Daimler verweigert aus Sicherheitsgründen die Verwendung eines neuen Kältemittels und verstößt damit gegen das Gesetz. Die EU-Kommission will dies jedoch vorerst dulden.

Stuttgart - Der Daimler-Konzern muss nicht unmittelbar mit Strafmaßnahmen aus Brüssel rechnen, weil die neue A- und B-Klasse ebenso wie der SL seit Jahresanfang rein rechtlich gesehen illegal auf Europas Straßen unterwegs sind. Die EU-Kommission ist nach Informationen der Stuttgarter Zeitung jetzt bereit, einen weiteren Aufschub bei der Umsetzung einer neuen EU-Richtlinie zum Einsatz umweltschonenderer Kältemittel in Klimaanlagen zumindest in Erwägung zu ziehen. „Wir prüfen Daimlers Wunsch nach einem sechsmonatigen Moratorium“, sagte ein Sprecher von EU-Industriekommissar Antonio Tajani, der Stuttgarter Zeitung. Er fügte allerdings hinzu, dass Brüssel das Ansinnen aus Stuttgart bisher „als nicht gerechtfertigt“ und die bei einem Test festgestellten Sicherheitsprobleme mit dem neuen Kältemittel namens R1234yf als „handhabbar“ betrachtet. „Aber wir studieren den Fall noch“, so der Sprecher weiter, „und in ein paar Wochen werden wir unsere endgültige Position dazu mitteilen.“

 

Nach Einschätzung von mit dem Vorgang vertrauten Personen in Brüssel ist es kaum vorstellbar, dass die EU-Kommission eingehendere Untersuchungen des Kältemittels, die derzeit laufen, aktiv verhindern will. Die europäische Regierungsbehörde habe in Gesprächen signalisiert, dass eine potenzielle Gefahrenquelle sicher ausgeschlossen werden müsse. Nach Informationen der StZ fand am 19. Dezember bereits ein Treffen in Brüssel zu dem Thema statt, bei dem auch ein Vertreter des Bundesverkehrsministeriums als Oberaufsicht des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) zugegen war.

Die neue EU-Richtlinie hätte eigentlich schon Anfang 2011 gelten sollen. Der Starttermin war wegen Lieferschwierigkeiten der einzigen Hersteller dieses neuen Kältemittels, der US-Konzerne Dupont und Honeywell, jedoch verschoben worden. Seit dem vergangenen Herbst sollen diese Lieferschwierigkeiten nach Angaben von Dupont jedoch beseitigt sein.

Die EU-Richtlinie regelt ganz generell die Typgenehmigung von Fahrzeugen. Neu vorgeschrieben wird darin unter anderem, dass der sogenannte globale Erwärmungsfaktor (GWP) eines Kältemittels maximal 150 betragen darf. Es muss allerdings nur der Grenzwert eingehalten werden. Welches Mittel gewählt wird, ist nicht vorgeschrieben. Beim bisher verwendeten Kältemittel lag der GWP bei 1430, bei der neuen Chemikalie R1234yf liegt er nur bei vier.

Der Daimler-Konzern gibt an, ein neu entwickeltes Prüfverfahren habe im September ergeben, dass das neue Kältemittel leicht entflammbar sei. Deswegen könne man es nicht einsetzen, sondern weiter das bisherige Kältemittel R134a. Damit verstößt der Autobauer jedoch gegen die Typgenehmigung für den SL sowie die neue A- und B-Klasse, weil diese nach dem 1.1. 2011 erteilt wurden. Bei einem Verstoß könnte die Genehmigung theoretisch vom Kraftfahrtbundesamt entzogen werden. Sollte das Amt das nicht tun, könnte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten und eine Umsetzung der Richtlinie verlangen.

Das neue Kältemittel wurde vor seiner Einführung zwar unter Laborbedingungen sowie in Crash-Tests geprüft, jedoch nie in einem richtigen Fahrzeug unter Alltagsbedingungen, so ein Daimler-Sprecher. Daimler wäre der erste deutsche Autobauer gewesen, der seine Wagen mit dem neuen Mittel ausgerüstet hätte und wollte ganz sicher gehen. Deshalb wurde das Kältemittel einem Härtetest unterzogen, der weit über die gesetzlichen Vorgaben hinausgeht. Dabei wurde ein Frontalaufprall in Verbindung mit einem Bruch der Kältemittelleitung nachgestellt. Im heißen Motorraum schlugen rasch die Flammen hoch. Der komplette Vorderwagen brannte. Zudem entstand hochgiftige Flusssäure, die die Frontscheibe verätzte.

„Das Mittel ist zu gefährlich, wir brauchen Alternativen“, fordert ein Daimler-Sprecher. Durch eine weitere Duldung des alten Kältemittels will der Stuttgarter Autobauer Zeit gewinnen, eine neue technische Lösung zu finden. Der Sprecher zeigt sich zuversichtlich, „relativ zügig“ ein Ergebnis präsentieren zu können.

Die anderen deutschen Autobauer sind derzeit nicht von diesem Problem betroffen. Sie haben ihre Typgenehmigungen für die aktuellen und die demnächst kommenden Modelle bereits vor 2011 erhalten und können das alte Mittel nach der EU-Richtlinie noch bis Ende 2016 nutzen. Dennoch herrscht Nervosität. Es ist absehbar, dass irgendwann eine neue Typgenehmigung eingeholt werden und dann das neue Kältemittel verwendet werden müsste. „Die Situation ist für alle brisant“, bekennt ein BMW-Sprecher. Auch der Verband der Automobilindustrie unterstützt Daimler. Derzeit laufen Untersuchungen mit Fahrzeugen anderer Hersteller. Damit soll überprüft werden soll, wie der Test der Stuttgarter bei anderen Marken ausgeht.

Der US-Chemiekonzern Dupont beharrt auch nach dem Brand der B-Klasse darauf, dass seine Chemikalie sicher sei. „Wir haben uns mit Daimler getroffen, um die Testbedingungen und die Ergebnisse zu verstehen“, berichtet die Dupont-Managerin Diane Iuliano Picho. Der US-Konzern verweist darauf, dass der internationale Verband der Autoingenieure (SAE) die Entzündungsgefahr habe umfassend untersuchen lassen. Das Ergebnis: die Wahrscheinlichkeit sei extrem gering, dass sich das Kältemittel bei einem Unfall entzünde. Die Bundesregierung hat das Kraftfahrtbundesamt mit einer Risikoanalyse beauftragt, die allerdings noch nicht abgeschlossen ist. Danach will sie „über mögliche politische Maßnahmen entscheiden“.

Die Zeit drängt. Wer sich bei den deutschen Autobauern umhört, gewinnt den Eindruck, dass Kohlendioxid (CO2) eine Alternative zum brandgefährlichen neuen Kältemittel sein könnte. Vor sechs Jahren hatte der Branchenverband VDA bereits einen „Durchbruch“ zu Gunsten von Kohlendioxid verkündet, dann aber einen Schwenk zu R1234yf vollzogen. Dabei spielte auch eine Rolle, dass es in den USA Bedenken gegen CO2 gab. Dort wurde befürchtet, dass die Autofahrer bei undichten Leitungen ersticken könnten.

Sollte nun die Rückkehr zu Kohlendioxid erfolgen, dürfte indes eine Verlängerung des Moratoriums um ein halbes Jahr, wie es die Branche fordert, nicht ausreichen. Denn für die Entwicklung einer neuen Klimaanlage werden in Industriekreisen drei bis fünf Jahre veranschlagt.