Autos fahren immer selbstständiger. Der Gesetzgeber muss auf den Trend reagieren und das Wiener Abkommen über den Straßenverkehr ändern, fordern Experten auf einer Tagung.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Die Zukunft ist auf deutschen Straßen schon unterwegs. Sie gibt es als Zusatzausstattung, und sie ist nicht ganz billig. Mehrere Tausend Euro kostet es, wenn das Auto im Kolonnenverkehr dem Fahrer die Arbeit weitgehend abnehmen soll. Es gibt dann selbst Gas, bremst, hält die Spur und schafft so dem Menschen am Steuer Freiraum für sinnvollere Betätigungen. „In diesen Momenten macht das Autofahren ja keinen Spaß“, sagt Arne Bartels vom VW-Konzern. Deshalb wollten die Verbraucher auch diese neuen technischen Möglichkeiten haben. Das hätten Kundenbefragungen in Deutschland, China und den USA gezeigt. „Es ergibt sich so ein Gewinn an Lebensqualität“, betont der Ingenieur und Forscher bei einer Tagung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, bei der es um die gesellschaftlichen und technischen Herausforderungen durch die zunehmende Automatisierung geht.

 

Die damit verbundenen Verheißungen sind laut den Herstellern groß. Unfälle sollen durch vorausschauende Technologien vermieden werden, die Kapazität der Straßen soll durch einen besser koordinierten Verkehrsfluss erhöht, der Fahrer für andere Aufgaben freigestellt werden. „Das Berufsbild des Lastwagenfahrers dürfte sich wandeln“, meint zum Beispiel Markus Kirschbaum von der Daimler AG. Denn der Mann im Führerhaus könne in Zukunft nicht nur im Internet surfen oder Fernsehen, während sein Auto autonom fahre, sondern auch Logistikaufgaben seiner Firma erledigen. Dann, so Kirschbaum, könnten auch die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten neu definiert werden. Hier schwingt natürlich die Hoffnung mit, dass die Lastwagen nicht mehr so lange stehen und so mehr Gewinn einfahren könnten.

Die Zulassungsregeln müssen geändert werden

Doch der Gesetzgeber muss ob des automobilen Fortschritts auch an anderen Stellen handeln. Das macht Lennart Lutz von der Julius-Maximilans-Universität Würzburg deutlich. Zum einen würden die europaweit gültigen Zulassungsregeln bisher Fahrzeuge verbieten, die über längere Zeit und bei höheren Geschwindigkeiten autonom lenken. „Ohne eine Änderung der ECE-Regel 79 wird es kein automatisiertes Fahren geben“, sagt der Experte für Robotrecht. Das wüssten auch die Behörden. Die Bundesrepublik habe deshalb in Abstimmung mit Japan eine Änderung vorgeschlagen. „In zwei bis drei Jahren könnten wir die Neufassung haben“, so Lutz.

Ähnlich liegen die Dinge beim Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968. Diesen völkerrechtlich bindenden Vertrag haben 72 Nationen geschlossen, um international vergleichbare Standards zu sichern. In der Folge werden zum Beispiel Führerscheine grenzüberschreitend anerkannt. Das Abkommen schreibt bisher vor, dass der Fahrer und nicht ein Computer ständig das Auto beherrschen muss. Nun haben Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Belgien eine Änderung vorgeschlagen. Die hat zwar gute Chancen, bis 2016 angenommen zu werden. Jüngst haben aber die Schweden angeregt, noch weiter zu gehen. Denn auch nach der Reform wäre etwa das komplett fahrerlose Auto weiter ausgeschlossen. Womöglich verzögert sich die Reform doch noch.

Wer ist schuld – Mensch oder Maschine?

Nach Auffassung von Lutz hätte die Politik auch damit ihre Hausaufgaben nicht völlig gemacht. Erstens sollte klar definiert werden, inwiefern ein Fahrer seine Aufmerksamkeit vom Verkehr überhaupt abwenden darf. Zeitunglesen am Steuer etwa betrachten viele Experten auf der Tagung als problematisch, weil der Chauffeur dann die Technik überhaupt nicht mehr überwachen und in kritischen Situationen eingreifen könnte. Außerdem, so Lutz, müssten für (teil)automatisierte Autos Unfalldatenschreiber vorgeschrieben werden. Andernfalls könnte es dazu kommen, dass bei einem Unfall die Schuld nicht mehr festzustellen sei. Dann bliebe ungeklärt, „ob der Mensch oder die Maschine bei Rot über die Kreuzung gefahren ist“.

Freilich greift Lutz der Zukunft damit weit voraus. In absehbarer Zeit plane niemand im Verband der deutschen Automobilhersteller, Wagen selbstständig durch Städte fahren zu lassen, betont Bartels. „Wir wollen mit der Automatisierung den Fahrer nur dort unterstützen, wo er Schwächen zeigt, also bei monotonen Überlandfahrten und bei einer Dauerbeanspruchung etwa im Stau“, sagt der Ingenieur. Ob es aber überhaupt der Sicherheit dient, wenn man den Menschen immer mehr ersetzt, bezweifelt der Psychologe Tobias Ruttke. Statistisch verursache jemand nur alle 300 000 Kilometer und damit nur alle 20 Jahre einmal einen Unfall. „Der Mensch ist also gar nicht so schlecht“, sagt der Forscher von der Universität Jena. Womöglich verließen sich die Autofahrer künftig zu sehr auf die neue Technik, büßten gar eigene Fähigkeiten ein oder verhielten sich risikoreicher im Vertrauen auf die Systeme. Dann würden die Gefahren wieder wachsen. Sinnvoller sei es da, andere Systeme zu entwickeln, meint der Experte. Die würden den Fahrer nicht ablösen, sondern auf seine Fehler hinweisen und ihn so trainieren.