Der Traum vom individualisierten öffentlichen Nahverkehr könnte in den Zeiten des autonomen Fahrens wahr werden – sofern es den Anbietern gelingt, Uber, Google & Co. auf Distanz zu halten

Stuttgart - Die öffentlichen Verkehrsbetriebe wollen die Zukunft der Mobilität nicht alleine privaten Anbietern überlassen – ob sie nun Google, Apple und Uber heißen oder ein etablierter Autohersteller sind. In einem Positionspapier hat sich der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Gedanken über „Zukunftsszenarien autonomer Fahrzeuge“ gemacht, und in der kommenden Woche soll hierüber auf einem zweitägigen Kongress in Berlin diskutiert werden. Für die hinter den Verkehrsbetrieben stehenden Kommunen geht es aus der Sicht von Martin Schmitz, VDV-Geschäftsführer Technik, um eine Grundsatzentscheidung: „Die Städte müssen sich überlegen, ob sie das alles gewinnorientierten Anbietern überlassen wollen, die die Preise entsprechend der Nachfrage festsetzen – also beim Stadtfest und bei Regen eher teurer –, und die Kundendaten in den USA sammeln“, sagt er.

 

Das Autofahren gewinnt neue Attraktivität

Wie die meisten Experten, so geht auch der VDV davon aus, dass die Entwicklung des Verkehrs in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren auf selbstfahrende und elektrisch angetriebene Autos hin steuern wird. Wie der Verkehr dann organisiert sein wird, ist für die Verkehrsbetriebe von existenzieller Bedeutung. Werden die fahrerlos manövrierenden Fahrzeuge nicht in das öffentliche Verkehrssystem eingebunden, so heißt es in dem Positionspapier, dann könnte das die Verkehrsunternehmen in ihrer Existenz bedrohen.

Gefahr droht aus Sicht des VDV weniger dem Schienenverkehr, da zum Beispiel die Vorteile der leistungsfähigen S-Bahn-Netze schwer zu kopieren sind. Aber der Busverkehr abseits der Hauptachsen oder in mittelgroßen Städten könnte gegenüber einem privaten Carsharingauto oder einem fahrerlosen Robotertaxi ins Hintertreffen geraten. Denn das Autofahren wird nach den Annahmen in den Zeiten autonomer Fahrzeuge attraktiver werden – unkompliziert, stressfrei und verbunden mit der Möglichkeit, sich allen möglichen Freizeitaktivitäten zu widmen. Also wollen die öffentlichen Betriebe diesen attraktiven Markt nicht kampflos der Konkurrenz überlassen.

Die Kommunen kommen mit weniger Parkflächen aus

„Es wird noch einige Zeit dauern, bis das autonome Fahren Realität wird“, sagt Schmitz. „Aber unsere Branche muss die Zeit nutzen, um Erfahrungen in Tests und Projekten zu gewinnen, und wir müssen der Politik klar machen, dass der Öffentliche Personennahverkehr ein wichtiger Teil dieser Entwicklung ist.“

Die Verkehrsbetriebe sehen sich in einer sehr guten Ausgangsposition, denn sie haben mit ihren Abokunden und ihren Apps unter allen Mobilitätsanbietern den Zugang zum größten Teil der Kundschaft. Durch den Trend zu Robotertaxis und autonom fahrenden Kleinbussen sehen die Verkehrsbetriebe die Chance, den öffentlichen Nahverkehr mit individualisierten Angeboten auszubauen. Der Kunde kann am Straßenrand mit Hilfe seiner Smartphone-App ein Fahrzeug „rufen“ und lässt sich – alleine oder mit anderen Reisenden, die in die gleiche Richtung wollen – zu seinem Ziel bringen; das kann auch eine Haltestelle sein, von der aus das nächste konventionelle Verkehrsmittel fährt. Das bietet aus Verbandssicht sogar eine „historische Chance“, wie es in dem Positionspapier heißt – auch für die Kommunen. Denn die Autoflotten in den Städten, so schreibt der VDV unter Berufung auf Schätzungen, könnten auf ein Zehntel des heutigen Bestands schrumpfen – wofür dann weniger Parkplätze erforderlich wären. Dass den öffentlichen Betrieben das Geschäft der Zukunft nicht einfach so zufällt, weiß auch Schmitz: „Die Frage der Finanzierbarkeit gehört sicher zu den entscheidenden, denn da werden – wie eigentlich immer im Verkehrssektor – große Investitionen zu schultern sein.“

„Edgar“ hat am 21. Juni in Berlin Premiere

Deshalb sind Tests und Pilotprojekte das Gebot der Stunde, wobei die meisten Versuche im Ausland stattfinden. Der VDV hofft, dass es auch in Deutschland zu Initiativen kommt und ist deshalb ein wenig stolz darauf, dass am 21. Juni, am ersten Abend des Kongresses in Berlin, die Europa-Premiere eines autonom fahrenden Kleinbusses des US-Herstellers Local Motors stattfindet. Ein entsprechendes Konzept wurde bereits im vorigen Jahr präsentiert; jetzt ist der erste „Edgar“-Prototyp fertig. Das Unternehmen aus Arizona, das beim Bau der Karossen den 3-D-Druck einsetzt und seit 2012 mit BMW kooperiert, will in Berlin auch eine Fertigung aufziehen. Wo die Busse zum Einsatz kommen sollen, wird noch nicht verraten.

Womöglich passiert in Berlin bald Ähnliches wie in der Schweiz in Sion (Sitten) im Wallis. Dort plant die Stadt zusammen mit dem Busunternehmen Post Auto Schweiz, demnächst zwei neunsitzige Elektrobusse des französischen Herstellers Navya mit 20 Stundenkilometern autonom durch die Fußgängerzone fahren zu lassen. Der Test ist auf zwei Jahre angelegt. Navya hat Erfahrung auf dem Gebiet und chauffiert zum Beispiel auf dem Gelände des französischen Atomkraftwerks Civaux bei Poitiers in sechs Bussen die Beschäftigten auf dem 220 Hektar großen Gelände umher.

Die autonom fahrenden Busse haben keine eigene Trasse

Schon einen Schritt weiter ist die niederländische Stadt Wageningen. Dort decken selbstfahrende Busse die sieben Kilometer lange Strecke zur Nachbarstadt Ede ab. Die Fahrzeuge mit dem Namen EZ10 haben sechs Sitzplätze und werden von Easy Mile gebaut, einem französischen Gemeinschaftsunternehmen des Autobauers Ligier mit dem Robotikspezialisten Robosoft. Die Busse haben keine eigene Trasse, sondern fahren langsam mit bis zu Tempo 25 rechts am Rand der öffentlichen Straße. Easy Mile ist auch Partner in dem Projekt City Mobil 2, das von der EU-Kommission finanziert wird und die Chancen autonomer Verkehrssysteme in Städten ermitteln soll. In vielen Städten der Gemeinschaft finden Tests statt, zum Beispiel in San Sebastian (Spanien), Trikala (Griechenland) und in der Nähe von Antibes (Frankreich).