – und eine Filmdokumentation veranschaulicht, wie RTL seine Nachrichten heute aufbereitet. Aber schon Plinius der Jüngere beobachtete einst, wie der Vesuv im Sommer des Jahres 79 nach Christus ausbrach und Pompeji verschüttete – Plinius selbst befand sich derweil in sicherem Abstand in Misenum. „Viele hoben die Hände zu den Göttern“, notierte er, „mehr noch erklärten, es gebe keine Götter mehr und das sei die ewige und letzte Nacht für die Welt.“

In Mannheim kann man nun, fast 2000 Jahre später, originales vulkanisches Schmelzgestein bestaunen und echte Vulkanasche des Vesuvs. Auch ein kleines Salbgefäß erinnert noch an die Katastrophe, die 5000 Menschen das Leben kostete. Aber auch im Fall Pompeji zeigt sich, dass Katastrophen nicht nur Mitgefühl evozieren. Im 18. Jahrhundert wurde Pompeji zu einem begehrten Reiseziel junger Adliger, und 1757 konstatierte der Philosoph Edmund Birke, dass der Schrecken „Quelle erhabener Gefühle“ sein könne.

Die Idee von der besten aller Welten erleidet Schiffbruch

Als es aber 1806 in Goldau im Kanton Schwyz zu einem Bergsturz kam, waren viele Zeitgenossen wie auch Goethe tief betroffen – und ihre Überzeugung, dass die Natur an sich wohlgeordnet sei, wurde schwer erschüttert. Mancher glaubte an eine Strafe Gottes, so, wie schon einmal ein halbes Jahrhundert zuvor. Auch das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1753 erschütterte die Geisteswelt – und der Optimismus damaliger Philosophen, dass man letztlich in der besten aller Welten lebe, war fortan merklich getrübt.

Die Mannheimer Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit den Universitäten von Heidelberg und Darmstadt entstanden ist, zeichnet nicht nur die vielen Katastrophen nach, sondern nimmt sie auch zum Anlass, um über das Phänomen selbst und seine kulturgeschichtlichen Folgen nachzudenken. Von 1883 an werden Daten zu Vulkanausbrüchen gesammelt und ausgewertet, der Telegraf macht es zudem möglich, dass die gesamte Welt in kürzerster Zeit von den Ereignissen erfährt. Als 2011 in Neuseeland die Erde bebte, zeichnen die Sicherheitskameras dagegen unmittelbar auf, wie in einem Baumarkt die Farbeimer plötzlich in den Regalen hüpften und die Schubkarren zitterten, die Klappleitern wackelten und die Deckenlampen gefährlich zu schaukeln begannen. Die Mitarbeiter und Kunden rannten ängstlich ins Freie. Nach überstandener Katastrophe schnitten die Mitarbeiter des Baumarkts aus dem Material eine Art Action-Doku und gaben den Beteiligten im Abspann launige Namen wie „Scared Sprinter“.

Nach dem Schrecken scheint sich die Katastrophe hier als prickelndes Abenteuer darzustellen. Trotzdem wird man nach dem Rundgang durch die interessante wie kurzweilige Ausstellung in Mannheim vorsichtiger umgehen mit saloppen Formulierungen wie „das ist doch eine mittlere Katastrophe“. Denn der Begriff Katastrophe ist genau definiert: Bei 25 Toten spricht man von einer kleinen Katastrophe, eine mittlere meint mindestens hundert und eine große tausend Tote.

Bis 1. März, Museum Weltkulturen D5, geöffnet Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, der Katalog ist im Verlag Schnell & Steiner erschienen und kostet im Museum 24,95 Euro und im Buchhandel 34,95 Euro.