Deutschland ist im Krimi-Fieber. Auch Autoren aus dem Südwesten schreiben fleißig mit. Bei ihnen geht es um mehr als um die Frage „Wer war’s?“.  

Stuttgart - Dass Buchhändler noch immer Plastiktüten anbieten, überrascht dann doch. Sollte die Branche nicht endlich auf Miniatursärge umsteigen? Seit einigen Jahren jedenfalls tragen die Kunden vor allem Bücher voller Mord und Totschlag nach Hause. Der Krimiboom hat Ausmaße angenommen, die den Verdacht nähren, die Verlage setzten dem Papier Suchtstoffe zu. Das hat den kuriosen Nebeneffekt, dass Marketingstrategen die Kategorisierung von Neuerscheinungen nach sehr klaren Kriterien betreiben können. Ist es ein Lebenshilfe-Titel? Nein. Ist es ein Kochbuch? Nein. Dann ist es ein Krimi!

 

Süddeutsche Leser sind ein wenig stolz, dass ihre Gegend nicht einfach eine weitere Wabe im Bienenstock des Regionalkrimigesummes ist. Mit Christine Lehmann, Uta-Maria Heim, Heinrich Steinfest und Wolfgang Schorlau werden gleich vier hiesige Krimiautoren beständig als Ausnahmeerscheinungen auf einem anscheinend jeden Hobbyschreibermurks tolerierenden Markt erwähnt.

Von drei dieser Lokalmatadoren gibt es neue Romane, von Uta-Maria Heim "Feierabend", von Heinrich Steinfest "Die Haischwimmerin" und von Wolfgang Schorlau "Die letzte Flucht". Bei zweien dieser Bücher aber scheint fraglich, ob das Etikett "Kriminalroman" viel mehr zu bedeuten hat als das Versprechen: "Dieses Buch lässt sich lesen! Ohne Versagensangst! Es will unterhalten!"

Heinrich Steifest: "Haischwimmerin"

Der aus Wien übersiedelte Wahl-Stuttgarter Heinrich Steinfest hat sich schon lange fortgeschrieben von allem, was man auch nur Krimiparodie nennen könnte. Seine Romane dienen vor allem einem Zweck, dem Erzähler Gelegenheit zu geben, sich über Grundsätzliches und Abseitiges, Hehres und Profanes, Alltägliches und Ungeheuerliches in einer Mischung aus selbstironischer Kaffeehausphilosophantasterei und erkenntnisfreudiger Fremdbrillenputzwut vergnüglich auszulassen.

Dass Steinfest dabei Polizistinnen und Polizisten, Mörder und Detektive, Betrüger und Agenten in Marsch setzt, ist wohl weniger integrer Teil des Plots als eine private Motivationsübung. Steinfest scheint diese Figuren als Weggefährten vor jedem Spaziergang durch die Labyrinthe seiner Fantasie um sich zu scharen, wie andere sich vielleicht einen Tee aufbrühen, als Ritual, das erklärt: "Jetzt geht's los mit der Arbeit."

In der "Haischwimmerin" taucht die Polizistin Lilli Steinbeck wieder auf, die treue Steinfest-Leser schon aus der " Feinen Nase der Lilli Steinbeck" kennen. Mit einem Polizeiroman aber hat das Buch nichts gemein. Es führt uns unter anderem nach Ochotsk im fernsten Osten Russlands, eine 5000-Seelen-Gemeinde, die Steinfest zwar nicht erfunden hat, die er aber munter imaginiert. Um die Kristallisationskerne des Realen lässt er das Mögliche und das Unmögliche wuchern, Forscher, die mit alten Telefonapparaten Kontakte ins Jenseits herstellen wollen, ganze unterirdische Städte der Gesetzlosen, auch Regionalzaren der organisierten Kriminalität, die ihren Feinden mittels Ring und Faustschlag eine kennzeichnende Narbe des Verfemtseins ins Gesicht stanzen.

Uta Maria Heims: "Feierabend"

Uta-Maria Heims "Feierabend" ist viel dunkler. Der Roman erzählt von unglücklichen, zerquälten Menschen, die einsam bleiben, ob sie am Rand stehen oder mitten in einer Gruppe. Eine von ihnen, Helene Spitznagel, wird mit ihrer Familiengeschichte konfrontiert, weniger mit verdrängter als mit allzu rasch bewältigter. Ein paar knappe Erzählphrasen haben festgehalten, wie das angeblich war, als ein Familienmitglied nach Grafeneck gebracht wurde, in die süddeutsche Anstalt, in der die Nazis Behinderte ermordeten. Aber dies wird kein Geschichtsthriller.

Der Schwarzwälderin Heim geht es um den Verlust der Heimat, um das Fremdbleiben in der neuen Sprache, die man sich angeeignet hat, um das Vorbeisausen der Jahre, die einen im Nichtangekommensein stehen lassen wie eine Folge von Bussen, die den Haltepunkt ignorieren. Heim liefert Innensichten mehrerer Figuren, und es ist auffällig, dass deren Sprache sich ähnelt, dass alle allzu klug über sich und die Welt grübeln. Was ein Fehler zu sein scheint, ist jedoch Heims Methode. Bei ihr schraubt sich aus Figuren, die miteinander im Hader liegen mögen, der gleiche Schmerz heraus. Jenseits der unüberwindbaren Konflikte zeigt Heim eine gemeinsame Verwundung, ein Ungeborgensein.

Wolfgang Schorlaus: "Die letzte Flucht"

Old School, möchte man im Vergleich dazu Wolfgang Schorlaus sechsten Krimi um den Privatdetektiv Dengler nennen. "Die letzte Flucht" nimmt sich einen gesellschaftlichen Missstand vor und will ihn aufklären, will die Kriminalgeschichte als Vehikel gesellschaftlicher Aufklärung nutzen. Das ist von jeher Schorlaus Programm, aber nicht immer hat er es so rasant umgesetzt. Obwohl es eine Nebenhandlung um Stuttgart 21 gibt, kommt Dengler heraus aus dem Milieu, das Schorlau ihm geschaffen hat, aus dem zu gefällig Szenigen.

Er ermittelt in Berlin, in einem vermeintlich hoffnungslosen Fall: Ein Arzt soll ein Mörder und Kinderschänder sein. In einer Parallelhandlung wird der Verkaufsleiter eines Pharmakonzerns entführt. Der Kidnapper presst dem Entführten kein Geld, sondern Informationen ab. So kann Schorlau in einer Folge von Verhörszenen ausbreiten, was er Empörendes über die Machenschaften der Branche recherchiert hat. Was wie eine grobe Notlösung der Romankonstruktion klingen mag, funktioniert innerhalb der "Letzten Flucht" bestens. Schorlau hält den Krimi in Bewegung, er lässt ihn nicht in Erklärungen erstarren, aber er vertändelt auch nicht, was er an Unruhe in uns auslöst.

Wie also sollte man angesichts solcher Bücher noch über den Krimiboom lästern? So: die Boomprofiteure tun so, als genügte es, dass ein Buch sich Krimi nennt. Aber das garantiert eben nicht, dass es die Lesezeit wert ist. In diese drei Romane kann man sie jedoch sorglos investieren.