Die Bundespolizei setzt an einem Berliner Bahnhof erstmals eine automatische Gesichtserkennung ein. Das könnte der Anfang für intensivere Kontrollen an Verkehrsknotenpunkten sein. Der Deutsche Anwaltverein warnt vor dem Überwachungsstaat.

Berlin - Wer vom Vorplatz des Berliner Bahnhofs Südkreuz in die Eingangshalle läuft, wird seit diesem Dienstag auf markierten Flächen und Schildern darauf aufmerksam gemacht, dass an diesem Ort möglicherweise der Testlauf zur totalen Überwachung beginnt. Die meisten Passanten scheinen von dieser Neuerung noch nichts mitbekommen zu haben. Sie strömen eilig zu den Zügen und haben keinen Blick für die Hinweistafeln, die sich dort neuerdings befinden.

 

So steht über einer Eingangstür ein blaues Schild mit der Aufschrift: „Erkennungsbereich“. Wer hier durchgeht, wird von der Gesichtserkennung erfasst. An der Eingangstür gleich nebenan wiederum hängt ein weißes Schild mit den Worten: „Keine Gesichtserkennung“. An dieser Stelle werden die Passanten während der sechsmonatigen Testphase von den installierten Kameras nicht gefilmt.

Für den Modellversuch, der an diesem Dienstag in Berlin begonnen hat, sollen neue Anwendungen der automatischen Überwachung getestet werden. Hierfür haben die Bundespolizei, das Bundesinnenministerium und die Deutsche Bahn AG den Bahnhof Südkreuz zum „Sicherheitsbahnhof“ umgerüstet, wie es der Bundespolizist Jens Schobranski nennt. Vorläufig soll zwar nur die Gesichtserfassung getestet werden, langfristig will es die Bundespolizei dabei aber nicht belassen.

So soll das System später auch allein stehende Gepäckstücke erkennen und entsprechend Warnungen abgeben können. Dadurch, so Schobranksi, würde die Polizeiarbeit erleichtert werden. Obwohl die Behörden versichern, dass an eine Massenüberwachung aller Passanten nicht gedacht sei, sind die Datenschützer bereits alarmiert.

Flächendeckender Einsatz technisch möglich

Für den Versuch haben die Behörden Freiwillige zur Mitarbeit aufgerufen. Rund 300 Berliner Bürger, die sich regelmäßig am Bahnhof Südkreuz aufhalten, meldeten sich. Sie können durch ihre Mitarbeit Preise gewinnen. Die Gesichter der Freiwilligen sind im System hinterlegt. Die Versuchspersonen sollen sich am Bahnhof so bewegen wie immer, sagt Schobranski.

Wer beispielsweise mit dem aufgesetzten Fahrradhelm den Bahnhof betrete, solle das auch künftig tun. Auch Strohhüte und Sonnenbrillen sind erwünscht. Am Bahnhof sind drei Kameras aufgestellt, die alle Besucher in den ausgewiesenen Zonen erfassen. Untersucht wird, ob die Kameras die Versuchsteilnehmer zuverlässig identifizieren. Um das zu prüfen, sollen alle Teilnehmer einen Chip bei sich tragen, der beim Betreten des Bahnhofsgeländes registriert wird. So wird herausgefunden, ob die Gesichtserkennung zuverlässig funktioniert. Das Prinzip ist einfach: Alle Gesichter werden mit den hinterlegten Fotos der Probanden verglichen. Die Gesichter der übrigen Besucher werden nicht gespeichert.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hält solche Kontrollen für geeignet, um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken. Der technische Fortschritt dürfe bei den Sicherheitsbehörden nicht haltmachen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Marian Wendt, der am ersten Tag des Versuchs den Bahnhof Südkreuz aufsucht, will die Gesichtserkennung bei erfolgreichen Test flächendeckend einsetzen.

Der SPD-Abgeordnete Joachim Fechner, der Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestags ist, hält den Probelauf für einen „interessanten Versuch“. Wichtig ist Fechner aber, dass keine Bewegungsprofile der Bürger gespeichert werden. An Flughäfen und Bahnhöfen solle die Technik eingesetzt werden, die Überwachung müsse aber auf bestimmte Personen, nach denen beispielsweise gefahndet wird, beschränkt bleiben.

Technisch sind diese Systeme weit entwickelt. Der flächendeckende Einsatz sei problemlos möglich, sagt der Softwareunternehmer Jürgen Pampus vom Unternehmen Cognitec. Selbst wenn Gesichter mit Schals oder Sonnenbrille verdeckt sind, werden sie meist dennoch erkannt. Voraussetzung ist, dass ein Blick auf den inneren Gesichtsbereich möglich ist.

Nicht alles umsetzen, was technisch möglich ist

Ulrich Schellenberg, Präsident des Deutschen Anwaltvereins, warnt aber davor, alles umzusetzen, was technisch möglich ist. Der Anwaltverein hält eine Debatte in der Gesellschaft über die Grenzen der Überwachung für überfällig. Die Bürger hätten einen grundgesetzlichen Anspruch auf Privatheit, sagt Schellenberg. Oft sei von den Bürgern zu hören, dass sie nichts zu verbergen hätten, sagt der Rechtsanwalt. Es sei aber inakzeptabel, wenn ein Bürger ständig das Gefühl haben müsse, beobachtet und kontrolliert zu werden. Dies habe das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen deutlich gemacht. Der Anwaltverein hält die Gesichtserkennung und die verschärften Sicherheitsgesetze für eine brisante Kombination.

In einigen Jahren sei es möglich, alle Daten aus der Gesichtserkennung mit den biometrischen Passbildern zu vergleichen, die bei den Behörden gespeichert sind. Deutschland dürfe kein Überwachungsstaat werden, meint Schellenberg. Auch Datenschützer halten die Technik für rechtswidrig. Die Sicherheitsbehörden argumentieren dagegen, mit dem Einsatz der Technik könnten mögliche Terrorakte abgewehrt und Gefahren im Vorfeld verhindert werden. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Fechner plädiert dafür, den Anwendungsbereich der Gesichtserkennung präzise per Gesetz festzulegen.

Der Bahnhof Südkreuz wird wie die meisten Verkehrsknotenpunkte schon jetzt mit Video überwacht. Die Deutsche Bahn als Hausherrin ist dafür zuständig. Auch die Bundespolizei kann die Videotechnik nutzen. Die Vorstellung, dass vor allen Kontrollschirmen ein Bahnmitarbeiter oder ein Polizist das Geschehen verfolgt, entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Dafür fehlt auch Personal. Oft werden die Aufnahmen im Nachhinein ausgewertet, wenn etwa Gewalttaten begangen worden sind. Von der automatischen Gesichtserfassung erhofft sich der Polizeibeamte Jens Schobranski in Zukunft dennoch mehr Fahndungserfolge.