Die Ausstellung "Schwelle zur Moderne. 150 Jahre Eisenbahn in Tübingen" informiert über 150 Jahre Eisenbahngeschichte in der Unistadt.

Stuttgart - Waren Reutlingen und Tübingen bei König Wilhelm I. in Ungnade gefallen wegen ihrer Position während der Revolution 1848/1849? Wurden sie deswegen mit Verspätung ans württembergische Eisenbahnnetz angeschlossen? Der Monarch soll 1856 jedenfalls argumentiert haben, es sei nicht zu viel verlangt, wenn man Reutlingen und Tübingen wegen des Bahnbaus zumute, noch etwas Geduld zu haben, wenn man bedenke, welche Geduld die Regierung damals mit diesen Städten gehabt habe. Die erste Eisenbahn in Deutschland rollte am 7. Dezember 1835 zwischen Nürnberg nach Fürth, der erste Zug im Königreich Württemberg fuhr am 22. Oktober 1845 zwischen Cannstatt und Untertürkheim. Tübingen musste weitere 16 Jahre warten.

 

So ist das Jubiläum für einen geschichtliche Rückblick gegeben: Vor 150 Jahren, am 12. Oktober 1861, wurde Tübingen ans Eisenbahnnetz angeschlossen. Zu diesem Anlass präsentiert das Stadtmuseum im Kornhaus die Ausstellung "Schwelle zur Moderne. 150 Jahre Eisenbahn in Tübingen". Dazu ist ein beachtenswerter Katalog erschienen, in dem die Eisenbahngeschichte ebenso dargestellt wird wie die Pläne für die Zukunft. Dazu gehört die in der Region viel diskutierte Regionalstadtbahn. 150 Jahre nach seiner Eröffnung verändert sich auch der Tübinger Hauptbahnhof selbst. Im September soll sein Umbau zur Barrierefreiheit gefeiert werden.

Tübingen wurde sogar zum Bahnknotenpunkt

Die Eisenbahn hat das Stadtbild von Tübingen entscheidend geprägt. Und zwar weit über den Bahnhof hinaus, der seit 1910 Hauptbahnhof genannt wird. In jener Zeit entstand auch der längst wieder stillgelegte Güterbahnhof, der sich über einen Kilometer in Richtung Reutlingen entlang des Neckars zieht und städtisches Gebiet spaltet. Über die Zukunft dieses Geländes soll demnächst entschieden werden. Und auf der anderen Seite, in Richtung Rottenburg, entstand kurz vor dem ersten Weltkrieg das Bahnbetriebswerk, in dem Lokomotiven wie Waggons gewartet wurden. Nach der Privatisierung der Bahn 1994 verlor es viele Funktionen. In einer erst vor wenigen Jahren errichteten Waschhalle werden dort noch heute Züge von ihrem Alltagsschmutz befreit. Erst in diesen Wochen haben viele der 400 Tübinger Kleingärtner am Rand der Bahngleise ihre Kündigung erhalten. Im Zusammenhang mit Stuttgart 21 sollen beim Bahnbetriebswerk Abstellflächen vorgehalten werden.

"Tübingen ist trotz der Bahn nicht zum Industriestandort geworden", führt der Kulturwissenschaftler Ulrich Hägele aus, der an der Konzeption der Ausstellung maßgeblich beteiligt war. Womöglich war die Stadt zu sehr vom Beamtentum und der Universität geprägt, um ihr Erscheinungsbild grundsätzlich zu wandeln. Einer der größten Arbeitgeber war die Bahn allemal. Und Tübingen wurde sogar zum Bahnknotenpunkt. Schon früh wurden Gleise bis Rottenburg und Horb verlegt. 1869 wurde die Strecke in Richtung Hechingen weitergeführt, 1910 kam die Ammertalbahn nach Herrenberg hinzu. Heute ist die Strecke Tübingen-Stuttgart eine der meistgenutzten Nahverkehrsstrecken im Land.

Nicht alles ist historisch

Der Ausstellungsraum im Stadtmuseum Kornhaus wurde mit Stellwänden so gestaltet, dass der Eindruck von Zugabteilen vermittelt wird. Nicht alles ist historisch. Die Schau "soll ein Scharnier sein zwischen Vergangenheit und Zukunft", beschreibt die Stadtmuseums-Mitarbeiterin Sarah Willner das Konzept. Zu sehen sind vorwiegend Exponate aus Tübingen und historische Fotos aus dem Stadtarchiv. Aber in der Vorbereitung stöberten die Ausstellungsmacher auf Dachböden von Bahngebäuden, im Luftschutzkeller des Hauptbahnhofs und gingen stillgelegte Gleise entlang. Mitarbeiter der Bahn wurden zur Mitarbeit an der Ausstellung ermuntert.

Der Stuhl des Tübinger Bahnhofsvorstehers tauchte auf diese Weise unverhofft auf. Mit grünem Polster hob er sich ab von dem blanken Holz der Sitzgelegenheiten anderer Bahnbediensteter. Die stark beschädigte Uhr vom Waaghäuschen am Güterbahnhof durfte abgeschraubt werden. "Vandalismus bereitete der Bahn große Probleme", heißt es heute. Vom Güterbahnhof stammt ein Schrank mit vielen Fächern. Dort lagen Plankarten, die auf die aktuelle Position der Züge hinwiesen. Kohlen aus Dampflokzeiten fanden sich noch jetzt zwischen den Schwellern stillgelegter Gleise. Billets für einmal Tübingen-Hamburg und zurück sind zu sehen. Ein alter Schwellennagel tauchte auf, aus den Tagen der ersten Eisenbahn in Tübingen.

Unterhaltung wird ebenfalls geboten: Ein Filmausschnitt von "Der grüne Vogel" mit Hannelore Elsner wurde 1979 auf dem Tübinger Hauptbahnhof gedreht. Außerdem wird die Erinnerung an Züge geweckt, die Gastarbeiter brachten. Aber auch an Waggons, mit denen jüdische Mitbürger in Konzentrationslager deportiert wurden.

Die Bahn aus verschiedenen Blickwinkeln

Ausstellung: "Schwelle zur Moderne. 150 Jahre Eisenbahn in Tübingen" ist bis zum 11. September im Stadtmuseum in der Kornhausstraße 10 zu sehen. Geöffnet ist die Schau täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr , Eintritt 2,50 (1,50) Euro, Kinder bis zwölf Jahre sind frei.

Katalog: Das Begleitwerk zur Schau befasst sich mit Aspekten rund um das Thema Eisenbahn. Neben Vergangenheit und Zukunft der Bahn und deren Auswirkungen auf das soziale Leben oder den Städtebau in Tübingen geht es auch um die Bahnhofsmission oder um die Kleingärten. Persönliche Eindrücke steuert der Schriftsteller Peter Härtling bei. "Schwelle zur Moderne. 150 Jahre Eisenbahn in Tübingen" wurde herausgegeben von Evamarie Blattner, Ulrich Hägele und Sarah Willner, es hat 176 Seiten und kostet 14,80 Euro.