Um die Europatochter in die Gewinnzone zu bringen, muss die Mutter General Motors die gesamte Konzernstrategie neu ausrichten.

Rüsselheim - Es ist immer wieder überraschend, wie es der Rüsselsheimer Autobauer Opel schafft, die ohnehin herrschende Verunsicherung unter seinen Mitarbeitern noch zu vergrößern. „Was sollen wir denn mit diesen Aussagen anfangen?“, fragte am Freitag ein Opelaner, als er die Berichte über die Bilanzvorlage des amerikanischen Mutterkonzerns General Motors gelesen hatte. Auf der einen Seite haben Konzernchef Dan Akerson und sein Stellvertreter Dan Ammann den hohen Millionenverlust der Europatochter als „inakzeptabel“ dargestellt und „weit reichende“ Maßnahmen gefordert.

 

Auf der anderen Seite haben Ammann und Opel-Chef Karl-Friedrich Stracke anschließend in einer Telefonkonferenz die Fortschritte gelobt, die die Tochter im vergangenen Jahr gemacht habe. Für alles Weitere, so die beiden Manager wie aus einem Munde, sei es noch zu früh. Schon im Dezember hatte Opel in einer gemeinsamen Stellungnahme genau das zum Ausdruck gebracht: „Vorstand, Betriebsrat und Aufsichtsrat der Adam Opel AG sind sich einig, dass das Unternehmen profitabel arbeiten muss – auch in Zeiten schlechter werdender Rahmenbedingungen“, hieß es damals in der schriftlichen Erklärung. Man diskutiere entsprechende Strategien gemeinsam und werde die Beschäftigten und die Öffentlichkeit „selbstverständlich“ darüber auf dem Laufenden halten.

Offensichtlich haben diese gemeinsamen Diskussionen seit Dezember noch nicht viel gebracht, denn rund um die Zukunft von Opel ranken sich mehr Gerüchte als konkrete Ansätze für eine Strategie. So geistert seit Wochen das Gespenst einer Werksschließung durch die Medien – die Fabrik in Bochum und die im britischen Ellesmere Port könnten davon betroffen sein. Dazu könne man nichts sagen, war der einzige Kommentar von Stracke und Ammann zu diesem Thema.

Regionale oder globale Marke?

Der GM-Finanzchef sorgte dann jedoch für eine Überraschung. Opel, so beteuerte er, sei keinesfalls darauf festgelegt, seine Autos nur in Europa zu verkaufen, die Tochter dürfe auch weltweit agieren. Und Opel-Chef Stracke legte auch gleich nach: In Russland, dem größten Markt Europas, sei man sehr wohl erfolgreich, habe im vergangenen Jahr den Marktanteil von 2,1 auf 2,5 Prozent erhöht, 67 000 Autos dort verkauft. Auch in China sei Opel aktiv, doch dort würde die Aufbauarbeit noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Diese Entwicklung ist aber offensichtlich am Betriebsrat vorbeigegangen. Der Vorsitzende des Opel-Gesamtbetriebsrats, Wolfgang Schäfer-Klug, hatte nämlich noch am Donnerstag seine Forderung wiederholt, dass die Tochter endlich auch außerhalb Europas auf den Märkten vertreten sein müsse, wo es bessere Wachstumschancen gebe. Und auch in einem vertraulichen Papier, das vor wenigen Wochen bei Opel zirkulierte, spielt die Marke mit dem Blitz keine weltweite Rolle. Chevrolet und Cadillac werden dort als Kernmarken aufgeführt, Opel und die britische Schwester Vauxhall werden als Regionalmarken gelistet.

Gerade die Beschränkung Opels auf den Absatzmarkt Europa gilt aber unter Fachleuten als das größte Problem, um den Autobauer wieder in die Gewinnzone zu bringen. Die Zahl der Neuzulassungen in wichtigen Märkten, vor allem in Südeuropa, sinkt ständig, in den Opel-Werken Eisenach und Saragossa wird bereits kurzgearbeitet, weil die Auslastung zu gering wird. Mit einem Marktanteil von gut acht Prozent kann das Unternehmen nicht profitabel sein, meinen Experten. Der Chef des CAR-Centers an der Uni Duisburg-Essen, Ferdinand Dudenhöffer, kommt in einer Analyse zu dem Schluss, dass die Opel-Sanierung gescheitert sei, weil Opel keine Flexibilität besitze. Sobald der Markt in Europa schwächer werde, laufe das Unternehmen in Probleme. Andere Hersteller könnten dies durch bessere Verkäufe in anderen Teilen der Welt ausgleichen, Opel nicht.

Dudenhöffer ist davon überzeugt, dass diese Schwäche nur durch ein besseres Produktionssystem ausglichen werden kann. Der Konkurrent Ford, der in Europa innerhalb des Konzerns in einer ähnlichen Position ist wie Opel als Teil von GM, habe es vorgemacht. Doch die, so meint der Autoexperte, hätten dafür auch die richtigen Leute gehabt. Bei GM dagegen säßen im Vorstand nur „ein paar pensionierte CEOs, ein früherer Analyst, frühere Unternehmensberater und ein paar Hochschullehrer“. Die hätten zwar Erfahrung mit Sanierungen, aber nicht mit der Produktion. Dudenhöffers Lösungsvorschlag: man sollte auch die Chevrolet-Modelle, die zu einem großen Teil auf der gleichen Plattform gebaut sind, in den europäischen Werken bauen und dadurch die Produktion flexibler gestalten und die Auslastung erhöhen.

Wechsel im Aufsichtsrat

Es ist nicht auszuschließen, dass man inzwischen auch bei GM auf diese Idee gekommen ist – allerdings hüllt sich das Unternehmen dazu ebenfalls in Schweigen. Der GM-Strategiechef und Opel-Aufsichtsratsvorsitzende Stephen Girsky hatte jedoch vor einigen Monaten den Volkswagen-Konzern als Vorbild gelobt.

Und dort finden sich zahlreiche Beispiele für die sogenannten Mehrmarkenwerke, die von dem Konzernproduktionsvorstand Michael Macht weltweit gesteuert werden. Für General Motors hätte dieser Wechsel konzernweite Folgen. Bei Opel ist man noch nicht sicher, ob die Entsendung von vier GM-Abgesandten in den Opel-Aufsichtsrat nun als positives Zeichen für einen solchen Schwenk zu werten ist, oder ob die GM-Manager Girsky, Ammann, Tim Lee und Mary Barra eher dafür sorgen sollen, dass Opel noch enger an die Leine aus Detroit genommen wird. Möglicherweise bringt ein weiterer Wechsel im Aufsichtsrat, der im März ansteht, mehr Klarheit. Gerüchten zufolge entsendet GM den Chef der US-Autogewerkschaft UAW, Bob King, in das Kontrollgremium nach Rüsselsheim. King, so heißt es, könnte den deutschen Gewerkschaften mehr Druck machen.

Das aber würde bedeuten, dass GM an der alten Strategie festhält und Opel, wie befürchtet, zu einer weiteren Radikalkur zwingt. Schon in der Krise 2009 waren 8000 Arbeitsplätze abgebaut worden, das Werk in Antwerpen wurde geschlossen. „Diese Einschnitte waren nicht weitreichend genug“, sagt Konzernchef Akerson heute. Zwar pocht der Betriebsrat darauf, dass man zu den Zugeständnissen damals nur bereit war, weil gleichzeitig vereinbart wurde, dass bis Ende 2014 keine Stellen mehr gestrichen und keine Werke geschlossen werden. Doch wer den Wandel von der „alten“ GM zur neuen GM aufmerksam verfolgt hat, bekommt Zweifel, ob die Amerikaner sich an solche Verträge wirklich gebunden fühlen. Die Sanierung in den USA war so hart, dass das neue Unternehmen alle Altlasten über Bord werfen konnte. Auf satte 130 Milliarden Dollar beziffert GM den „Restrukturierungsgewinn“, den die Insolvenz im Sommer 2009 gebracht hat. Pensionslasten wurden vom Staat übernommen, Tausende von Gläubigern gingen leer aus, viele Mitarbeiter und sogar Pensionäre mussten für die Sanierung drastische Einbußen hinnehmen. Das ist auch ein Grund dafür, dass GM nun wieder mit guten Zahlen glänzen kann, nicht nur die von Dan Akerson forcierte Modernisierung der Modellpalette.

Sieben neue Modelle will der Konzern allein in diesem Jahr auf den Markt bringen. Und auch Opel-Chef Stracke betont, dass man bei den Investitionen in neue Autos keine Abstriche machen will. Dabei wollen die Rüsselsheimer ihre Stärke ausspielen, denn immerhin werden im Opel-Entwicklungszentrum immer noch entscheidende Weichenstellungen für den gesamten Konzern getroffen. Doch auch da schleichen sich inzwischen Zweifel ein. Auf das Wissen der deutschen Ingenieure, so heißt es, wolle GM nicht verzichten – doch viele von ihnen könnten künftig ihre Arbeit von Detroit aus erledigen müssen. Ob es so kommt, ist ungewiss. Opel-Chef Stracke verspricht keine schnelle Lösung. Er rechne damit, dass die gemeinsamen Gespräche noch mehrere Monate andauern werden. Monate, in denen die Verunsicherung in den deutschen Werken bleiben wird.