Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), sieht im autonomen Fahren viele Vorteile. Bis das auch im Stadtverkehr klappt, vergehe aber noch viel Zeit. Zuvor seien auch rechtliche Fragen zu klären.

Berlin - Nach den Worten des VDA-Präsidenten Matthias Wissmann nimmt die Nachfrage nach Fahrzeugen mit digitalen Fahrhilfen zu. Das automatisierte Fahren werde sich aber nicht von heute auf morgen, sondern Schritt für Schritt durchsetzen, sagt der Verbandspräsident.

 
Herr Wissmann, auf der IAA im September wird das selbstfahrende Auto ein Schwerpunkt sein. Wie müssen wir uns das Roboterauto der Zukunft vorstellen?
Das vernetzte und automatisierte Fahren kommt Schritt für Schritt. Die Entwicklung reicht vom teil- über das hochautomatisierte bis hin zum vollautomatisierten Fahren. Mit „Roboterautos“, sprich Fahrzeugen, die völlig autonom fahren, ist in den kommenden Jahren nicht zu rechnen. Die modernsten Fahrzeuge haben jetzt schon Assistenzsysteme, die den Fahrer beim Bremsen, Lenken und Einparken unterstützen und ihn beim Fahren etwa im Stau entlasten. Es gibt also bereits viel künstliche Intelligenz im Auto. In einigen Jahren werden wir hochautomatisierte Fahrfunktionen sehen, die den Verkehr sicherer und effizienter und das Autofahren noch komfortabler machen. Realistisch ist dann zum Beispiel folgendes Szenario: Vor dem Parkhaus am Stuttgarter Flughafen wird der Fahrer sein Auto abgeben und der Wagen wird dank der elektronischen Lotsenfunktion selbstständig seinen Weg in die Parklücke suchen. Da sich damit die Abstände zwischen den Fahrzeugen verringern, gibt es in den Parkhäusern ein Drittel mehr Platz und keine Parkrempler mehr. Mindestens genauso wichtig: Der Reisende benötigt weniger Zeit, um das Flugzeug zu erreichen.
Vor einigen Jahren war auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt die Begeisterung über Elektroautos groß, dann setzte Ernüchterung ein. Was macht Sie sicher, dass sich der Trend zum selbstfahrenden Auto durchsetzt?
Wir erleben schon jetzt, dass die Nachfrage nach Fahrzeugen mit digitaler Technik erheblich zunimmt. Das zeigt sich zunächst in der Oberklasse. Beim Bremsen, beim Beschleunigen, beim Spurhalten und bei der Beleuchtung sind Assistenzsysteme selbstverständlich. Viele Modelle haben Radarsysteme, die das Vorfeld des Wagens erfassen. Das ist kein Science Fiction, sondern Realität. Solche Systeme werden künftig nach und nach in allen Fahrzeugsegmenten Einzug halten. Auch beim Lastwagen treiben die deutschen Hersteller die Entwicklung voran: Der Lkw der Zukunft reiht sich mit Hilfe digitaler Technik auf der rechten Seite der Autobahn ein und findet dort selbst seinen Weg. Der Fahrer ist zwar anwesend, kann sich in der Zeit aber beispielsweise um logistische Aufgaben kümmern.
Bisher ist es aber immer so, dass der Fahrer letztlich die Kontrolle über sein Fahrzeug haben muss. Wollen die Autohersteller, dass sich der Wagenlenker ganz dem Computer anvertraut?
Für bestimmte Verkehrssituationen ist das nicht nur komfortabler, sondern vor allem sicherer. Man denke an das Fahren im Stau. Wenn die Autobahn frei ist, haben die meisten Freude am Fahren. Frustriert sind wir im zähfließenden Verkehr, wenn es kaum vorangeht. Alles spricht dafür, dass wir durch elektronische Systeme den Verkehrsfluss verbessern und die Unfallgefahren senken können. Bei Routinefunktionen sind die technischen Systeme heute schon so gut wie ein Fahrer. Die Unterstützung und Entlastung des Fahrers durch automatisiertes Fahren werden die Verkehrssicherheit erhöhen. Außerdem lassen sich dadurch Sprit und Emissionen sparen. Wir erzielen enorme Effizienzgewinne.
Für das pilotierte Fahren gelten hohe rechtliche Hürden. Ist das Wiener Verkehrsabkommen von 1968, das durchgehend die 100-prozentige Kontrolle über das Fahrzeug verlangt, noch zeitgemäß?
Wir brauchen Veränderungen beim Zulassungs- und Verhaltensrecht. Die Vorschriften sollten dem Stand der modernen Technik angepasst werden. Die bisher geltende Anforderung, wonach der Fahrer jederzeit die Kontrolle über das Auto haben muss, muss für das zukünftige vollautomatisierte Fahren verändert werden. Die Vereinten Nationen haben bereits entsprechende Änderungen vorgeschlagen, die nun in nationales Recht umgewandelt werden müssen. Unser Ziel ist es: Die Gesamtverantwortung des Fahrers bleibt zwar auch künftig bestehen, er haftet aber nicht für Funktionsfehler elektronischer Systeme.
Das bedeutet, auf Autoindustrie und Zulieferer kommen neue Haftungsrisiken zu?
Für hoch- und vollautomatisierte Systeme müssen die rechtlichen Regelungen erst noch geschaffen werden. Der wichtigste Ort, um diese juristischen Fragen zu klären, sind die Vereinten Nationen. Letztlich ist die Haftungsfrage jeweils im Einzelfall zu beantworten, also auf Grundlage des Unfallhergangs und der jeweils eingesetzten Fahrzeugsysteme. In jedem Fall muss jederzeit klar sein, ob das Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt durch den Fahrer oder die Technik geführt wurde.
Bisher ist auf der A 9 in Bayern ein „Digitales Testfeld Autobahn“ als Probeversuch geplant. Wie lange wird die Experimentierphase dauern und reicht es aus, das autonome Fahren nur auf einer Strecke zu erproben?
Es ist gut, dass wir auf der A9 das automatisierte Fahren erleben werden. Hier kann der Austausch von Informationen zwischen Fahrzeugen, Infrastruktur und anderen Quellen in der Realität auf der Straße getestet werden. Die Fahrzeuge sollen selbstständig einen Spurwechsel vornehmen und Überholmanöver ausführen. Das ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern wird jetzt erprobt. Das Testfeld auf der A9 ist ein erster wichtiger Schritt.
Noch unklar ist, ob das selbstfahrende Auto alle Gefahren kennt. Denken Sie nur an den Innenstadtverkehr, in dem Autos und Radfahrer um den knappen Raum konkurrieren. Da ist auch die Verständigung durch Blickkontakt wichtig. Sind elektronische Systeme sicher?
Wir müssen uns vor Augen halten, dass es sich um einen Prozess in Stufen handelt. Das automatisierte Fahren werden wir nicht zuerst im dichten Innenstadtverkehr in Berlin-Mitte zwischen Radfahrern, Ampeln und Fußgängern sehen, sondern auf der Autobahn. Da gibt es keinen Gegenverkehr und keine Fußgänger. Wenn sich die Systeme dort bewähren, werden sie irgendwann auch in der Stadt funktionieren. Das ist eine digitale Reise mit vielen Stationen, an deren Ende eines ferneren Tages ein selbstfahrendes Auto steht, das sich auch in der Innenstadt sicher bewegt. Die Automobilindustrie wird nur ausgereifte und sichere Systeme anbieten.
Wenn Autos untereinander vernetzt sind, kommunizieren die Wagen miteinander. Sinken dadurch die Unfallzahlen?
In den vergangenen 30 Jahren verzeichneten wir durch Airbags, elektronische Stabilitätsprogramme und andere Schutzeinrichtungen eine massive Reduzierung der Verkehrsunfälle. Die digitale Vernetzung wird die Unfallrisiken weiter senken. Die Statistik zeigt uns, dass ein Großteil der Unfälle durch menschliches Fehlverhalten entsteht. Ich bin davon überzeugt: Das vernetzte Auto wird die Fehlerrate signifikant reduzieren. Das Fahrzeug der Zukunft kann beispielsweise hinter die nächste Kurve blicken und im Vorfeld gefährliche Situationen wie Staus, Unfälle und Glatteis erkennen. Nimmt man theoretisch an, dass 100 Prozent der Autos digital vernetzt sind, könnte allein die Funktion „Verkehrszeichenwarnung“ 13 Prozent aller Verkehrsunfälle vermeiden. Die Funktion „Wetterwarnung“ würde zu fünf Prozent weniger Verletzten im Straßenverkehr führen. Das vernetzte Fahren bedeutet für die Sicherheit einen enormen Fortschritt.