In Peking erforscht der Stuttgarter Konzern, wie die Autos bei den Chinesen noch besser ankommen. Da die Kunden viel jünger als hierzulande sind, ist das ein Blick in die Zukunft.

Peking - Rot kostümierte Trommler marschierten auf, ein Feuerwerk versprühte Funken in der Fabrikhalle, die E-Klasse von Mercedes-Benz rollte mit leuchtenden Scheinwerfern aus einem roten Tor auf die Bühne, als Daimler vor acht Jahren seine erste Fabrik in China einweihte. Vorstandschef Dieter Zetsche geriet beim Blick in die Zukunft ins Schwärmen. „Das ist erst der Anfang“, sagte Zetsche voraus. „Wir haben noch viele Autos in der Pipeline, die wir auch nach China bringen und hier produzieren können.“ Wer sich damals der kleinen Fabrik im Süden Pekings näherte, erkannte auf den ersten Blick, dass der Autokonzern noch viel vor hat auf diesem Areal, das fast so groß ist wie das Sindelfinger Werk. Die grauen Flachdachhallen belegten damals nur ein Zehntel des vorhandenen Geländes, der große Rest war struppiges Grasland.

 

Daimler hat noch genügend freie Flächen für die Expansion

In den vergangenen Jahren wurde die Fabrik, die ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem staatlichen Pekinger Autobauer Beijing Automotive Industry (BAIC) ist, bereits erweitert. Derzeit laufen nun die Vorbereitungen für den nächsten großen Sprung, mit dem Daimler im Wettlauf mit den Rivalen Audi und BMW auf dem größten Automarkt der Welt Tempo machen will. In einer neuen Fabrikhalle laufen die ersten Produktionstests mit dem kompakten Mercedes-Geländewagen GLA, auf den die Stuttgarter große Hoffnungen setzen, weil der Markt für Geländewagen in China ebenso boomt wie in Europa. Bisher laufen in Peking die C- und die E-Klasse sowie der Geländewagen GLK vom Band. Zudem ist an diesem Standort vor einem Jahr die weltweit erste ausländische Fabrik für Personenwagenmotoren eingeweiht worden. Auch nach der Erweiterung bleiben freie Flächen für die künftige Expansion.

Die C- und die E-Klasse laufen in einer Halle vom gleichen Band. Der Automatisierungsgrad sei geringer als in Deutschland, berichtet der Montageleiter Kolja Hartmaring. Wo in heimischen Werken Maschinen eingesetzt werden, packt hier oft der Mensch an – was auch daran liegen könnte, dass die Arbeitskraft hier deutlich billiger ist als in Sindelfingen oder Bremen. Im Schnitt verdienen die Beschäftigten in Peking, die deutlich jünger sind als die Belegschaft an deutschen Standorten, etwa 10 000 Euro im Jahr. Für das Training der Mitarbeiter steht mitten in der Fabrikhalle eine Lerninsel, wo die Beschäftigten zuerst am Computer und dann am Fahrzeug Schritt für Schritt geschult werden. Zudem arbeiteten chinesische Mitarbeiter auch beim Generationswechsel der C-Klasse im Werk Bremen mit und zeigten ihren Kollegen nach der Rückkehr als „Multiplikatoren“ dann die richtigen Handgriffe.

Auch die anderen Hersteller haben ehrgeizige Pläne

Auch beim Aufbau des neuen Motorenwerks in Peking setzte Daimler auf eine intensive Schulung der Mitarbeiter in Deutschland. Mancher Beschäftigte in Untertürkheim sei ganz schön überrascht gewesen als plötzlich die Chinesen kamen, berichtet Frank Proksch, der das Anlaufmanagement für das neue Werk geleitet hat. Rund 120 Chinesen seien, je nach Aufgabe, von drei Monaten bis zu einem Jahr geschult worden. Dabei seien enge Beziehungen entstanden, auch durch gemeinsame Freizeitaktivitäten wie Segeltörns auf dem Bodensee oder beim Biertrinken auf dem Cannstatter Wasen. Die Mitarbeiter, die ihre chinesischen Kollegen in Deutschland geschult hätten, seien anschließend mit nach Peking gekommen. Beim Start hatte das Motorenwerk 120 Mitarbeiter, heute arbeiten hier etwa 1000 der insgesamt etwa 9000 Beschäftigten des Standorts. Weitere Einstellungen sind geplant. „Wir werden die Belegschaft des Motorenwerks weiter aufstocken“, sagt Proksch. Wie viele Beschäftigte hinzukommen, werde davon abhängen, wie sich die Nachfrage entwickelt. Zunächst einmal ist eine jährliche Produktion von 250 000 Vier- und Sechszylinder-Motoren für die in Peking gefertigten Personenwagen sowie die weiter südlich in einem anderen Gemeinschaftsunternehmen in Fuzhou hergestellten Transporter geplant. Dabei soll die Kapazität der Personenwagen in Peking mit dem zusätzlichen kompakten Geländewagen GLA im nächsten Jahr auf 200 000 Autos aufgestockt werden.

Mercedes-Benz legt beim Absatz derzeit zwar prozentual kräftiger zu als die Erzrivalen Audi und BMW. Der Abstand ist gleichwohl immer noch groß und auch die beiden Konkurrenten bauen ihre Fertigung in China aus. Audi will die Produktionskapazität mittelfristig auf 700 000 Wagen im Jahr erweitern, BMW plant auf mittlere Sicht den Ausbau der Produktionskapazität der beiden chinesischen Werke von derzeit 300 000 auf dann 400 000 Fahrzeuge.

Der Fond des Wagens spielt in China eine große Rolle

Um noch besser auf die Wünsche der chinesischen Kunden eingehen zu können, hat Daimler jetzt in Peking ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum eröffnet, in dem mehrere über die Stadt verteilte Büros und Werkstätten zusammengefasst wurden. An den Wänden hängen großformatige schwarz-weiße Bilder aus der Historie der Marke Mercedes-Benz. Wer Klaus Mannsperger besucht, der hier der Chef ist, kommt in dem modernen Gebäude mit einer Fassade aus Glas an Konferenzräumen vorbei, die „Untertürkheim“ oder „Nabern“ heißen. Durch eine gläserne Sicherheitsschleuse, deren Drehtür sich nur mit kräftigem Druck bewegen lässt, kommt man in das Büro von Mannsperger, der vor seinem Einsatz in Peking für Daimler auch schon in Brasilien sowie in Südafrika arbeitete. Anfang 2007 ist er mit seiner Frau nach China umgezogen, als einer der ersten Entwickler hier. Sein Auslandsvertrag läuft noch bis nächstes Jahr. Dann will er wieder zurück in die Heimat. Mannsperger fühlt sich hier wohl, wie er sagt. „Man muss offen sein und in die Kultur eintauchen, wissen und akzeptieren, dass China anders ist“, meint der Daimler-Manager und fügt hinzu: „Wenn man auf der Klaviatur der lokalen Kultur spielen kann, dann ist man auch hier in der Lage, seine eigenen Ziele umzusetzen.“

Der Fond eines Autos habe für die Chinesen einen viel größeren Stellenwert als bei europäischen Kunden, erläutert der 51-jährige Maschinenbau-Ingenieur, der in Esslingen studiert hat. „Die Chinesen lieben eine luxuriöse und repräsentative Fondgestaltung“, erzählt Mannsperger und nennt dafür drei Gründe: Chinesen lassen sich gerne von einem Chauffeur fahren und nehmen dann hinten Platz. Zudem habe die Familie einen hohen Stellenwert und Eltern oder Großeltern machen es sich bei Ausflügen gerne auf der Rückbank gemütlich, die weich wie ein Sofa sein darf. Zudem lassen Firmen Geschäftspartner abholen. All dies hat zur Folge, dass Autos mit verlängertem Radstand, die einen geräumigen Fond bieten, sehr beliebt sind. Gefragt seien im hinteren Wagenteil auch spezielle Ausstattungsvarianten wie etwa Steckdosen oder Spiegel im Wagenhimmel, mit dem man beispielsweise vor einem Termin den korrekten Sitz der Krawatte überprüfen kann. Auch dunkle Scheiben und Rollos, die „privacy“, also Privatsphäre schaffen, sind gefragt.

Die chinesische Kultur soll in die Gestaltung einfließen

Mannspergers Mannschaft kümmert sich unter anderem auch um die speziellen Internetwünsche der Kunden in China, die im Schnitt 20 Jahre jünger sind als in Europa, passt die Motoren an die schlechtere Kraftstoffqualität an, macht Testfahrten in Nordchina, wo es im Winter bitterkalt ist, auf der Ferieninsel Hainan, wo das Thermometer auf 40 Grad klettern kann sowie auf Bergstraßen in 5000 Meter Höhe. Zudem werden lokale Lieferanten für die in China produzierten Wagen gesucht. Je nach Modell kämen heute 60 bis 70 Prozent der Teile von chinesischen Zulieferern.

Bis Ende nächsten Jahres sollen in dem neuen Forschungs- und Entwicklungszentrum 500 Mitarbeiter beschäftigt sein, derzeit sind es mehr als 350. Vier von fünf Beschäftigten sind Chinesen.

Zum neuen Standort in Peking gehört auch ein topmodern ausgestattetes Design-Center. Auf einem riesigen Bildschirm können hier die Designer wie auf einer elektronischen Pinnwand ihre neuesten Zeichnungen präsentieren und mit den Kollegen diskutieren. An einer Wand hängen verschiedene Leder, daneben Bilder von traditionellen chinesischen Gebäuden, Farben, Mustern. „Leder, Seide, Holz, Grafik. Das ist sehr inspirierend“, erläutert Olivier Boulay, der Leiter des Design-Centers, das Ziel, dass die chinesische Kultur in die Gestaltung der Fahrzeuge einfließen soll.

Statt eines Kühlergrills hat das Auto ein Display

Im fast 40 Meter langen Studio hängen in Peking große verschiebbare Spiegel an einer Wand. An der gegenüberliegenden Längsseite befindet sich eine Galerie, von der aus man die Autos von oben begutachten kann. Hier steht die Fahrzeugstudie G-Code, der erste Mercedes, der federführend in Peking gestaltet wurde. Die futuristische Studie soll den Lifestyle der jungen, urbanen Generation in China aufgreifen, die ebenso ständig am Handy hängt wie die Gleichaltrigen in Europa. Statt eines Kühlergrills hat der sportliche Wagen, eine Mischung aus Geländewagen und Coupe an der Front ein Display, das den Betriebszustand anzeigt: Ist der G-Code geparkt, signalisiert ein pulsierendes Licht den Ruhezustand, fährt der Wagen mit Hybridantrieb rein elektrisch, erstrahlen die digitalen Miniatursterne im Kühlergrill blau und laufen vom äußeren Rand des Displays nach innen. Dadurch entsteht der optische Eindruck eines sich permanent öffnenden Tunnels in der Fahrzeugfront. Beim sportlichen Fahrmodus wechselt die Farbe auf rot. Ungewöhnlich ist auch der Innenraum. Das Lenkrad fährt erst vor dem Start aus dem Armaturenbrett heraus, was das Einsteigen erleichtert, die Sitze verfügen über 3D-Bodyscanner, die unter anderem überwachen, ob Muskeln sich verspannen und dann automatisch Massageprogramme zur Entspannung starten. Die Studie ist Zukunftsmusik und soll zeigen, wieviel Kreativität in der neuen Mannschaft steckt.

Mindestens ebenso exotisch wie der G-Code ist der Stream One, ein windschnittiges Gefährt mit zwei Sitzen hintereinander, das wie ein Rennwagen aussieht, aber in jedem Rad einen Elektroantrieb hat und in der Spitze 80 Kilometer in der Stunde schafft. Es sei darum gegangen, einen sparsamen Wagen für Pendler zu entwerfen, der kein Verzichtmobil ist. Und das sei dabei herausgekommen. „Wir hatten viel Spaß“, berichtet der Chef des Design-Centers augenzwinkernd.