Die Schlüssellos-Funktechnologie für Autos ist für die Besitzer eine bequeme Sache. Für organisierte Fahrzeugdiebe allerdings auch. In und um Stuttgart verschwinden Dutzende Autos mutmaßlich nach Osteuropa. Ein mutmaßliches Bandenmitglied muss sich nun vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Auch Autodiebe überschätzen mal ihre Kräfte. Zum Glück für die Opfer. So wird ein weißer Porsche Panamera im Wert von 60 000 Euro, zuvor des Nachts in Stuttgart-Rohr gestohlen, gut 200 Kilometer weiter in einem Waldstück bei Schweinfurt gefunden. Der Motor läuft, der Dieb schläft hinterm Steuer.

 

Am Montag saß der 20-jähriger Litauer auf der Anklagebank einer Jugendkammer des Stuttgarter Landgerichts. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied einer Autoschieberbande zu sein, die hochwertige Fahrzeuge mit schlüsselloser Funktechnik nach Litauen verschwinden lässt. Dabei soll der junge Mann der Fahrzeugkurier gewesen sein. Sechs Porsche sollen auf sein Konto gehen. Der Gesamtwert: stolze 700 000 Euro.

Der 20-Jährige ist freilich ein Musterbeispiel dafür, warum es für die Ermittler so schwer ist, an die Hintermänner der Diebstahlswelle zu kommen. Der berufslose Mann aus dem litauischen Panevezys grinst nur über die Vorwürfe, sagt, dass er alles eben lustig finde. Seinen angeblichen Hintermann in Tschechien, dem er die Autos zuführen sollte, nennt er Sergej, der mal eine Halbglatze, mal lange dunkle Haare hat. Für die Logistik macht er einen Landsmann namens Marius verantwortlich, angeblich ein alter Schulfreund, vermutlich frei erfunden. „Ich bin halt so“, lässt er seine Dolmetscherin übersetzen, „ich sage mal so, mal so.“

Funksignale am Schlüsselbrett

Was gäben die Ermittler darum, mal selbst gründlich in Litauen nachforschen zu können. „So kommen wir einfach nicht an die Hintermänner“, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Dabei hat der Diebstahl von Autos, die sich mit einem Funkschlüssel allein durch Annäherung öffnen, schließen und starten lassen, inzwischen beängstigende Ausmaße angenommen.

Beim Landeskriminalamt sind im vergangenen Jahr 120 Fälle registriert worden. Eine Ermittlungsgruppe namens „Premium“ kümmert sich um die Fälle aus der Region, bei denen vor allem Mercedes und Porsche verschwinden, während ihre Besitzer den Wagen zu Hause sicher wähnen. „Allerdings ist die Diebstahlsmethode nicht immer eindeutig“, sagt LKA-Sprecher Ulrich Heffner. Nachts werden die Funksignale des Schlüssels am Schlüsselbrett mit einem Verstärkergerät aufgefangen und an einen Empfänger weitergeleitet, der dem Steuerelement des Wagens den Schlüsselcode vortäuscht.

Als der 20-Jährige im September 2016 im Tiefschlaf im Wald bei Schweinfurt überrascht wurde, hofften die Ermittler mehr über die Hintermänner erfahren zu können. Doch Fehlanzeige. Am Ende gelangten sechs Fälle in die Anklageschrift, die Drahtzieher bleiben Phantome.

Der Beschuldigte ist schon vorbestraft

Von den sechs Fällen zwischen Mai und September 2016 spielten sich zwei im Raum Köln ab, danach war die Region Stuttgart dran. In Rutesheim (Kreis Böblingen) verschwand ein Porsche Cayenne für 120 000 Euro, in Ditzingen-Heimerdingen (Kreis Ludwigsburg) ein weiterer Cayenne für 100 000 Euro, im Stuttgarter Süden ein Porsche-911-Dienstwagen für 260 000 Euro, in Rohr ein Panamera. Diese letzte Fahrt endete für den 20-Jährigen bei Schweinfurt.

Freilich: an diesem Vormittag stand noch ein gestohlener Mercedes im Wald. Dieser Fahrer merkte aber rechtzeitig, dass eine Spaziergängerin die Polizei gerufen hatte, und entkam unerkannt. Ob der 20-Jährige den Mann kenne? Die Frage des Gerichts beantwortet der junge Litauer mit einem Grinsen: „Ich habe niemanden gesehen.“

Immerhin ist der Angeklagte kein Unbekannter: Er wurde im Februar 2016 vom Amtsgericht Nürnberg wegen serienweisen Diebstahls von Navigationssystemen aus BMW-Fahrzeugen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ehe er im Mai in Köln im ersten gestohlenen Porsche saß, waren keine drei Monate vergangen.

Der letzte Fahndungserfolg: ein Porsche-Dieb

Zugegeben wird nur, was einem nachgewiesen werden kann. Das Prinzip gilt bei reisenden Täterbanden grundsätzlich. Ein 41-jähriger Pole, der wegen Diebstahls von Luxusautos im Dezember 2016 zu vier Jahren und einem Monat Haft verurteilt wurde, machte zu Hintermännern keine Angaben.

Immerhin: die Welle der Diebstähle scheint abzuebben. „Gerade ist es etwas ruhiger“, sagt Polizeisprecher Stephan Widmann. Der letzte Fall spielte sich am 8. Februar in Degerloch ab, ein BMW verschwand. Am 31. Januar wurde ein 48-jähriger Pole festgenommen, der in Deizisau (Kreis Esslingen) einen Porsche Macan erbeutete.

Der Prozess gegen den 20-Jährigen wird fortgesetzt. Ob er bis zum Schluss grinst, bleibt offen. „Ich finde auch Stammheim lustig“, sagt er, „oder soll ich etwa weinen?“