Ob als Smoothie, Omelett oder fettarme Chips: ausgerechnet der gute alte Grünkohl macht fern seiner Heimat, in Australien, Karriere als Superlebensmittel und Schlankmacher. Sogar in teureren Restaurants wird er serviert.

Sydney - In Australien ist in aller Munde, er gilt als „Superfood“, und die Produzenten kommen mit der Nachfrage nach dem alten Bekannten im neuen Kleid kaum nach: der Grünkohl. Schon am frühen Morgen stehen schicke, junge Frauen in einem der populären Saftläden in der Innenstadt von Sydney Schlange, um sich mit einem grünen Smoothie für den Tag im Büro fit zu machen. Dessen wichtigster Bestandteil ist Kale, wie der Grünkohl down under heißt. Ausgerechnet der gute alte Grünkohl macht fern der Heimat Karriere.

 

Die schlanken Damen wären vermutlich schwer erstaunt, wenn sie Grünkohlbilder von der anderen Seite des Erdballes sähen. Die norddeutsche Tiefebene im trüben November, dampfende Töpfe mit Rauchwurst, Kasseler, Kartoffeln – und stundenlang gekochtem Grünkohl. In Australien war er bis vor ein paar Jahren allenfalls in nordeuropäischen Einwandererkreisen bekannt. Dann schwappte die Grünkohlmanie aus den USA über auf den fünften Kontinent, Prominente wie die US-Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey schworen auf die krausen Blätter, Ernährungswissenschaftler priesen den Kohl wegen seiner Nährstoffe, und plötzlich war der Grünkohl cool. Nun taucht er in den schicken Drinks auf, zum Beispiel zum Entgiften mit diversen Beeren, Ingwer und Flachssamen oder als „Essensersatz“ zum Abnehmen mit Kürbis, Joghurt, Kakao, Erdbeeren, Zimt und Muskatnuss.

Früher nur Deko für Fleischgerichte, heute Lieblingsessen

. . . sondern auch als fettarme Chips. Foto: StZ
Ebenfalls im Trend sind Fertigessen, eines nennt sich „grüne Bombe“ mit Reis. Oder vielleicht isst man den Hipster-Kohl doch lieber als Chips, die gesunde Alternative zu den fetthaltigen kartoffeligen Verwandten. Die meist ofengetrockneten Chips tauchen in besseren Restaurants auch als Beilage auf dem Teller auf. Viele Frühstückscafés bieten Grünkohlstreifen im Omelett an. Und in manchen Läden gibt es Grünkohl in Pulverform als Gewürz für Gemüse- oder Kartoffelgerichte.

Mittlerweile haben auch Australiens dominierende Supermarktketten das beliebte Grünzeug ins Programm aufgenommen, umgerechnet 3,50 Euro kostet eine Handvoll Blätter, kein billiges Vergnügen. Die Produzenten reiben sich die Hände. So zum Beispiel die Bruynen-Familie, die unweit von Melbourne Gemüse züchtet. Der Vater John Bruynen war 1956 aus den Niederlanden eingewandert und hatte damals Grünkohlsamen mitgebracht. Oft konnte er die Ernte nur an Metzger verkaufen, denn diese benutzten die Blätter als Dekoration zwischen Steaks und Lammschultern und warfen sie anschließend in den Müll. Heute hat Johns Sohn Steve die Produktion von Rotkohl und Lauch eingestellt, um mehr Grünkohl zu ziehen. Die Großproduzenten Corrigan Produce Farms starteten vor zwei Jahren versuchshalber mit 1500 Setzlingen, als sie vom Kale-Boom in den USA hörten. Inzwischen pflanzen ihre Mitarbeiter 150 000 Setzlinge pro Woche.

Im kühlen Südaustralien gedeiht der Kohl wunderbar

Im relativ kühlen Klima im Süden Australiens gedeiht der Grünkohl bestens in nur zehn bis 14 Wochen. Nur im heißen Sommer ist er in Gefahr, außerdem setzen ihm die in Australien allgegenwärtigen Kaninchen zu, die besonders die jungen Triebe schätzen. Bleibt die Frage, ob der Grünkohl nur eine vorübergehende Manie ist oder sich tatsächlich in der australischen Küche festsetzen kann, die ursprünglich von britischen Auswanderern und später von mediterranen und asiatischen Einflüssen geprägt wurde. Möglicherweise wird der Stern des Grünkohls wieder verglühen, aber seine Zeit als Star am kulinarischen Himmel auf dem fünften Kontinent kann ihm keiner mehr nehmen.