Geländewagen sind als Spritschlucker verrufen. Aber sie erobern immer mehr Marktanteile. Die Industrie verdient gut daran. Aber die Hersteller geraten in ein Dilemma.

Stuttgart - Die Autowelt formiert sich neu. Die sportlichen Geländewagen, kurz SUV (englisch „Sports Utility Vehicle“), setzen sich immer mehr durch. Ihr Marktanteil in Deutschland hat sich seit 2006 fast verdreifacht – auf aktuell 18,3 Prozent. Damit sind die Geländewagen nach der Kompaktklasse und vor den Kleinwagen das zweitgrößte Segment – und weisen das stärkste Wachstum aus.

 

Das ist eine erstaunliche Karriere, den diese Autos sind teurer und durstiger als vergleichbare Limousinen und Kombis, weil sie meist mit höherem Gewicht und mehr Luftwiderstand belastet sind. Das bringt die Autobauer in die Zwickmühle: Die Renditeziele sind mit den Geländewagen gut erreichbar, bei den EU-Verbrauchsvorgaben sind die Spritschlucker aber ein Bremsklotz. Die Industrie versucht deshalb, auf die Straße der Vernunft zurückzukommen. Die Geländewagen werden kleiner, als Coupés aerodynamisch tiefer gelegt und immer öfter ohne gewichtsteigernden Allradantrieb geliefert.

Nur Ferrari steht abseits

Inzwischen machen sie sich in allen Nischen breit; die Palette reicht vom Kleinwagenformat bis zum Luxusmodell – und da spielen die Geländewagen eine immer größere Rolle. Bei Porsche geraten durch den Cayenne und den Macan die Sportwagen in die Minderheitsposition. Maserati, die Fiat-Edelmarke die bisher Sportwagen und Sportlimousinen baut, will 2016 das Offroad-Modell Levante ins Programm nehmen. Die VW-Tochter Bentley startet 2016 mit dem superluxuriösen 600 PS-Geländewagen Bentayga, und auch die ebenfalls zum Konzern gehörende Sportwagenschmiede Lamborghini wird von 2018 an einen sportlichen Geländewagen fertigen. Die technische Basis für den Lamborghini Urus und den Bentley Bentayga ist der Audi Q7. Das bietet eine günstige Kostenbasis. Auch Rolls-Royce mag nicht abseits stehen und entwickelt unter dem Arbeitstitel Cullinan einen Geländewagen, der spätestens 2018 auf den Markt kommen soll.

Wer den Slogan „das Beste oder nichts“ beansprucht, kann die oberste Preisklasse nicht anderen überlassen. Mercedes-Benz, so ist zu hören, könnte auf der Basis der neuen Version des derzeitigen Spitzenmodells GLS einen Luxus-Maybach-Geländewagen präsentieren. Der englische Hersteller Jaguar Land Rover, der zum indischen Tata-Konzern gehört, hat einst mit dem Range Rover das ganze Marktsegment salonfähig gemacht – und setzt weiter auf diese Bullen der Landstraße. Einzig Ferrari will sich vom Fieber nicht anstecken lassen. Ferrari-Chef Amedeo Felisa legt sich fest: „Wir bauen keine SUV, Ferrari möchte kein Massenhersteller werden“.

Der Q7 hat 300 Kilo Gewicht verloren

Die Geländewagen fahren mit hohem Tempo aus der Nische. Bei Audi lag der Produktionsanteil 2011 noch bei 18 Prozent; aktuell sind es 29 Prozent. Die Prognose von Audi-Chef Rupert Stadler: „Bis 2020 rechnen wir mit einem Anstieg Richtung 40 Prozent“. Das steigert auch die Renditeerwartungen. Audi-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg freut sich: „Die Kunden eines Q5 geben etwa doppelt so viel für Extras aus wie ein A 4-Käufer“. Kein Wunder, dass Audi die Q-Palette erweitert, im nächsten Jahr startet der kleinere Q1. Und sie wird optimiert: Die Neuauflage des Schwerathleten Q7 hat 300 Kilogramm abgespeckt, so dass der Spritverbrauch um 26 Prozent sinkt und die CO2-Emissionen schwinden. Ein Effizienz-Assistent, der schon vorher auf Steigungen und Gefälle reagiert, hilft dabei, zehn Prozent des Treibstoffs einzusparen. Zum Allradantrieb kommt die Allradlenkung. Dieses und die Schlankheitskur bringen auch einen höheren Fahrkomfort und ein agileres Kurvenverhalten. Eine Fülle von Assistenzsystemen die beispielsweise das Abbiegen oder Parken unterstützen, komplettieren die Ausstattung.

Auf die Neuauflage des Q7 folgt das Coupé Q6 und zwar mit einem Doppelschlag: einmal mit den klassischen Benzin- und Dieselmotoren, dann aber auch als Elektrovariante, die dem kommenden Tesla-Modell Paroli bieten soll. Audi-Chef Rupert Stadler bestätigt: „ein sportlicher SUV mit Elektroantrieb ist auf den Weg gebracht“ – und 400 Kilometer Reichweite gelten als ziemlich sicher. Damit hat Audi fast alle Lücken im Programm geschlossen. Hinzu kommen wohl noch ein Ableger des Sportwagens TT ab 2018 und ein coupé-hafter Bruder des Q 7, der als Q 8 besonders in China und den Vereinigten Staaten Kunden zum Kauf animieren soll.

Volkswagen hat China und die USA im Blick

Die Neuauflage des deutschen Geländewagen-Marktführers Tiguan wird auf der Automesse IAA im September in Frankfurt präsentiert. VW-Chef Martin Winterkorn plant „die größte SUV-Offensive in der Geschichte unserer Marke“. Dazu gehört eine größere Tiguan-Variante vor allem für China und die USA. Dazu kommen neue Modelle im Golf-Format und in Polo-Größe mit den Autos der Konzernschwestern Seat und Skoda. Dafür gibt es Gründe weit über den deutschen Markt hinaus. Jochem Heizmann, im VW-Vorstand für den Geschäftsbereich China zuständig: „ Wir befassen uns intensiv mit dem Thema SUV. Das ist das mit Abstand am stärksten wachsenden Segment – gerade in China“. Die Geländewagen sind für Volkswagen die Vehikel, die im Land der Mitte helfen, die Spitzenposition zu halten. Und im Geländewagen-Paradies USA sollen sie den Konzern wieder in höhere Absatzregionen bringen. 2016 startet VW auf dem amerikanischen Markt mit einer Armada, die vom Großraummobil Cross-Blue bis zum Cross-Coupé reicht.

Daimler-Chef Dieter Zetsche hat 2015 zum „Jahr des SUV“ erklärt. Daimler-Vorstand Ola Källenius konkretisiert: „ In diesem Jahr werden wir unsere Palette rundum erneuern“. Mercedes kann in dem Segment noch zulegen, denn mit rund 25 Prozent ist der Anteil der sportlichen Geländewagen an der Mercedes-Gesamtproduktion geringer als bei den Premium-Konkurrenten Audi und BMW. Ein Smart-Geländeauto war schon vor Jahren geplant, jetzt wäre solch ein Modell auf Basis des Smart Forfour eine naheliegende Programmergänzung; immerhin: Daimler-Chef Dieter Zetsche „kann sich das vorstellen“. Anfang des Jahres wurde die überarbeitete M-Klasse als GLE vorgestellt. Die Coupé-Variante ist ab August zu haben. Es folgte der Nachfolger des GLK mit der neuen Modell-Bezeichnung GLC, von dem auch schon eine coupé-hafte Studie vorgestellt wurde. Es kommt noch die überarbeitete Version des GL, dann mit dem neuen Typenschild GLS. Der Geländewagen-Methusalem G-Klasse ist in seinem 36. Produktionsjahr, wird weiterentwickelt und bleibt wohl noch viele Jahre im Programm. Bei BMW ist sogar jedes dritte verkaufte Fahrzeug ein sportlicher Geländewagen – Tendenz steigend. BMW ist ein Beispiel dafür, dass der Boom an den deutschen Automobilarbeitern weitgehend vorbeifährt. Nur der X1 wird in Deutschland produziert. Die größeren weißblauen Modelle X3, X5 und X6 kommen alle aus dem US-Werk in Spartanburg – vermutlich auch das angekündigte Luxusmodell X7. Damit wird das vor 20 Jahren eingeweihte US-Werk das größte im weltweiten BMW-Produktionsverbund.

Daimler-Partner Renault hat ein Crossover-Modell

Immerhin rollt der deutsche Bestseller VW Tiguan in Wolfsburg vom Band. Audi produziert den Q3 in Spanien, den Q5 jetzt noch in Ingolstadt, aber in der nächsten Generation ab 2016 in Mexiko für den Weltmarkt. Der Audi Q7 wird zusammen mit dem VW-Touareg und der Karosserie des Porsche Cayenne im slowakischen Bratislava gebaut. Die Fertigmontage des Cayenne erfolgt in Leipzig und Osnabrück. Mercedes hält es ähnlich. Die überarbeitete M-Klasse – GLE – rollt zusammen mit dem dazugehörigen Coupé und dem Oberklassemodell GLS in Tuscaloosa/USA vom Band. Der kleinste Mercedes-Geländewagen, der GLA, wird in Rastatt und in Peking produziert. Der neue GLC entsteht im Werk Bremen und in Peking.

Aber es besteht Hoffnung: In der Betriebsvereinbarung Zukunftsbild Sindelfingen 2020 plus, die vor einem Jahr unterzeichnet wurde, sagt die Unternehmensleitung die Produktion eines bisher nicht am Standort produzierten Fahrzeugs in Sindelfingen zu. Ein aktueller Trend könnte helfen: Geländewagen und Vans, die früher meist als Großraumlimousinen bezeichnet wurden, fahren aufeinander zu. Das Ergebnis ist kein Crash, sondern ein neues Produkt, der Crossover, ein Hochsitzer mit dem rustikalen Charme des sportlichen Geländewagens. Daimler Kooperationspartner Renault hat mit dem Nachfolger des Vans Espace dieses Konzept schon auf den Markt gebracht und formuliert in blumiger Marketingsprache: „Das neue Modell vereint modern interpretierte Van- und SUV-Merkmale mit dem luxuriösen Komfort einer Oberklasse-Limousine“.

Ein neues Modell für das Werk Sindelfingen

Mercedes könnte folgen. Auf der Basis der neuen E-Klasse, die Anfang 2016 kommen soll, könnte ein Fahrzeug im Crossover-Look entstehen und ein Jahr später – also 2017 – auf den Markt gebracht werden. Solch ein Auto würde Kunden ansprechen, die den Raumbedarf eines Vans, die höhere Sitzposition eines Geländewagens und die Eleganz eines Coupés in einem Modell kaufen wollen. Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn hat kürzlich angekündigt: „Es wird mit Daimler weitere gemeinsame Projekte geben.“ Eine Crossover-Kooperation ist damit zumindest nicht ausgeschlossen.

Ein Marktanteil von mehr als 15 Prozent ist heikel

Dilemma
Wenn die Geländewagen mit ihrem überproportional hohen Spritverbrauch einen immer größeren Marktanteil erreichen, dann wird es für die Hersteller immer schwerer die von der EU vorgegebenen Klimaschutzziele zu erreichen. Bis 2020 sollen Neuwagen in Europa statt heute sechs Liter im Durchschnitt vier Liter je 100 Kilometer schlucken und damit statt 130 Gramm noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Nach Experteneinschätzung könnte das bei einem Geländewagen-Marktanteil von 15 Prozent gerade noch erreichbar sein. Diese Marke wurde in Deutschland allerdings schon 2012 überschritten. Bei dem prognostizierten Marktanteil von etwa 30 Prozent bis 2020, wie ihn zum Beispiel das CAR-Institut des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer schätzt, ist das nach Ansicht von Fachleuten mit der aktuellen Technik nicht zu schaffen.

Gegenstrategie
Die Autoindustrie reagiert mit einer Dreifach-Strategie auf die Herausforderung. Schritt eins: der Kompakt-SUV; der Geländewagen schrumpft, nicht nur der Motor. Außerhalbder Oberklasse lockt Opel mit dem Mokka, Ford mit dem Ecosport und Mini mit dem Paceman. Schritt zwei: den eckigen und hochgebauten Geländewagen werden schlanke, tiefergelegte SUV-Coupés mit niedrigerem Luftwiderstand zur Seite gestellt. Schritt drei: die teure aber spritsparende Hybrid-Technik, die den großen Geländewagen das Spritschlucken mit Hilfe zusätzlicher Elektromotoren abgewöhnen soll.